| # taz.de -- Die Wahrheit: Sirenennächte auf dem Bau | |
| > Die unwirtlichsten Unterkünfte der Welt (11). Diesmal: Schlaflos in einem | |
| > höllisch halbfertigen Frankfurter Zweckbunker. | |
| Bild: Erst ein Feueralarm, dann der Baulärm. Dem übermüdeten Hotelgast bleib… | |
| Das Völkchen der Journalisten und Schriftsteller gilt als Weltmeister im | |
| Reisen. Dauernd sind Autoren zu Lesungen und Buchmessen unterwegs oder | |
| müssen sich auf ihren Expeditionen durch aller Damen und Herren Länder eine | |
| Unterkunft suchen. Dabei haben sie einige der abseitigsten Absteigen der | |
| Welt gesehen und sind dort untergekommen, wo andere keinen Fuß hineinsetzen | |
| würden. In unserer Wahrheit-Sommerserie dokumentieren wir das ganze Ausmaß | |
| des unbehausten Schreckens. | |
| Der moderne Reisende verschickt „Wir am Pool“-Selfies und genießt sein „… | |
| you can eat“-Buffet, ich hingegen lande seit Jahren schicksalhaft in den | |
| Top 100 höllischer Herbergen. | |
| In Iquitos, einem unterhaltsamen Drogenumschlagplatz im peruanischen | |
| Amazonas, erwarb ich einen Tinnitus, weil fünf Wochen lang Geier auf dem | |
| Blechdach über meinem Zimmer lärmten wie die Rhythmusgruppe einer Marching | |
| Band. | |
| ## Monstermoskitos oder Moskitomonster | |
| Vom Aufenthalt in einem puertoricanischen Apartment mit defekter | |
| Klimaanlage blieb mir eine OP-Narbe am Bein, nachdem der Stich eines | |
| örtlichen Moskitomonsters bei 45 Grad und neunzigprozentiger | |
| Luftfeuchtigkeit erst auf Kirschgröße anschwoll, sich dann heimtückisch | |
| verkapselte und schließlich nach glücklicher Heimkehr herausgeschnitten | |
| werden musste. | |
| In Truth or Consequences, einer Kleinstadt in New Mexico, die tatsächlich | |
| so heißt, sprudelte das Wasser einer heißen Quelle direkt in die Badewanne | |
| meines B&B, zum Beweis zeige ich gern meine Brandmale. Der Ort war nach | |
| einer Quizshow umbenannt worden und hieß ursprünglich Hot Springs, was man | |
| mir leider verschwiegen hatte. Glauben Sie mir, der menschliche Körper ist | |
| ein Wunder an Regenerationsfähigkeit, aber nach drei denkwürdigen, vor | |
| Jahren in Frankfurt am Main verbrachten Nächten kämpft der meine noch immer | |
| um völlige Wiederherstellung. | |
| Wie im klassischen Horrorfilm begann es harmlos. Auf der Buchmesse | |
| eröffnete mir ein Verlagsmitarbeiter, ich sei wegen Komplettbelegung | |
| sämtlicher Innenstadthotels in einem brandneuen, nur wenig außerhalb | |
| gelegenen Etablissement untergebracht. Mit mir traf es einen von mir | |
| bewunderten Kolumnisten und einen ebenso verehrten Künstler, der mit Frau | |
| und Baby angereist war. Wir nahmen es sportlich, und mein damaliger mich | |
| begleitender amerikanischer Ehemann verstand sowieso nichts. Er beherrschte | |
| den deutschen Satz „Geradeaus und links“ und freute sich darauf, | |
| „gemutlisch wie ein Ungeziefer in ein Teppisch“ ins Bett zu rollen, deutsch | |
| für „snug as a bug in a rug“. Er hatte nicht mit dem Hotel from Hell | |
| gerechnet. | |
| ## Danger Danger Danger | |
| Nach ausgiebigem Begrüßungsumtrunk fuhren wir im Taxi vertrauensvoll | |
| unserem Domizil entgegen. Gefühlte Stunden und viele Euros später landeten | |
| wir vor einem von Dunkelheit und Baukränen umgebenen halbfertigen Zweckbau. | |
| Drinnen empfing uns die anheimelnde Ästhetik globalen Hoteldesigns und | |
| hinter der Rezeption ein zu groß geratenes Kind, das, wie sich | |
| herausstellte, seine erste Arbeitswoche als Chefmanager absolvierte. Seine | |
| Hingabebereitschaft an den Job war noch nicht durch jahrelange | |
| Gastberührung abgenutzt, sodass er uns einen äußerst zuvorkommenden Empfang | |
| bereitete. Geschmeichelt begaben wir uns in unsere Quartiere und | |
| entschlummerten sanft. | |
| Bis infernalischer Lärm uns aus dem Bett katapultierte. Sirenen heulten. | |
| „Danger! Danger! Danger!“, schnarrte es mitleidlos. Auf dem Fernseher | |
| erschien ein bedrohlich pulsierender Pfeil, der Richtung Tür zeigte, die | |
| künstliche Intelligenz hinter der Mattscheibe befahl monoton: „Please | |
| proceed to the meeting point!“ Mein Biorhythmus verweigert nächtlichen | |
| Aktionismus, und vor elf Uhr morgens befinde ich mich in einem Zustand | |
| völliger Handlungsunfähigkeit. | |
| Der Ehemann ergriff also stoisch unsere Pässe und meine Hand und bugsierte | |
| mich zum Empfang, wo bereits ein verstörtes Trüppchen harrte, darunter der | |
| Künstler mit Familie und der Kolumnist. Der einzige wachhabende | |
| Hotelangestellte, unser Kindmanager, rannte los, um die Sirenen und | |
| zweihundert TV-Geräte von Hand auszuschalten. Ich studierte derweil das | |
| Erscheinungsbild der Gäste, besonders das des Kolumnisten, der nicht nur | |
| von mir bewundert, sondern äußerst gutaussehend war und von dem ich | |
| insgeheim gehofft hatte, er möge wie Sean Connery im Moment höchster Gefahr | |
| mit nacktem, haarigem Oberkörper aus seinem Zimmer federn und mich im | |
| Vorübergehen retten. Leider trug er einen Pyjama. | |
| ## Sirenennächte und kein Wachs zur Hand | |
| Nach einer Stunde, in der wir Gelegenheit hatten, endgültig wach zu werden, | |
| kehrte das Managerkind ausgepumpt zurück. Die Feuerwehr, so wurde uns | |
| erklärt, hatte nach einem nachmittäglichen Probealarm vergessen, irgendwas | |
| abzuschalten. Als wir endlich schliefen, legten draußen die Baukräne los. | |
| Das Kind überschüttete uns mit Entschuldigungen, ich bekam mütterliche | |
| Gefühle und verzieh sofort alles. | |
| Nach der darauffolgenden zweiten Sirenennacht, in der sich die einander | |
| bereits bekannten Gäste in der Lobby wiedertrafen, war mein Mitgefühl | |
| wesentlich reduzierter, in der dritten Nacht hätte ich gern die | |
| Hoteleinrichtung verwüstet, war aber zu geschwächt. | |
| Beim abschließenden Fototermin auf der Messe fragte mich die Fotografin, ob | |
| ich vielleicht was zum Kaschieren meiner Augenringe dabeihätte. Ich bat um | |
| Gnade und Vernichtung der bereits gemachten Aufnahmen. Falls doch noch | |
| Fotos herumschwirren, auf denen ich irr und hohläugig wie die Figur auf | |
| Munchs Gemälde „Der Schrei“ aussehe, der Grund heißt Frankfurt, den Namen | |
| des Hotels habe ich vergessen. Wie es unter der Pyjamajacke des Kolumnisten | |
| aussah, werde ich leider nie erfahren, und der einzige Gast, der in allen | |
| drei Nächten durchschlief, war das Baby. | |
| 10 Sep 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Pia Frankenberg | |
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