# taz.de -- Brexit-Kampagne „Leave Means Leave“: Die Brexiteers machen mobil | |
> Beim EU-Gipfel in Salzburg kam es zum Eklat. Das bildet die perfekte | |
> Steilvorlage für eine neue britische EU-Austrittskampagne. | |
Bild: Nigel Farage hat gut lachen | |
Bolton taz | Geduldig stehen sie Schlange vor dem Universitätssportstadion | |
von Bolton, ohne Gedrängel oder Absperrung, eine englische Warteschlange | |
alter Schule. Die ehemalige Textilindustriestadt Bolton im Nordwesten | |
Englands war schon immer anders, heißt es. Beim Brexit-Referendum 2016 | |
wählten hier 58,3 Prozent „Leave“. | |
Die meisten, die hier vor dem in die grün-hüglige Moorgegend geschmissenen | |
Sportkoloss neben einem nur mit dem Auto zu erreichenden, mit EU-Geldern | |
gebauten Einkaufsquader warten, sind im Rentenalter. Es geht ihnen um die | |
Demokratie, erzählen sie, um die Einwanderung aus Osteuropa – und um den | |
Brexit. Manche sind auch jünger. Die Brüder Sam und Nathaniel Lowton aus | |
Wigan, 28 und 29, sind „gegen die europäischen Multis“ und „dafür, dass… | |
unsere eigenen Gesetze machen können“. Die 54-jährigen Hausfrauen Zoe | |
Neinvy und Janice Kaeney aus dem ehemaligen Kohlepott Ost-Yorkshire wollen, | |
„dass Europa uns nicht sagen kann, wie wir mit Islamisten umzugehen haben“. | |
Drinnen ist alles organisiert. „Leave Means Leave“, jene Kampagnengruppe, | |
die sich für einen „sauberen Brexit“, einsetzt, startet genau hier heute | |
ihren Kampf für einen EU-Austritt ohne Wenn und Aber. Es gibt | |
Baseballkappen zu kaufen, auf sämtlichen Stühlen liegen kleine britische | |
Fähnchen, Autoaufkleber und rot-blaue A3-„Leave Means Leave“-Plakate, auf | |
denen steht: „Stoppt den Verrat am Brexit“ oder „Glaubt an Großbritannie… | |
Als erste prominente Rednerin kommt Kate Hoey, Labour-Abgeordnete aus | |
London-Vauxhall, mit den Worten „Mein Land kommt vor meiner Partei“. Es ist | |
eine Anspielung auf den Labour-Parteitag, der weiter westlich in Liverpool | |
beginnt. Dort ist ein Hauptthema, ob Labour sich für ein zweites | |
Brexit-Referendum ausspricht. Verstorbene Labour-Galionsfiguren wie Tony | |
Benn und Barbara Castle, sagt Hoey dazu, „würden sich im Grabe umdrehen“. | |
Diejenigen, die mit dem Brexit gegen ein antidemokratisches neoliberales | |
Europa stimmten, würden nun als dumm oder rassistisch dargestellt. Hoey | |
spricht vom elitären London und von vorurteilsbeladenen Medien. Der Saal | |
tobt. Hoey fügt noch ein paar Sätze zu ihrer Heimat Nordirland an, einer | |
der größten Stolpersteine auf dem Weg zu einer Brexit-Vereinbarung zwischen | |
London und Brüssel: Der einzige Grund, weswegen es je eine harte Grenze in | |
Nordirland gegeben habe, sei die IRA gewesen. „Was für ein Land sind wir, | |
wenn wir uns wegen ein paar Gangstern und Hooligans erpressen lassen?“ | |
„No Deal, No Problem!“ | |
Bis hierhin muss sich Nigel Farage gedulden, der eigentliche Star des | |
Tages. Für ihn ist „Leave Means Leave“ eine Art Wiederauferstehung, nachdem | |
er sich 2016 nach dem Referendum aus der Politik zurückgezogen hatte. Jetzt | |
ist er wieder da, in alter Form. | |
„Gut, dass das Stadion heute einen neuen Namen hat, denn als ich das letzte | |
Mal hier war, hieß es noch Macron-Stadion“, witzelt er über diesen wahren | |
Namenszufall. Farage, er sieht gealtert aus, steht vor dem Publikum und | |
hebt beide Arme hoch: „Schaut, wie sie sich in Salzburg benommen haben, | |
Juncker, Barnier, Tusk“ – die Menge erwidert laut mit „Buh, Buh“ – [1… | |
sie unsere Premierministerin behandelt haben.“] Auch er spricht Labour | |
direkt an. „Wieso ein zweites Referendum, wenn die Parlamentswahl 2017 | |
bereits als zweite Wahl zum Brexit verstanden werden kann?“ Schließlich | |
plädiert der einstige Ukip-Führer für einen Brexit ohne Deal mit der EU. | |
„No Deal, No Problem!“ | |
Von den Konservativen tritt Ex-Brexit-Minister David Davis auf und fordert | |
ebenfalls einen „wahren Brexit“. Er spricht von der Liebe zu | |
Großbritannien, das weniger als ein Prozent der Weltbevölkerung ausmache | |
und doch „so einflussreich, so effektiv, so großartig“ sei. | |
Deutlich wird: „Leave Means Leave“ will vor allem ein zweites Referendum | |
verhindern. Eine ehemalige Helferin der Brexit-Referendumskampagne verrät | |
der taz, man fürchte, dass manche Wähler, die damals politisch nicht | |
interessiert waren, sich aber beteiligten, nicht noch einmal zu einer Wahl | |
gehen würden. | |
Die Versammlung ist am Ende so schnell und ordentlich vorbei, wie sie | |
begonnen hatte. Im Einkaufszentrum gegenüber erzählt der 39-jährige | |
Iftikhar Khan, der nicht auf der Veranstaltung war, dass er vom | |
rassistischen Trump-Unterstützer Farage nicht beeindruckt sei. Die | |
Immigranten aus Osteuropa in Bolton seien keine schlechte Sache. „Wenn sich | |
Engländer*Innen von Ausländer*Innen, die nicht gut Englisch sprechen und | |
nicht gut qualifiziert sind, den Job nehmen lassen, sagt es doch mehr über | |
die Leute aus, die gegen die Migranten mobil machen.“ | |
23 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Rede-der-britischen-Premierministerin/!5535235 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Brexit | |
Nigel Farage | |
Großbritannien | |
Großbritannien | |
Großbritannien | |
Schwerpunkt Brexit | |
Schwerpunkt Brexit | |
Schwerpunkt Brexit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Labour-Parteitag in Großbritannien: Premierminister im Wartestand | |
Oppositionsführer Jeremy Corbyn sieht seine Partei kurz vor der | |
Machtübernahme. Dahinter müssen Streitthemen wie Brexit zurückstehen. | |
Streit in der britischen Labour-Partei: Keine Festlegung zum Thema Brexit | |
Zahlreiche Labour-Ortsverbände fordern ein zweites Referendum. Die | |
Parteispitze um Jeremy Corbyn will sich alle Optionen offen halten. | |
Kommentar Neuwahl in Großbritannien: Aufblühen haltloser Gerüchte | |
Am Gemunkel über Neuwahlen ist nicht viel dran. Es ist eher zu erwarten, | |
dass May und Corbyn gestärkt aus ihren Parteitagen hervorgehen. | |
Brexit-Abkommen mit der EU: Alle sind gegen Theresa May | |
Großbritanniens EU-Befürworter und -Gegner gehen in die entscheidende | |
politische Schlacht. Beide Lager lehnen die Brexit-Linie der | |
Premierministerin ab. | |
Kolumne Flimmern und Rauschen: Der Brexit und die Medien | |
Haben Medien mit ihrer Berichterstattung populistische Tendenzen und damit | |
den Brexit gestützt? Eine Studie sagt ja. | |
Debatte Brexit: Charme der zweiten Wahl | |
Es sollte ein zweites Referendum über den EU-Austritt geben. Aber mit einem | |
neuen Verfahren, bei dem die Abstimmenden Noten verteilen. |