# taz.de -- Keine Rettung für Ertrinkende: Menschlichkeit hat kein Heimatland | |
> Jetzt entzieht auch Panama der Aquarius die Flagge: Damit ist das Bremer | |
> Schiff, das seit 2016 im Mittelmeer kreuzt, um Leben zu retten, zur | |
> Tatenlosigkeit verdammt. | |
Bild: Im Mittelmeer vor Libyen: 2018 konnte die Aquarius noch viele Geflüchtet… | |
BREMEN taz | Weil die Organisation SOS Mediterranée das Bremer Schiff | |
Aquarius nutzt, um im Mittelmeer Menschen vor dem Ertrinken zu retten, will | |
Panama ihm seine Flagge und damit die Betriebserlaubnis entziehen. Nachdem | |
im Sommer bereits Gibraltar die Aquarius ohne Angabe von Gründen aus dem | |
Schiffsregister entfernt hatte, sieht sich nun auch das Land mit der | |
weltgrößten zivilen Flotte nicht mehr in der Lage, die Betriebsgenehmigung | |
für das 1976 bei Lürssen in Bremen gebaute Schiff länger aufrecht zu | |
erhalten. | |
„Am 22. September hat mir Panama mitgeteilt, dass sie die Aquarius aus dem | |
Register nehmen werden“, sagte Reeder Christoph Hempel von Jademund | |
Shipping am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Aktion | |
Seebrücke und der Hilfsorganisation SOS Mediterranée in der Bürgerschaft. | |
Zwar gebe es eine Karenzzeit, damit er sich um eine neue Flagge kümmern | |
kann, solange das Schiff in Marseille im Hafen liegt. Aber das sei nur ein | |
Aufschub: „Die Entscheidung ist definitiv.“ | |
Eine Bestätigung des Vorgangs vonseiten Panamas gibt es derzeit nicht: Die | |
taz-Fragen belässt die Botschaft bis Redaktionsschluss leider | |
unbeantwortet. Nach Darstellung des Reeders ist als Begründung angeführt | |
worden, dass die humanitären Aktivitäten von SOS Mediterranée Panama | |
Schaden zufügen würden. Tatsächlich sieht [1][Artikel 5 des panamaischen | |
Zivil-Flottengesetzes] einen Flaggenentzug vor, wenn die Generaldirektion | |
der Handelsmarine „beschließt, dass der Registereintrag schädlich für die | |
Interessen Panamas oder der nationalen oder internationalen | |
Handelsschifffahrt ist“. | |
Dafür reiche es, so die nähere Bestimmung, dass der Schiffsbetrieb einen | |
politischen oder wirtschaftlichen Nachteil im Verhältnis zu einem anderen | |
Staat bedeutet. „Offenbar hat Italien damit gedroht, seine Häfen für | |
sämtliche in Panama registrierten Schiffe zu sperren“, so Hempel. | |
Damit gerät er auch selbst in Bedrängnis, denn für ein Schiff ohne Flagge | |
erlischt auch der Versicherungsschutz. Der Reeder wird persönlich haftbar. | |
Fatal wäre es für zahlreiche Geflüchtete, die auf dem Weg übers Mittelmeer | |
nach Europa in Seenot geraten. Denn „dieser erneute Entzug bedeutet für uns | |
die komplette Handlungsunfähigkeit“, stellte Jana Ciernioch von SOS | |
Mediterranée klar. SOS Mediterrannée hat als einzige zivile Organisation | |
seit 2016 ununterbrochen ihre Rettungsfahrten fortgesetzt. | |
Wenigstens füllt Sea-Watch derzeit mit einem Schiff die Lücke: Am 4. August | |
ist die Mare Jonio von ihrem Heimathafen Augusta ausgelaufen. Derzeit | |
befindet sich das Tugboat, unter – ironischerweise – italienischer Flagge, | |
34°07 nördlich, 12°32 östlich [2][in internationalen Gewässern vor der | |
Küste Libyens]. Dort, wo Hilfe am nötigsten ist. | |
Denn „wir beobachten, dass Frachter eigens Umwege in Kauf nehmen, um nicht | |
in Verlegenheit zu kommen Schiffbrüchige aufzunehmen“, so Ciernioch über | |
die Situation auf dem Meer. Andere Kapitäne kümmern sich gar nicht mehr um | |
diese Pflicht: „Wir haben übereinstimmende Schilderungen von Geretteten, | |
dass sie auf ihrer 36-stündigen Irrfahrt in einem Holzboot insgesamt 15 | |
Schiffen begegnet waren.“ Keines habe die 30 Menschen in Lebensgefahr an | |
Bord genommen. Manche hätten sie sogar tätlich auf Distanz gehalten. „Sie | |
haben alle die Hilfe verweigert.“ | |
## Der Senat „prüft Handlungsmöglichkeiten“ | |
„Wir sind entsetzt, empört, wütend“, sagte Fabian Taute von der | |
Seebrücken-Initiative. Es sei, gerade angesichts der großen Zahl | |
europäischer Staaten, die ein ähnlich fragwürdiges Verhalten wie Italien an | |
den Tag legen, notwendig, für ein „offenes verantwortungsvolles Europa“ | |
einzutreten und „die Politik aufzufordern, zu handeln“. Der Senat solle den | |
italienischen Honorarkonsul einbestellen und die italienische Regierung zu | |
einer Erklärung ihres „unangemessenen Verhaltens“ auffordern. | |
Etwas konkreter forderte für die Linksfraktion Sofia Leonidakis die Bremer | |
Landesregierung auf, „alle Möglichkeiten auszuschöpfen, damit die Aquarius | |
schnell und unbürokratisch eine neue, gegebenenfalls auch die deutsche, | |
Flagge bekommt und auslaufen kann“. Tatsächlich hatte Bürgermeister Carsten | |
Sieling (SPD) die enge Beziehung zur Aquarius seit Beginn ihrer Mission | |
immer wieder betont. | |
Im Sommer 2018 schließlich hatte die Bürgerschaft Bremen zum sicheren Hafen | |
erklärt, nachdem Italien dem Schiff die Einfahrt in seine Häfen verweigert | |
hatte. „Wenn Bremen ein sicherer Hafen sein möchte, muss Bremen auch dafür | |
kämpfen, dass das Team der Aquarius wieder Leben retten kann“, forderte | |
Leonidakis nun. | |
„Der Senat verurteilt jede Repression gegen Seenotretter im Mittelmeer“, | |
teilte ein Sprecher des Senats gestern auf Nachfrage mit. „Wir prüfen, | |
welche Handlungsmöglichkeiten wir als Land in dieser Frage haben.“ | |
8 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.amp.gob.pa/newsite/spanish/proyectos/4%20leyes/ley%20no.57%20gen… | |
[2] https://www.vesselfinder.com/de/?imo=7222669 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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