# taz.de -- Labour-Parteitag in Großbritannien: Premierminister im Wartestand | |
> Oppositionsführer Jeremy Corbyn sieht seine Partei kurz vor der | |
> Machtübernahme. Dahinter müssen Streitthemen wie Brexit zurückstehen. | |
Bild: Jubel für Jeremy Corbyn nach seiner Rede zum Parteitagsabschluss | |
LIVERPOOL taz | Selbstverständlich ertönte Liverpools Fußballhymne „You'll | |
never walk alone“ aus den Lautsprechern der Konferenzhalle, bevor Jeremy | |
Corbyn die Bühne betrat, zur Abschlussrede nach drei Tagen eines | |
Labour-Parteitages, bei dem die internen Keilereien zwischen seinen linken | |
Anhängern und dem in der Fraktion dominierenden Mitte-Rechts-Flügel nur | |
noch als böse Erinnerung aufgerufen wurden. | |
Für Corbyn galt es, der britischen Öffentlichkeit zu beweisen, dass er ein | |
angemessener Premierminister im Wartestand ist. | |
Corbyn kam relativ spät in seiner Rede auf [1][das die Konferenz | |
bestimmende Thema zu sprechen: Brexit]. Er machte dabei einmal mehr | |
deutlich, dass er einen Labour-Sieg bei einer eventuellen Neuwahl nur dann | |
als sicher erachtet, wenn die eigene Partei weiter auf dem Pfad eines | |
EU-Austritts bleibt – den Wählerinnen aber ein besseres | |
Verhandlungsergebnis mit Brüssel verspricht als jeder Deal, den die | |
Konservativen hinkriegen würden. | |
Nur in einem Satz erwähnte er den hart errungenen Parteitagsbeschluss vom | |
Dienstag, der für den Fall, dass es keine Neuwahlen gibt, alle Optionen | |
offenhält – auch die eines zweiten Referendums, ein Wort, dass Corbyn | |
allerdings nicht einmal in den Mund nahm. | |
Das Thema einer weiteren Brexit-Abstimmung wird Labour aber weiter nicht | |
zur Ruhe kommen lassen. Denn so laut auch der Beifall für Corbyns | |
entsprechende Ausführungen war, ebenso großen Applaus der | |
Parteitagsdelegierten hatte am Dienstag Labours Brexit-Beauftragter Keir | |
Starmer erhalten. | |
Der wich nämlich von seinem vorab publizierten Redemanuskript ab und | |
betonte, bei einer neuerlichen Abstimmung sollten die Wähler auch für einen | |
Verbleib in der EU votieren können. Das hatten Schattenfinanzminister John | |
McDonnell und Gewerkschaftsboss Len McCluskey zuvor vehement | |
ausgeschlossen. | |
## Theresa May kurz vor dem Kollaps? | |
Während des gesamten Parteitags zeigten sich vor allem dezidiert linke | |
Labour-Abgeordnete davon überzeugt, dass die Regierung von | |
Premierministerin Theresa May kurz vor dem Kollaps steht und der | |
Wählerwille Labour an die Regierung tragen wird. | |
Zum Abschluss Konferenz des Corbyn-treuen linken Basisnetzwerks „Momentum“ | |
am Dienstag forderte die junge Labour-Parlamentarierin Laura Smith sogar | |
einen Generalstreik, sollte „die brutale und herzlose Tory-Regierung“ nicht | |
mit Neuwahlen aus dem Amt gejagt werden können. Sie erhielt stehende | |
Ovationen. | |
Vizeparteichef Tom Watson, einer der wenigen in einem Führungsamt | |
verbliebenen Nicht-Corbynistas, kommentierte daraufhin, Smith habe sich von | |
der Stimmung auf der Veranstaltung zu einer unachtsamen Äußerung hinreißen | |
lassen. | |
Corbyns Kurs, seiner Abschlussrede nach zu beurteilen, rückt die Partei | |
nicht gerade in Richtung Arbeiteraufstand, aber dennoch signifikant nach | |
links. Er ging noch über das Parteiprogramm zu den Wahlen 2017 hinaus und | |
versprach nicht nur, die Bahn wieder zu verstaatlichen und Wasser- wie | |
Elektrizitätsbetriebe zu rekommunalisieren, sondern auch, Verbraucher und | |
politische Vertreter zu Entscheidungsträgerinnen in den öffentlichen | |
Unternehmen zu machen. | |
Auch wenn Corbyn dieses Labour-Wirtschaftsprogramm und die angestrebte | |
ökologische Transformation moderat und versöhnlich vorzutragen wusste: Das | |
Gehörte könnte die so tief gespaltenen Konservativen auf ihrem Parteitag | |
kommende Woche in Birmingham wieder stärker hinter ihrer Chefin Theresa May | |
versammeln, die alles daran setzen wird, eine Labour-Regierung als Desaster | |
zu zeichnen, vor dem selbst noch ein harter Brexit verblasst. | |
## Jüdische Abgeordnete unter Polizeischutz | |
Damit Labour zumindest nicht die jüdischen Wähler an die Konservativen | |
verloren gehen, ging Jeremy Corbyn im übrigen gleich am Anfang seiner Rede | |
[2][auf den Antisemitismus-Streit in seiner Partei] ein. Der schwelte auch | |
in Liverpool weiter. Die jüdische Abgeordnete Luciana Berger stand unter | |
Polizeischutz, während sie sich auf dem Parteitag in ihrer Heimatstadt | |
aufhielt. | |
Die von der linken Gruppe „Jewish Voice for Labour“ veranstaltete Premiere | |
eines Films über eine allerdings selbst des Antisemitismus beschuldigte | |
linke, jüdische Momentum-Aktivistin musste wegen einer Bombendrohung | |
abgebrochen werden. | |
Antisemitischen Tendenzen erteilte Corbyn eine deutliche Absage, | |
bezeichnete Labour als Verbündete der jüdischen Gemeinde, blieb aber die | |
von vielen jüdischen Parteimitgliedern erhoffte Entschuldigung angesichts | |
eigener Uneindeutigkeiten in der Vergangenheit schuldig. | |
Und wenig später erneuerte er, während ein Delegierter im Saal eine riesige | |
Palästina-Flagge schwenkte, seine Kritik an Israels Besatzungspolitik und | |
das diskriminierende neue Nationalitätsgesetz. Im Falle eines Wahlsiegs | |
stellte er eine schnelle Anerkennung eines palästinensischen Staates in | |
Aussicht. | |
26 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Streit-in-der-britischen-Labour-Partei/!5537879 | |
[2] /Britische-Linke-debattiert-Judenhass/!5533613 | |
## AUTOREN | |
Oliver Pohlisch | |
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