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# taz.de -- Die Wahrheit: Muschi hat den Dreh raus
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (60): Katzenliebe gleich
> Raubtierkapitalismus gleich Parasitenbefall allerorten.
Bild: Süüüẞ! Auch Kafkas Katze kriegte übrigens Gedichte deklamiert
Jeder kennt solche Leute: Sie müssen sich auf jede Katze stürzen und sie
mit Entzückensrufen streicheln. Sie posten auf Facebook Katzen-Clips und
-fotos und verschenken Katzenbücher oder sie schreiben – selbst ein wenig
über sich erstaunt – im Stern-Ableger Neon: „Mein Kater ist ein Arschloch.
Ich liebe ihn aber trotzdem.“ Er, Picasso, sei manchmal richtig „fies“.
Erklären kann die Autorin ihre Zuneigung nicht.
Im Internetforum „lieblingskatze“ heißt es: „Klar, wir alle lieben unsere
Katzen. Doch was ist es eigentlich genau, was uns immer wieder in
Verzückung geraten lässt?“ Für die Autorin sind das vor allem
physiologische Eigenschaften: „Ein entzückendes rosa Näschen“, „ein
flauschiger Bauch“ und so weiter.
Nun gut, das sind journalistische Artikel, wie sieht es mit der Katzenliebe
von Schriftstellern aus, die ihrem Haustier ein ganzes Buch widmeten?
E.T.A. Hoffmann fand eines Tages einen ausgesetzten kleinen Kater, der sich
zum „gescheitesten, artigsten, ja witzigsten Tier“ entwickelte. Als er
starb, veröffentlichte Hoffmann einen „Nachruf“ auf ihn, aus dem er 1809
eine ganze Gesellschaftssatire machte: Die „Lebens-Ansichten des Katers
Murr“.
Der Kater fungiert darin als Ich-Erzähler, dessen Schilderung seiner
Erlebnisse ausführliche Reflexionen zur „Bildung des Lesers“ enthalten.
Murr liefert ein Rezept dafür, „wie man sich zum großen Kater bildet“. 100
Jahre später schrieb der japanische Schriftsteller Natsume Soseki einen
Roman, „Ich, der Kater“, nachdem er ebenfalls zuvor einen Nachruf auf
seinen verstorbenen Kater verfasst hatte. Sosekis Kater spricht auch, es
geht ihm um eine satirische Kritik an der sich ab 1900 stürmisch
industrialisierenden Gesellschaft Japans. Christa Wolf veröffentlichte 1981
„Neue Lebensansichten eines Katers“. Allen drei Autoren ging es dabei um
die menschliche Gesellschaft, über die Gründe der Zuneigung zu ihren Katern
schwiegen sie.
Näher kam dem vielleicht Franz Kafka, der Katzen „im Geheimen seit jeher
gehasst“ hatte, aber sich dann – wegen der Mäuse in seinem Zimmer – eine
anschaffte, in die er sich fast gegen seinen Willen verliebte, sodass er
eines Tages seiner „kleinen schlafenden Katze ein Gedicht deklamierte“.
Doris Lessing besaß viele Katzen in ihrem Leben und veröffentlichte mehrere
Bücher über sie. Sie meinte zuletzt sogar, dass sie inzwischen mehr über
eine gestorbene Katze trauere als über einen gestorbenen Bekannten oder
Verwandten.
## Parasit ist Trumpf
Ja, sagt da das Magazin der Max-Planck-Institute, Forschung (im MPI-Heft
5/2018), das liegt wahrscheinlich daran, dass es ihr vom Einzeller
Toxoplasma gondii aufgedrängt wurde, denn der „tut alles dafür, dass der
Mensch und die Katze zusammenfinden. Den Menschen braucht er als
Zwischenwirt. Nur im Darm von Raub- und Hauskatzen kann der Parasit neue
Eier legen … Das würde erklären, warum sich infizierte Menschen von Katzen
besonders angezogen fühlen.“
Auch der Philosoph Hans Blumenberg zählte wohl zu den Infizierten, als er
gegenüber den Genpool-Erhaltern einwandte: „Auch ohne naturschützerische
Gebärde muss gesagt werden, dass eine Welt ohne Löwen trostlos wäre.“
Leider ist es schon bald so weit: Die Raubtierforscher prognostizieren,
dass höchstens die (urbanen) Hauskatzen überleben werden.
## Private Extremhaltung
Mir gehört eine solche Hauskatze zur Hälfte. Aber so sehr wir uns um sie
besorgen, ihre häusliche Haltung ist Tierquälerei, extreme
Reizunterflutung. Es gibt jedoch keinen Ausweg, auch wenn wir uns ernsthaft
um ihre Lebensverlegenheiten bekümmern und an ihrem Witz erfreuen. Nun
können wir uns aber damit trösten, dass unser Bemühen um sie einen tieferen
Grund hat: Auch wir sind eben vom Parasiten Toxoplasma gondii befallen. Das
MPI-Magazin kam zur rechten Zeit: Denn mit Toxoplasma gondii spricht es uns
quasi von unserer närrischen Katzenliebe frei: Depolitisierung? Nein, ein
übler Parasit steuert uns. So weit, so blöd.
Eine tschechische Studie kam unterdessen zu dem Schluss, dass mit
Toxoplasma gondii infizierte Männer attraktiver auf Frauen wirken als nicht
infizierte. Und eine dänische Untersuchung von 45.000 Frauen erbrachte,
dass mit dem Neuroparasiten infizierte Frauen mit einer um 50 Prozent
höheren Wahrscheinlichkeit einen Suizidversuch unternehmen.
Ende Juli erschien auch noch im Magazin für Naturwissenschaft Spektrum die
Zusammenfassung einer sozialwissenschaftlichen US-Studie über die Wirkung
des „neurologischen Manipulators ‚Toxoplasma gondii‘“. Sie reichte übe…
Ökologie hinaus ins Ökonomische, und das schon in der fragenden
Überschrift: „Macht Katzenparasit Berufsanfänger mutiger?“
Das Forschungsergebnis wurde in den Proceedings of the Royal Society B
veröffentlicht: „Wohl mehr als zwei Milliarden Menschen sind weltweit mit
‚Toxoplasma gondii‘ infiziert“, und schon „seit Langem berichten Forsch…
über Indizien für mögliche psychische Veränderungen bei Infizierten“. Die
neue Studie zeige nun, „dass toxoplasmainfizierte Menschen weltweit
häufiger beruflich selbstständig sind – und somit Risiken vielleicht anders
bewerten als andere.“ (Wir, die wir uns den Besitz und die Pflege der
kleinen Hauskatze teilen, sind beide selbstständig – Zufall?)
Die Autoren des ersten im MPI-Magazin referierten Forschungsergebnis
wollten mit ihrem „Toxoplasma“ darauf hinaus, dass einst, als die
Raubkatzen noch viele waren und gefährlicher, die Menschen aber weniger und
hilfloser, dieser üble Parasit sie geradewegs in ihre tödlichen Fänge
trieb. Er manipulierte sie also derart, dass sie das Risiko, sich einer
oder mehreren Raubkatzen zu nähern, anders bewerteten als andere, die
hübsch auf Distanz zu ihnen blieben.
## Steile Mäusethese
Die Autoren der zweiten in Spektrum referierten Toxoplasma-Studie testeten
ihre steile These erst einmal an Mäusen, indem sie sie mit dem Einzeller
infizierten. Und siehe da: „Er macht die Nager zum Teil selbstmörderisch
mutig.“ Zudem wurden die Tiere geradezu magisch von Katzenurin angezogen.
Daraufhin untersuchten sie 1.495 Studenten: Die mit dem Erreger infizierten
„wählen knapp eineinhalbmal so häufig wie Gesunde Wirtschaftswissenschaften
im Hauptfach.“
Und schließlich stellten sie „bei Teilnehmern an Berufsbörsen, die auf eine
selbstständige Tätigkeit vorbereiten sollen“, fest, dass diese „1,8mal
häufiger infiziert sind als der Durchschnitt der Bevölkerung“. Zuletzt
durchforsteten sie auch noch demografische Statistiken aus 42 Ländern –
dann stand für sie fest: „Offenbar korreliert die Durchseuchungsrate mit
‚Toxoplasma‘ in einem Land mit dem Prozentsatz der Selbstständigen.“
Da jedoch nicht wenige Selbstständige scheitern, könne man aber nicht
sagen, „dass der Einfluss des Parasiten Menschen grundsätzlich
erfolgreicher“ mache. Er bleibt also auch im Anthropozän quasi
raubtierorientiert. Dies hatte bereits schon die Tübinger Genetikerin und
Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard geahnt – „dass die Natur in
gewisser Weise kapitalistisch funktioniert“.
27 Aug 2018
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Biologie
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