# taz.de -- Angebliche Terroropfer: Die Schwindler von Nizza und Paris | |
> Nach den Anschlägen in Frankreich wollte man es den Opfern leicht machen, | |
> Entschädigungsgelder zu erhalten. Das haben auch Betrüger ausgenutzt. | |
Bild: Gedenken vor dem Pariser Café Le Carillon zwei Tage nach dem Anschlag vo… | |
Paris taz | Ihr Porträt war in mehreren Magazinen zu sehen. Mit einem | |
Blumenkranz im Haar zeigte Alexandra D. beim Fotoshooting stolz ihren | |
linken Arm, auf dem sie sich das Wappen und die Devise der Stadt Paris | |
tätowieren ließ: „Fluctuat nec mergitur“ (Sie schwankt, aber geht nicht | |
unter). Auf immer solle sie das [1][an den schicksalhaften 13. November | |
2015] erinnern, erklärte sie dazu. | |
Niemand in Paris hat diese Nacht vergessen, in der islamistische | |
Terroristen im Konzertsaal Bataclan, auf Terrassen mehrerer Cafés und Bars | |
sowie vor dem Stade de France in Saint-Denis insgesamt 130 Menschen getötet | |
und 354 verletzt haben. Alexandra D. hatte erzählt, wie sie auf der | |
Terrasse des Cafés Le Carillon von einer Kugel der Terroristen am | |
Ellenbogen getroffen wurde. Alle hatten ihr geglaubt. | |
Warum auch nicht? Sie hatte beim staatlichen „Fonds für die Opfer von | |
Terroranschlägen und anderen Verbrechen“ ein Gesuch eingereicht und als | |
pauschale Entschädigung 20.000 Euro erhalten. | |
Im Juni dieses Jahres wurde Alexandra D. als Schwindlerin und Betrügerin | |
entlarvt. Sie wohnte zwar gleich neben dem Café Le Carillon. Doch sie | |
befand sich offenbar nicht auf der Terrasse, auf der Gäste von Terroristen | |
beschossen wurden, und sie wurde wohl auch nicht verletzt. | |
## Bisher 17 Verurteilungen | |
Am Tag nach der Schießerei gab sie mit von Tränen geröteten Augen dem | |
US-Fernsehsender CNN ein Interview, in der sie eine andere Story erzählte: | |
Sie sei dem Attentat knapp entgangen, weil sie nicht wie ursprünglich | |
geplant zur Verabredung gegangen sei. Zwei ihrer Freunde aber seien beim | |
Carillon erschossen worden. Vielleicht entsprach wenigstens dies der | |
Wahrheit? | |
Die 32-Jährige ist nun wegen Betrugs und wegen falscher Angaben angeklagt. | |
Am 2. Oktober wird sie deswegen vor Gericht stehen. Sie riskiert eine | |
exemplarisch strenge Gefängnisstrafe. Leider ist sie nicht die Einzige, die | |
versucht hat, mit Lügengeschichten Entschädigungen zu ergaunern. 17 andere | |
Personen in Frankreich wurden deswegen bereits verurteilt. | |
Aus Rücksicht auf die traumatischen Erlebnisse wurde es den Opfern der | |
Anschläge leicht gemacht, bei der Polizei eine Klage einzureichen und ohne | |
großen bürokratischen Aufwand Geld vom staatlichen Entschädigungfonds zu | |
beziehen. Hilfsorganisationen wie Life for Paris unterstützen sie dabei. | |
## Mehrere Jahre Gefängnis | |
Das nutzen aber auch Schwindler aus. So wie Sasa D. (37) und Vera V. (30) | |
aus Cannes. Die beiden hatten sich als Opfer des Anschlags vor dem Stade de | |
France im November 2015 ausgegeben und dafür je 30.000 Euro als | |
Entschädigung bezogen. | |
Das reichte ihnen jedoch nicht. Als sie hörten, dass am Abend des 14. Juli | |
2016 in Nizza an der Uferpromenade ein Lastwagen vorsätzlich in eine | |
Zuschauermenge gerast war, fuhren sie mit zwei Familienangehörigen sofort | |
nach Nizza, um sich dort als Opfer zu melden. | |
Der Anschlag hatte 86 Todesopfer und viele Verletzte gefordert, die vier | |
aus Cannes aber gehörten nicht dazu. Mithilfe der Ortungsdaten ihrer | |
Telefone war das leicht festzustellen. Im Dezember 2016 wurden sie vom | |
Berufungsgericht zu vier und sechs Jahren Gefängnis ohne Bewährung | |
verurteilt. | |
## Mehr als die Pauschale | |
Noch schockierender ist höchstens der Fall von Florence M. Sie war bereits | |
drei Mal wegen Betrugs vorbestraft, als sie sich im Februar 2016 als | |
angebliches Opfer des Attentats im Bataclan meldete. Von ihrer Versicherung | |
hatte sie bereits 13.000 Euro erschwindelt, vom Solidaritätsfonds zudem | |
einen Vorschuss auf 25.000 Euro Entschädigung kassiert und bei der Stadt | |
Paris unter Hinweis auf ihren Status als Attentatsopfer eine Sozialwohnung | |
verlangt. | |
Doch da sie sich nicht mit einer Pauschale (maximal 30.000 Euro) begnügen | |
wollte, wählte sie ein komplizierteres Verfahren, für das sie weitere | |
Dokumente einreichen musste. Sie wähnte sich wohl über jeden Verdacht | |
erhaben – schließlich war sie auch bezahlte Mitarbeiterin der Organisation | |
Life for Paris. Doch die Polizei deckte ihren skrupellosen Schwindel auf, | |
Florence M. ist im Februar verhaftet und im März zu viereinhalb Jahren Haft | |
verurteilt worden. | |
Für die echten Opfer und Hinterbliebenen sind solche Betrügereien | |
unverzeihlich, da sie einen Schatten des Misstrauens auf die Erinnerung | |
werfen. „Das sind Fälle von skandalösem Verhalten, die für die wahren Opfer | |
zusätzliches Leiden schaffen“, erklärte Julien Rencki, der Direktor des | |
Entschädigungsfonds in der französischen Tageszeitung Le Figaro. Er | |
vermutet, dass es noch mehr unentdeckte Schwindler gibt. | |
14 Aug 2018 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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