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# taz.de -- Graphic Novel „Die Spinne von Maschhad“: Serienmörder ohne Reue
> Ein Mann erwürgt 16 Frauen und wird dafür von Teilen der Gesellschaft
> gefeiert. Mana Neyestani erzählt die Begebenheit in seiner Graphic Novel.
Bild: Die Journalistin Roya Karimi Majd sprach den Mörder vor seinem Tod ausf�…
Es sind vor allem die Hände, die sie faszinieren, Hände, auf die sie immer
wieder blicken muss: Die Journalistin Roya Karimi Mjad interviewt den
Maurer Said Hanai, einen einfachen, sanft wirkenden Familienvater. Doch als
Hanai 2002 hingerichtet wurde, hatte er 16 Frauen erwürgt. Mit ebendiesen
Händen, die der iranische Zeichner Mana Neyestani in seiner Graphic Novel
„Die Spinne von Maschhad“ mehrfach prominent in Szene setzt.
Reue zeigt der Mann, ein ehemaliger Soldat, keine, im Gegenteil: „Hühner
oder Schafe habe ich nie geschlachtet. Dafür habe ich zu viel Mitgefühl mit
Tieren. Für mich sind diese Frauen weniger wert als Tiere“, erklärt Hanai
der entsetzten Journalistin Roya Karimi Majd, die den Mörder vor seinem Tod
ausführlich sprach und aus deren Perspektive Neyestani das Geschehen
zeichnerisch erzählt und analysiert.
Bereits auf den ersten Seiten der Graphic Novel steckt Autor Neyestani das
religiöse Setting klar ab: Maschhad, mit etwa drei Millionen Einwohnern
zweitgrößte Stadt des Iran, wirkt zunächst ruhig, wie ausgestorben, bis
einem Film ähnlich reingezoomt wird: Im Zentrum befindet sich der Schrein
von Imam Reza, einem der wichtigsten Heiligen der Schiiten, und um diesen
Schrein drängen sich Hunderte von Gläubigen (Männer und Frauen
selbstverständlich getrennt), die verzweifelt um mehr Reichtum oder
Gesundheit für ihre Freunde und Angehörigen bitten.
Und hier betet auch der frühere iranische Soldat und Frontkämpfer Said
Hanai ebenfalls zu Imam Reza. Der von früheren Kriegserlebnissen und der
Propaganda traumatisierte Mann wünscht sich nur eins: dass die Unzucht in
seiner Stadt endlich ausgerottet wird.
## Zuspruch von Religiösen
Unzucht, das ist das Stichwort. Maschhad ist zwar eine hochreligiöse Stadt
und eine der heiligen Stätten des schiitischen Islam, liegt zugleich aber
in unmittelbarer Nähe zur afghanischen Grenze. Opium, Heroin oder
synthetisch hergestellte Drogen dringen ungehindert ins Land und auch die
Prostitution floriert.
Da Politik wie Religion dieser „Unzucht“ gegenüber machtlos sind, wie Said
Hanai meint, nimmt er das Recht in seine eigenen Hände. Er lockt, wenn
seine Frau außer Haus ist, Sexarbeiterinnen zu sich nach Hause, um sie im
heimischen Wohnzimmer zu erwürgen. Die „Spinne“ wurde der Serienkiller
dafür von der iranischen Presse genannt.
Als er einen Fehler macht und geschnappt wird, bekommen Hanai und seine
Familie von den Religiösen viel Zuspruch für seine Taten. Der 1962 geborene
Mörder habe sich als tapfer erwiesen und dazu beigetragen, die Stadt zu
„reinigen“.
Von Mana Neyestani erschien in der Edition Moderne 2013 bereits [1][die
Graphic Novel „Ein iranischer Albtraum“]. In dieser erzählte der 1973 in
Teheran geborene Neyestani davon, warum er ins Exil gehen musste. 2006
steckte ihn das Mullah-Regime zur Strafe für eine satirische Zeichnung für
50 Tage ins berüchtigte Evin-Gefängnis in Teheran. Danach gelang ihm die
Flucht nach Malaysia, seit 2010 lebt er in Frankreich.
## Viele Facetten einer scheinheiligen Gesellschaft
Seine aktuelle Graphic Novel „Die Spinne von Maschhad“ erzählt nun von
einer Mordserie nach einer wahren Begebenheit. Die Vorlage dazu lieferte
dabei der Dokumentarfilm „And Along Came a Spider“ von Maziar Bahari, der
im Iran nicht gezeigt werden darf. Wie Neyestani arbeitet Bahari für die
Exil-Website IranWire.
In Schwarz-weiß-Zeichnungen gehalten, die mit ihrer Noir-Anmutung die
düstere Atmosphäre der Geschichte vertiefen, beschreibt Neyestani neben
Hanais auch die Perspektiven anderer Beteiligter. Des mit dem Mordfall
betrauten Richters zum Beispiel, oder die der Familie und die einer
Prostituierten. So spiegelt diese Graphic Novel viele Facetten einer
scheinheiligen Gesellschaft, in der ein Riss in der Wand nicht nur im
metaphorischen, auch im wörtlichen Sinne lieber mit einem Bild verdeckt
wird, anstatt ihn zu kitten.
Besonders erschreckende Figuren sind dabei nicht nur Hanai selbst, sondern
auch seine Frau, die die Morde gutheißt und sich nicht daran stört, dass
diese in ihrem eigenen Wohnzimmer geschahen. Aber vor allem auch der kleine
Sohn des Paares, der genüsslich die Mordsituation für die Kamera nachstellt
und dabei ein breites Grinsen aufsetzt. Einen dramatischen Kontrast dazu
bietet die Sicht eines kleinen Mädchens, die in bunten, kindlichen
Kritzeleien das Leben ihrer Mutter, eine von Hanais Opfern, nacherzählt.
„Die Spinne von Maschhad“ erscheint so als eine rundum gelungene Graphic
Novel. Sie dringt in die Psyche des Täters ein und sagt viel über die
Gesellschaft einer Stadt wie Maschhad. Sie erzählt von der Bigotterie und
den Abgründen eines islamistischen Regimes, welches einen einfachen Mann in
seinem religiösen Wahn befeuerte und damit zu einem Serienmörder ohne Reue
machte.
3 Sep 2018
## LINKS
[1] /Iranischer-Graphic-Novel/!5069818
## AUTOREN
Isabella Caldart
## TAGS
Graphic Novel
Spielfilm
Comic
Graphic Novel
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