Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Beschwerdestelle Petitionsausschuss: Da kann man schon was machen
> Manchmal könnte man an den Berliner Behörden verzweifeln. Das muss man
> aber nicht. Denn da gibt es immer noch den Petitionsausschuss.
Bild: Ein Weiser, wo Hilfe auf den Weg gebracht werden kann
Laut Grundgesetz hat jeder Mensch wesentliche Rechte, die der Staat zu
achten und zu schützen hat. Paragraf 1, die Würde des Menschen, wer kennt
ihn nicht? Andere Grundrechte sind weitaus weniger bekannt, das Recht auf
Vereinsbildung oder freie Berufswahl zum Beispiel. Außerdem hat jeder
Mensch das Recht, so heißt es in Artikel 17, sich mit Bitten oder
Beschwerden an die Volksvertretung zu wenden.
Um diesem theoretischen Recht zur Praxis zu verhelfen, verfügen sowohl der
Bundestag als auch die Regierungen der Bundesländer über eine Adresse im
eigenen Haus für Anliegen der Bevölkerung: den Petitionsausschuss.
Wer in Berlin also Probleme mit der Verwaltung hat, beispielsweise mit dem
Sozialamt, der Polizei oder der BVG, oder einen begründeten Wunsch, etwa
eine Tempo-30-Zone vor der Haustür oder einen Gesetzentwurf zum Verbot von
Feuerwerk, kann sich schriftlich an den Petitionsausschuss des
Abgeordnetenhauses wenden. Das Recht dazu hat, so will es die Verfassung,
jede*r, ohne Ausnahme. Staatsangehörigkeit, Wohnort, Alter oder
Vormundschaft spielen keine Rolle.
„Wir sind der Ausschuss, in dem es um richtige Menschen geht, die sich
direkt und ohne Filter an uns wenden“, sagt Grünen-Abgeordnete Anja
Kofbinger. Sie ist eine der insgesamt zwölf Abgeordneten aller Fraktionen,
die den Petitionsausschuss bilden. Ein Kontrollgremium, das die Berliner
Verwaltung aus sich selbst heraus kontrolliert und gegebenenfalls rügt.
Kofbinger und ihre Kolleg*innen überprüfen bei Beschwerden das Handeln
aller Ämter, der Ausländerbehörde, der Verkehrsbetriebe und Stadtreinigung
oder der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Sie können dann
Fehlverhalten beanstanden und Maßnahmen vorschlagen. Weisungen darf der
Ausschuss den Behörden allerdings nicht erteilen.
Auch Fälle, die private Unternehmen betreffen, gehören nicht in das
Aufgabengebiet, auch wenn Ausschussvorsitzender Kristian Ronneburg (Die
Linke) gerade im Bereich Mieterschutz gern hin und wieder eingreifen würde.
„Wir würden gern mal der Deutsche Wohnen einen Brief schreiben, aber das
liegt nicht in unserer Macht, und das muss man den Petenten dann leider so
sagen“, erklärt der Abgeordnete.
## Viel Soziales und Ausländerrecht
Über 1.500 Petitionen sind im vergangenen Jahr im Abgeordnetenhaus
eingegangen, so steht es in dem kürzlich veröffentlichten Jahresbericht.
Eine Zahl, die seit Jahren beständig bleibt. Die meisten Petitionen
betrafen das Ausländerrecht (185) und Soziales (184), gefolgt von Verkehr
(108), Umwelt (101) und Justiz (94). Kaum Petitionen dagegen gab es in den
Bereichen Hochschulen und Wissenschaft (11), Einbürgerungen (5) und Sport
(4).
Etwa 35 Fälle bearbeitet der Petitionsausschuss im Durchschnitt pro Woche.
Ein hohes Arbeitspensum, das Ronneburg auch damit erklärt, dass in vielen
Fällen den Menschen lediglich Auskünfte über die Bearbeitung ihrer Anträge
fehlen. Solche Petitionen sind oft schnell erledigt.
Andere hingegen dauern Wochen, Monate, sogar Jahre. „Da braucht man einen
langen Atem“, betont Ronneburg. 2013 erreichte den Ausschuss die Petition
zweier Männer, denen die Adoption eines Kindes durch das Standesamt
Treptow-Köpenick verwehrt worden war. Das Berliner Paar hatte das Kind in
Südafrika adoptiert. Über zwei Jahre lang begleitete und unterstützte der
Ausschuss die beiden Petenten. Dabei stellte er sich auch gegen die
Senatsverwaltung für Inneres, die aufseiten des Standesamtes nach ersten
Gerichtsurteilen in Revision gehen wollte. Am Schluss landete der Fall vor
dem Bundesgerichtshof, der die Beschwerde des Standesamtes zurückwies und
die Adoption ermöglichte.
Es sind Fälle wie dieser, wo das Anliegen des Einzelnen zum Präzedenzfall
wird. Aufgrund einer einzigen Petition können ganze Richtlinien innerhalb
von Behörden hinterfragt werden. So beschwerte sich die Mutter einer Frau
mit Behinderung über die Kürzung des Bekleidungsgeldes ihrer Tochter. Bei
den Nachforschungen stieß der Petitionsausschuss auf Fehler in der
entsprechenden Regelung. Das Ergebnis: Nicht nur die Petentin, sondern alle
Betroffenen erhielten mehr Geld.
## Eingaben ohne Netzgemeinschaft
Um aber von dem Petitionsrecht Gebrauch machen zu können, muss wissen, dass
es den Ausschuss gibt. Neben der inhaltlichen Arbeit ist es für Ronneburg
daher eine Daueraufgabe, den Ausschuss bekannter zu machen.
Arbeitsberichte, Straßengespräche und YouTube-Videos sind Teil der
Öffentlichkeitsarbeit. Ein Problem sieht er jedoch in einem zunehmend
verschobenen Verständnis des Petitionsbegriffs. „Viele verbinden den
Begriff heutzutage damit, dass ich auf Internetplattformen eine Petition
einreichen kann und Unterstützung sammele, um dann ein Anliegen an die
Politik vorzubringen“, so Ronneburg.
Die Sorge ist nicht unberechtigt. Immer wieder finden Petitionen von
Plattformen wie Openpetition.de oder Change.org das Gehör der breiten
Öffentlichkeit. Verstärkt durch soziale Netzwerke regen sie eigene
politische Debatten an. Doch diese sind die Ausnahme. Ein Großteil der ins
Netz gestellten Anliegen bleibt weitestgehend unbemerkt – und ungelöst. Der
Petitionsausschuss hingegen, so Ronneburg, behandele alle Petitionen, ob
mit oder ohne Unterstützung der Netzgemeinschaft.
Ein weiterer Unterschied zu Onlinepetitionen ist, dass sich der Ausschuss
auch um sehr persönliche Anliegen kümmert. Wer sich vom Busfahrer
unfreundlich behandelt fühlt, von der BSR beim Müllabholen ausgelassen wird
oder die Entscheidung des Sozialamtes anzweifelt, kann sich darüber
beschweren und eine Entschuldigung seitens der Behörden fordern. In diesen
Fällen haben die Petent*innen oft kein Interesse an großem Aufsehen,
erklärt Anja Kofbinger. Auch deshalb tage der Petitionsausschuss nicht
öffentlich.
Der Ausschluss der Öffentlichkeit habe darüber hinaus noch einen zweiten
Vorteil, ergänzt die Grünen-Abgeordnete. Das erlaube es, pragmatisch und
über Parteigrenzen hinaus zu arbeiten, ohne das hinderliche „Parteigetöse�…
Besonders für die erstmals im Parlament vertretene AfD sei das ein neues
Umfeld gewesen, da es kein Publikum gebe, betont Kofbinger. Denn: „Die AfD
wirkt vor allen Dingen nach außen, auf Publikum, wo sie sich abfeiert, wie
toll sie alle beschimpft hat.“ Im nichtöffentlichen Petitionsausschuss aber
mache ein solches Verhalten wenig Sinn. „Das wurde gleich am Anfang
abgewürgt“, erinnert sich Kofbinger, „nach dem Motto: Benehmen Sie sich
mal!“ Mittlerweile funktioniere die Arbeit im Ausschuss wieder gut.
## Ausschuss als Seismograf
Durch die Vielfalt der Themen versteht sich der Petitionsausschuss seit je
her als Seismograf dafür, was die Berliner Bevölkerung bewegt. „Die Themen,
die bei uns landen, sind ein gutes Spiegelbild dessen, was gerade nicht so
gut läuft in der Stadt oder was besser werden sollte“, erklärt Ronneburg.
So gibt es hin und wieder mehrere Petitionen zum selben Anliegen. Andere
Themen gelangen über Bürgersprechstunden oder die Arbeit der Abgeordneten
in ihren Bezirken an den Ausschuss. Dann kann er auch ohne konkrete
Petition entscheiden, sich mit einem Thema zu befassen. So wird aus der
Einzelfallprüfung Ursachenforschung.
Doch wie der Ausschlag des Seismografen vom Beben zeugt, so gehen den
Petitionen jeweils persönliche Erschütterungen voraus. Diese sind
Situationen, in denen sich ein Mensch ungerecht behandelt oder einfach
ignoriert fühlt, besonders im tiefen Labyrinth der Bürokratie.
Dieses Gefühl kennt auch Tom Engel. Der Berufsbetreuer hat für seine
Klienten regelmäßig mit Berliner Behörden zu tun. „Ich stoße immer wieder
an Grenzen“, klagt er. Auf Anfragen bekomme er keine Antwort, Anträge
dauern teilweise ein Jahr. Mehrmals habe er sich daher auch an den
Petitionsausschuss gewandt. Jedes Mal erfolgreich. „Der Ausschuss ist wie
ein Katalysator“, berichtet Engel, „er beschleunigt den Prozess.“ Auf
einmal hätten die Ämter innerhalb weniger Tage reagiert, erinnert er sich,
„die wissen ja auch, dass der Petitionsausschuss da hinterher ist“.
Ob Behörden deshalb genervt von Ronneburg und seinen Kolleg*innen sind?
„Wir hoffen das sehr“, sagt Kofbinger lachend. Andreas Kugler (SPD),
stellvertretender Ausschussvorsitzender, fügt hinzu: „Mir ist es
schlichtweg egal. Das ist einfach unsere Rolle.“ Manchmal gehe es den
Menschen nur darum, zu verstehen, was mit ihren Fällen und Akten passiert.
Solche Fragen wollen sie beantworten, auch wenn das den Behörden
zusätzliche Arbeit abverlangt.
Von einzelnen Petitionen auf ein grundlegendes Problem im Umgang der
Berliner Behörden mit den Menschen zu schließen, hält Andreas Kugler jedoch
nicht für richtig. „Grundsätzlich ist der Petitionsausschuss ein
Kontrollinstrument und hat damit viel mit Einzelfällen zu tun“, sagt er.
Außerdem seien es eben nur die negativen Erfahrungen, die überhaupt beim
Petitionsausschuss ankommen. Reibungslose Fälle seien schließlich kein
Anlass für eine Petition. Und in manchen Fällen stelle sich auch heraus,
dass die Behörde alles richtig gemacht hat. Das sei dann zwar für einen
Petenten eine negative Antwort, für die Berliner Verwaltung jedoch ein
gutes Ergebnis. Seine Bilanz fällt daher positiv aus: „Ich glaube schon,
dass wir eine ganze Menge zum Positiven verändert haben.“
Dem stimmt auch Kofbinger zu. Seit Jahren ist sie Mitglied des
Petitionsausschusses, die Arbeit sei spannend und abwechslungsreich.
Lediglich die elf Mitarbeiter*innen im Büro seien nicht gerade viel, sagt
sie, das dürften ruhig mehr sein. Im Zweifel kann sie immer noch eine
Petition dazu einreichen. Das Recht darauf hat sie.
Dieser Text ist Teil eines Schwerpunkts zum Thema Petitionsausschuss.
Beispiele, wo der eine Hilfestellung gab: [1][Für Beschleunigung gesorgt]
6 Sep 2018
## LINKS
[1] /Hilfestellung-Petitionsausschuss/!5532180
## AUTOREN
Daniel Stoecker
## TAGS
Behörden
Bürgerrechte
Petition
Behörden
Petition
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hilfestellung bei Ärger mit den Ämtern: Das Recht, sich zu beschweren
Wenn man sich an der Bürokratie die Zähne ausbeißt: Kann man sich
beschweren. Petitionsausschüsse schützen dieses Recht.
Beschwerdestelle für Bürger*innen: Ein sehr fleißiger Ausschuss
Der Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses kontrolliert die Arbeit der
Berliner Behörden. 2017 wandten sich mehr als 1.500 Bürger*innen mit ihren
Anliegen an ihn.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.