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# taz.de -- FKK auf Korsika: Urlaub bei den Nackten
> Längst ist es nicht mehr so trendy, schön und politisch nackt zu baden
> wie in den sechziger Jahren oder in der DDR. Dafür gibt es heute
> Nacktevents.
Bild: FKK-Urlauberinnen mit ihren Kindern an einem Strand der frazösischen Mit…
„Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und schämten sich
nicht.“ So steht es in der Bibel im Buch Genesis. Und erst, als sie vom
verbotenen Baum der Erkenntnis essen, „wurden ihnen beiden die Augen
aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten
Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.“ Der Mensch entdeckt die
Scham und wird vertrieben aus dem Paradies.
Die Luft ist warm und feucht am Küstenstreifen auf Korsika, beinahe fühlt
sie sich tropisch an, und alle paar Meter verweisen am Straßenrand Schilder
auf Camping-Anlagen. Es ist Tourismus an der Basis, weit weg von den
grellen Betonburgen auf anderen Mittelmeerinseln, weit weg von überlaufenen
Uferpromenaden.
Am Strand des FKK-Ressorts Riva Bella ist der Blick magisch: zur einen
Seite das Mittelmeer, das hier aufbrausender anrollt als anderswo, zur
anderen Seite die schneebedeckten Berggipfel im Landesinneren. Es ist ein
Flecken Wildnis, der gleichzeitig sehr bürgerlich wirkt. Nackte Paare
spazieren am Strand entlang, schreiben Tagebuch im Campingstuhl, es könnte
Nordsee-Klientel sein.
Im Paradies sind sie fast alle über 60 Jahre. Alte, faltige, gleichmäßig
sonnengebräunte Körper, die von einem Leben mit Freikörperkultur erzählen.
Die nett grüßen, wenn sie einander begegnen, so beiläufig nackt, und den
Blick nicht senken und den Körper nicht scannen. Sie haben nichts zu
verbergen, rund und runzelig und schwabbelig. Im letzten Sommer hat Gregor
Gysi das langsame Sterben der Freikörperkultur beklagt. Stirbt sie
wirklich? Und wenn sie lebt, wieso und wofür? Eine Geschichte von Körpern,
Mut und Reisen zur Freiheit.
Marie-Claire Gaddoni hat in Riva Bella ihre Lebensaufgabe gefunden. Eine
kleine, zierliche Korsin mit schmalen Händen und Temperament, ihre
Familiengeschichte so vielseitig wie die Insel selbst. Der Vater war ein
Pied Noir, ein Franzose im kolonialen Algerien, der 1958, während des
Unabhängigkeitskriegs, zurück nach Frankreich floh, und Anfang der
sechziger Jahre wie so viele Pieds Noirs in Korsika landete. Von Seiten der
Einheimischen schlug den Migranten Zorn entgegen, aber viele blieben.
Marie-Claire, geboren in Frankreich, aufgewachsen in Korsika, gearbeitet in
Deutschland, ist unter Nackten groß geworden. Das Ressort, das ihre Eltern
gründeten und sie übernahm, besteht seit den sechziger Jahren; FKK war hip.
„Die Menschen wollen frei im Kopf sein“, sagt Gaddoni. „Sie wollen die N�…
der Natur spüren, sie sind ziemlich bio.“ Eine politische Botschaft, nein,
die hätte kaum jemand im Sinn. Ihre Gäste sind vielfach obere
Mittelschicht, Lehrer, Ärzte, Anwälte. Und offen für Neues. „Am Anfang ist
man bei FKK sehr schüchtern“, sagt Gaddoni. „Man muss sich herantasten.“
Die Mittagssonne brennt. Ein Gast, Deutscher ist er, erzählt, er habe sich
am ersten Tag hinter einem Baum ausgezogen. „Das war so unbewusst und
automatisiert. Dann ist mir klar geworden: Das muss ich hier ja gar nicht.“
Man kommt leicht ins Gespräch, als Nackte unter Nackten. Der Strand
funktioniert wie eine eigene Welt, wo das Nackte allmählich verschwimmt und
verschwindet. Es fühlt sich selbstverständlich an, natürlich und frei.
Trotzdem ist die Freiheit ein zerbrechliches Gut. Der Anblick der anderen
bleibt lange ungewohnt, und der eigene Blick geht dann reflexartig
verschämt zur Seite oder sofort auf den Penis. Aber der Wandel im Kopf
bleibt: Die Welt der Bekleideten wirkt bei der Rückkehr absurd und
verklemmt, die eigene Kleidung klebt und zieht am Körper. Nacktheit hat
immer auch etwas mit dem Kopf gemacht.
„Das Nacktsein ist so überladen, wie es eigentlich nicht sein kann“,
schrieb die Autorin Kirsten Fuchs 2017 im Zeit-Magazin. Sie schilderte, wie
entkleidete Senioren an einem Berliner Badesee von Jugendlichen verlacht,
verhöhnt, mit Ekelrufen bedacht wurden. Ausgerechnet jetzt, zu einer Zeit,
wo die Nacktheit durch Werbung und Internet zigtausendfach enttabuisiert
ist, ist eigene Nacktheit out. Wo Nacktheit nur noch Sex bedeutet, ist das
Nackte unanständig geworden.
## Grabreden auf FKK
Und vielleicht auch die natürliche Sehnsucht jeder Generation, sich von dem
abzugrenzen, was bei den Eltern cool war. Dabei täte es uns mutmaßlich gut,
mehr FKK-Urlaub zu machen. Mehrere britische Studien in recht kleinem
Umfang haben zumindest kürzlich festgestellt, dass regelmäßige FKK-
Urlauber zufriedener mit ihrem eigenen Körper seien, selbstbewusster. Und
glücklicher.
„Ich sehe keinen Rückgang von FKK“, sagt Herbert Steffan. Steffan ist
Präsident beim DFK, dem Deutschen Verband für Freikörperkultur, und
unglücklich über die Grabreden. „FKK machen noch viele junge Leute, nur
eben nicht mehr im Verein.“ Tatsächlich ist nie für Gesamtdeutschland
untersucht worden, wie in oder out Freikörperurlaub bei jüngeren Leuten
ist. Fest steht nur, dass die Vereine schrumpfen.
Zu FKK-Hochzeiten hatten sie deutschlandweit 100.000 Mitglieder, jetzt sind
es noch etwa 40.000. „Die Leute binden sich nicht mehr an Vereine“, so
Steffan. „Im Osten hat man es nach der Wende versäumt, Vereine und Plätze
zu organisieren. Die FKKler lassen sich verdrängen.“ Und auch die
Übersexualisierung der Gesellschaft macht ihnen das Leben schwer: „FKK ist
durch das Rotlichtmilieu ziemlich verbraucht.“
Und doch: Weiterhin kolportieren Medien Zahlen von bis zu acht Millionen
Deutschen, die gelegentlich FKK machen. In Deutschland ist es übrigens,
entgegen geläufiger Meinung, nicht verboten, nackt herumzulaufen, solange
kein öffentliches Ärgernis erregt wird. „Die Gesellschaft ist freier
geworden“, glaubt Herbert Steffan. Und weniger angewiesen auf den Verein.
## Konglomerat der Weltanschauungen
Lange ist der Verein das Vehikel gewesen, um Nacktheit zurück unters Volk
zu bringen. Davor war der unbekleidete Körper öffentlich in bestimmten
Kontexten völlig akzeptiert. Auf altgriechischen Sportanlagen, in
mittelalterlichen Badehäusern. Erst im Biedermeier wurde die öffentliche
Nacktheit verbannt. Als sich 1898 Deutschlands erster FKK-Verein gründete,
war früh von der Natürlichkeit der Nacktheit die Rede, von
Selbstverständlichkeit und Naturnähe.
Trotzdem und gerade deshalb darf man Freikörperkultur als politisch
verstehen, sie war ein Konglomerat der Ideale, von frühen Naturfreunden und
Veganern über Linke, die gegen soziale Unterschiede protestieren wollten,
bis hin zu rechten Germanen-Anhängern und Rassenphilosophen.
1920 entstand auf Sylt der erste offizielle Nacktbadestrand in Deutschland,
und auch da war Nacktheit nie nur diese: Freunde fand sie vor allem unter
alternativen Intellektuellen. In der BRD erlebte FKK nicht zufällig im
Rahmen der 68er ihren großen Boom. Fast immer hatte sie eine revoltierende
Doppelbödigkeit, sie stand für Freiheit; auch und gerade, wo es sonst kaum
Räume dafür gab. Auch in der DDR.
„Ich habe in der DDR nackt gebadet“, erzählt Konrad Weller. „Viele von
damals werden sagen: Das war bedeutungslos, das kam ganz natürlich. Aber
das stimmt nicht. Nacktheit hatte immer eine Bedeutung. Man ist
ungeschminkt, gleich, ohne Dresscode. Und es ging nebenbei darum zu zeigen,
dass es in einem vielfältig reglementierten Staat in Sachen Nacktheit und
Sexualität sehr liberal und unverklemmt zuging.“
Weller ist Sexualforscher und verantwortete Langzeitstudien zu
sexualkultureller Entwicklung, unter anderem Freikörperkultur. Er bestätigt
zumindest für den deutschen Osten, was Gysi beklagte: Immer weniger
Jugendliche haben Erfahrung mit Nacktbaden. „Die familiäre Tradierung ist
nicht mehr da. Der unbefangene Umgang mit Nacktheit, ohne sexuelle Reize,
hat abgenommen. Was DDR-typisch war, die massenhafte, volkseigene
Nacktheit, hat sich privatisiert. Und das Risikobewusstsein bei Nacktheit
hat sich verstärkt, gerade, wo überall Handys mit Fotofunktion sind.“ Die
alte Freikörperkultur stirbt. Aber in anderer Gestalt lebt sie auf.
## Event, auch nackt
Im Jahr 2016 eröffnete in London das offiziell weltweit erste
Nacktrestaurant; 46.000 Menschen standen auf der Warteliste. Im Mai 2018
bot das Museum Palais de Tokyo in Paris eine Nacktführung. 3.500 Menschen
rissen sich um 161 Plätze, und es waren vor allem junge Menschen. In
Deutschland arbeitet man am dritten Nacktwanderweg, weltweit boomen Naked
Bike Rides, Nackt-Demos, nacktes Bungee-Jumping oder Fallschirmspringen.
Die Strände mögen von Alten bevölkert sein, aber junge Menschen sind
durchaus nackt. Eventmäßiger, punktueller, vielleicht typisch für diese
Generation. Konrad Weller resümiert: „FKK geht rapide zurück, aber es wird
nicht völlig aussterben.“ Er erwartet ein Niveau der Vorkriegszeit, mit
abgeschirmten Bereichen, und findet diesen Rückgang nicht ungewöhnlich.
„Der FKK-Boom in der DDR war eine historische Sondersituation.“ Und in der
multikulturellen Gesellschaft von heute ist das kaum reproduzierbar.
Am Strand von Riva Bella, an einem heißen Vormittag, sonnen sich die
Naturisten weiter wie gehabt. Mögen Jüngere spotten, mögen die Vereine
erodieren, all das ficht sie nicht an. Die Nachbarn im Strandbungalow
weiter links sind Jeroen und An, ein niederländisches Paar, 70 und 68 Jahre
alt, füllig, gemütlich, lustig. „Ich mache das seit 40 Jahren, weil ich
Natur liebe“, erzählt Jeroen. „Und für das Freiheitsgefühl.“
Es war 1968, als er Nackturlauber zum ersten Mal sah, an einem Strand in
der Nähe von Saint Tropez. Natürlich 1968. Er erinnert sich an die frühen
Siebziger, als er selbst zum ersten Mal nackt Urlaub machte, in Frankreich,
schüchtern zuerst, in Sorge vor einer Erektion, dann selbstverständlich.
Mit seinen inzwischen erwachsenen Söhnen aber konnte er FKK nicht mehr
machen; die schämten sich. Auch Ans Kinder machen kein FKK.
„Die Zeiten haben sich gründlich geändert“, sagt auch An nachdenklich. �…
der Flower-Power-Zeit waren die Dinge anders. Heute muss alles nett und
schön sein, und nicht nackt. Man hat Angst davor, seine eigene
Unperfektheit zu zeigen. Es geht nur noch um schöne Kleider und Botox. Man
kann alles an seinem Körper machen lassen, man will das Unperfekte nicht
mehr wahrhaben.“ Sie schaut kopfschüttelnd auf die einzige jüngere Frau am
Strand; sie trägt Bikini.
22 Sep 2018
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
FKK
Strand
Wandern
Freiheit
Baden
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