# taz.de -- Nachruf Klaus Wildenhahn: Ein Meister der Grautöne | |
> Klaus Wildenhahn hat in den 60er-Jahren den deutschen Dokufilm neu | |
> erfunden. Ein Nachruf auf einen, der keine Scheu vor dem Alltäglichen | |
> hatte. | |
Bild: Er zeigte den Alltag, die Provinz, oft in Schwarz-Weiß: der Dokufilmer K… | |
Wer in 100 Jahren wissen will wie Westdeutschland war, welche Tonalität und | |
Gesten, welche Gefühle (versteckte vor allem) es gab, wird vielleicht | |
[1][in Klaus Wildenhahns Dokumentarfilmen] fündig werden. Künstler und | |
Arbeiter, Politiker und Kneipenbesucher, Tänzerinnen und gewöhnliche Leute | |
bevölkern diese Filme. Alltag, oft Provinz, oft in Schwarz-Weiß. Mit vielen | |
Grautönen. | |
Wildenhahn zeigte in den 70er- und 80er-Jahren Arbeitskämpfe, etwa in | |
„Emden geht nach USA“ oder „Rheinhausen“. Seine Helden waren mitunter | |
schweigsame, willensstarke Männer. Er mochte, glaube ich, die Filme von | |
John Ford. Wildenhahn war seinen Figuren nah, er sympathisierte mit ihnen | |
und er fühlte sich einer ethisch rückgekoppelten Ästhetik verpflichtet. | |
„Wenn die Menschen, die wir filmen, in ihrem Bereich souverän sind und uns | |
– unausgesprochen – mitnehmen mitschwingen lassen“- das war sein Ziel. | |
Dieses Konzept mag uns in Zeiten von scripted reality fern vorkommen wie | |
die künstlerischen Gebote der Ikonenmalerei. | |
[2][Wildenhahn galt damals als Arbeiterfilmer.] Aber das war ungenau. Jedes | |
Bild in seinen fast 50 Filmen ist eine Beobachtung. Das ist nicht banal. Es | |
gibt darin keine Bilder, die etwas beweisen sollen. Das Agitatorische war | |
ihm fern, schon habituell. Er ruhte in sich selbst und strahlte eine | |
Besonnenheit aus, die sich in der Genauigkeit seiner Filme spiegelte. | |
## Das Agitatorische war ihm fern | |
Einer seiner ersten Filme, ein viertelstündiger Film über den Parteitag der | |
SPD in Hamburg 1964, zeigt nicht nur das Ereignis -Wahl, Reden, Machtkampf | |
– ,„sondern auch das Inoffizielle im Offiziellen“. Das Nebensächliche, | |
Übersehene, Banale. Das, wenn man es Jahrzehnte später anschaut, als das | |
Eigentliche erscheinen mag. | |
Wildenhahn entdeckte das direct cinema für das deutsche Fernsehen. Ende der | |
50er Jahre gab es mobile Kameras und damit eine Technik, die die filmische | |
Erfassung des Spontanen ermöglichte. In den USA lösten D.A. Pennebaker und | |
Richard Leacock den Dokumentarfilm aus seinen Fesseln, [3][Wildenhahn tat | |
es ihnen für die Bundesrepublik nach.] | |
Er war mehr als 30 Jahre Redakteur beim NDR. Auch das ist nicht banal. Es | |
klingt 2018 wie ein Märchen aus vergangener Zeit. Die Fernsehredaktionen | |
sind weitgehend zu Formatierungsmaschinen ohne kreativen Esprit geworden. | |
Schwer vorstellbar, dass sich Sender einen eigenwilligen dokumentarischen | |
Autorenfilmer leisten, der seine künstlerischen und technischen Freiheit | |
nutzt. Jemand wie Wildenhahn würde heutzutage kaum mehr Redakteur beim | |
öffentlich-rechtliche Rundfunk werden können. | |
## Er zeigte Kunst als Arbeitsprozess | |
Seine schönsten Filme zeigten Künstler, John Cage, Pina Bausch, Merce | |
Cunningham. Aber das waren keine Künstlerportraits, die das eigene Medium, | |
das im Feuilleton damals eher verachtet wurde, mit höheren Bildungsweihen | |
versehen sollte. Wildenhahn zeigte Kunst als Arbeitsprozess, so wie | |
alltägliche Szenen in Ostfriesland oder Duisburg-Rheinhausen plötzlich | |
leuchten konnten wie Momente der Kunst. „Vielleicht“, schrieb er 1974, | |
„steckt die größte Könnerschaft im Dingfestmachen der Leerstellen, des sich | |
ausbreitenden Schweigens.“ | |
Gelernt hat er diesen Blick im Kino. Auch in Filmen des japanischen | |
Regisseurs Ozu. Dort, sagte er mal, „habe ich das Gefühl entdeckt für die | |
tausend Dinge, die im Alltag passieren, und für die Pausen, die dabei | |
entstehen“. | |
Die Pausen, die kaum mehr in TV-Formate passen. | |
Klaus Wildenhahn starb am 9. August in Hamburg im Alter von 88 Jahren. | |
11 Aug 2018 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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