Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kapitän über den Streit ums „Traumschiff“: „Alle waren auf …
> Andreas Jungblut war Kapitän des ZDF-“Traumschiffes“, bis er zum
> Whistleblower wurde. Das kostete ihn seinen Job. Jetzt steht er am Steuer
> einer Luxusyacht.
Bild: Dingi statt Yacht: Kapitän Andreas Jungblut schippert auch gerne mit dem…
taz: Herr Jungblut, leben in Hamburg-Övelgönne wirklich so viele Kapitäne?
Andreas Jungblut: Bis vor Kurzem war ich der letzte, jetzt ist wieder einer
zugezogen. Aber in meiner Kindheit waren da bestimmt 50 Familien, die mit
der Seefahrt zu tun hatten und zu denen wir Kinder alle Onkel und Tante
sagten. Erst waren sie Kapitäne und wenn dann Frau und Kinder kamen,
wechselten viele zu den Lotsen, um mehr Zeit für ihre Familie zu haben.
Sie haben als Kapitän vermutlich hunderte Häfen angefahren. Was ist das für
ein Gefühl in Hamburg einzulaufen?
Das ist für mich neben den Stockholmer Schären und Venedig die schönste
Hafeneinfahrt. Wenn die Sonne aufgeht, passieren wir meist Wedel, danach
kommt Rissen mit dem Falkensteinufer und ein unglaubliches Vogelgezwitscher
ist zu hören. Mein Vater, der Elblotse war, erzählte mir von einem
griechischen Kapitän, der sein Schiff bei Morgendämmerung zum Stoppen
brachte, nur um die Vögel zu hören. Dann die freie Sicht auf Hamburgs
Kirchtürme und den Hafen im goldmatten Morgenlicht!
Im August 2012 standen Sie nicht auf der Brücke, als die MS Deutschland die
deutsche Olympiamannschaft von London nach Hamburg brachte. Kurz vorher
lauteten die Schlagzeilen: [1][„Meuterei auf dem Traumschiff – Kapitän muss
von Bord“]. Was war passiert?
Die Reederei Deilmann, der die „Deutschland“ gehörte, war damals übernomm…
worden. Der letzte Geschäftsführer hatte ein insolventes Unternehmen
hinterlassen. Ein Teil der Belegschaft hatte schon einen neuen Eigner
ausgeguckt, aber die Deutsche Bank, die die Schiffsfinanzierung gebündelt
hatte, entschied sich für eine Münchner Investment-Firma. Das waren
McKinsey-Jünger reinsten Geblüts. Die waren stolz darauf, das „Traumschiff�…
zu besitzen, hatten aber von Seefahrt und Tourismus keinen blassen
Schimmer. Der Umsatz sank von 60 Millionen Euro auf 30 Millionen. Als
Konsequenz kamen sie auf die einfallsloseste aller Ideen: überall
einzusparen, die Leistungen zu kappen, die Qualität der Angebote zu mindern
und am Ende des Leidens wollten sie die „Deutschland“ sogar nach Malta
ausflaggen.
Was hätte das bedeutet?
Dass die Crew aus der deutschen Sozialversicherung fliegt und nicht mehr
nach deutschem Tarif bezahlt wird. Aber mich hat hauptsächlich der
unternehmerische Ansatz geärgert. Das Schiff hieß „Deutschland“, und die
deutsche Flagge war unser Markenkern. Die Passagiere buchten extra, weil
sie wussten, dass hier noch ordentliche Tarife bezahlt wurden. Ausgerechnet
das wollten sie aushöhlen. Erst wollte ich mich zurückhalten, aber ich
wusste, dass ich einen unglaublich großen Hebel in der Hand hatte. Die
Crew, die Passagiere, die Öffentlichkeit – alle waren auf meiner Seite. Da
bin ich aus der Deckung gegangen.
Der Konflikt eskalierte während der Olympischen Spiele, als das Schiff als
„Deutsches Haus“ im Hafenbecken von London lag. Wie kam es dazu?
Wir waren zwei Kapitäne, einer hatte Urlaub, einer fuhr das Schiff. Bei
meinem Kollegen hatte sich der Eigentümer leichteres Spiel ausgerechnet.
Ich saß in Övelgönne am Strand und dachte trotzdem, dass der Eigentümer
nicht so blöd sein wird, ausgerechnet während der Olympischen Spiele
auszuflaggen. Dann jedoch wurde ich informiert, dass ein Spezialist nach
London geschickt wurde, der die Ausflaggung und die Umschreibung der
Schiffspapiere vorbereiten sollte. Ich bin sofort aufgestanden und nach
London geflogen. Am nächsten Tag stand ich in der Kapitänskabine.
Wie darf man sich die Szenerie vorstellen?
Die Tür war zu, ich bin rein marschiert und da saßen sie – der Eigner und
der Kapitän – im Halbdunkel. Der arme Kapitän wurde bearbeitet, damit er ja
die Crew ruhig hält. Ich sagte, ich wolle nur ein paar Sachen abholen, aber
sie wussten natürlich, dass ich den Flaggenwechsel torpedieren wollte. Ein
Wort gab das andere und schließlich verwies der Eigentümer mich des
Schiffes. Verständlich aus seiner Sicht, aber er unterschätzte meinen
Einfluss auf die Passagiere und die Öffentlichkeit. Ein Kapitän ist immer
noch eine Respektsperson. Sogar Bundespräsident Gauck, der in London das
Schiff besuchte, musste zur Ausflaggung ein Statement abgeben.
Und Sie?
Ich verließ die Tanzfläche in London wieder, die Kugel rollte ja auch ohne
mich weiter. In London haben sie gemerkt, dass sie die Ausflaggung nicht
hinbekommen, und die Pläne zurückgezogen. Und mich wollten sie kurz danach
wieder zurückhaben, weil die treuen Stammgäste der „Deutschland“
stornierten und Stellungnahmen abgaben. Ein halbes Jahr ging es noch gut –
bis zu meiner endgültigen Entlassung, weil ich die Presse über
Verkaufspläne an Chinesen informiert hatte.
Dafür hat Ihnen das Arbeitsgericht dann noch eine satte Abfindung
zugesprochen. Waren Sie schon immer so aufmüpfig?
Es lag wohl auch in meiner Familie, dass wir uns nichts haben sagen lassen.
Wir waren 68er-Kinder. Aber bei der Ausflaggung war mein Impuls gar nicht,
die große Randale zu machen. Es war bei mir mehr die unternehmerische Sicht
der Dinge. Meine Idee war damals, einen neuen seriösen Käufer zu finden,
mit dem Ziel, die Zukunft der Reederei und ihre Tradition zu sichern, weg
von dem kurzatmigen Investor.
Wie ordnen Sie den Konflikt um die Ausflaggung in Ihrer Biografie ein? Als
einen Höhepunkt?
Die Höhepunkte lagen dann doch eher im Bereich des professionellen Fahrens.
Zum Beispiel in Grönland, wenn ich mit ganz langsamer Fahrt an Eisberge
herangefahren bin. Da muss man schon ein bisschen sensibel und feinfühlig
mit dem Schiff manövrieren können.
Wie sind Sie als Alt-68er überhaupt auf diesem Flaggschiff der
Kreuzfahrtbranche gelandet?
Das war Zufall, nach meiner Zeit auf Frachtschiffen wollte ich schon die
Seefahrt an den Nagel hängen. Containerschifffahrt hat mich nicht mehr
gereizt. Dann aber bin ich 1985 auf dem Passagierschiff [2][„Berlin“]
gelandet, auch bekannt als das „Traumschiff“ des ZDF-Produzenten Wolfgang
Rademanns. Da waren Schauspieler, Musiker, viele interessante Menschen, mit
denen ich mich unterhalten konnte. Es war alles bunter, frischer,
lebendiger als auf den Frachtschiffen. Und es gab Frauen in der Crew, ein
Novum für mich damals als Seemann. So bin ich da hängen geblieben.
Ökologisch haben Kreuzfahrten nicht so einen guten Ruf.
Wir hatten damals maximal 520 Passagiere, das war ein kleines Schiff, kein
Monster mit 3.000 bis 4.000 Passagieren. Ich gehöre zu der Generation, die
die Umweltpolitik auf die politische Agenda gesetzt hat, obwohl ich während
meiner Zeit auf dem Atomschiff „Otto Hahn“ noch etwas blauäugig an die
friedliche Nutzung der Atomkraft glaubte. Umweltpolitik in der Schifffahrt
muss gesetzlich international durchgesetzt werden. Das geht nicht von heute
auf morgen. Es bedarf Übergangszeiten für ältere Schiffe. Aber schon jetzt
tut sich was. So darf zum Beispiel das billigere schwefelhaltige Schweröl
nicht mehr in der Nordsee und in den deutschen Häfen von den Schiffen
benutzt werden. Dank des öffentlichen Drucks bewegen sich auch die
internationalen Gremien der Schifffahrt zu mehr Umweltschutz. Aber nichts
ändert sich ohne Druck.
In Venedig, wo Sie mit Ihrem jetzigen Schiff liegen, protestiert die
Bevölkerung gegen die Kreuzfahrtschiffe. Bekommen Sie das mit?
Das verfolge ich als politischer Mensch natürlich. In Venedig nutzen die
Kritiker von [3][„no grandi navi“] das Thema der großen Schiffe vor allem,
um auf den unsäglichen Zustrom der Land-Touristen aufmerksam zu machen, die
die Stadt täglich überfluten und nebenbei die Mietpreise für den einfachen
Venezianer hochtreiben.
Ihr Schiff, die [4][Carinthia VII] der Milliardärin Heidi Horten, zählt
angeblich zu den 50 größten Yachten der Welt. Wie sieht Ihr Job darauf aus?
Ich will nicht ins Detail gehen, aber mit 100 Metern ist die Yacht
tatsächlich groß, obwohl die Saudis und die Russen immer noch größere, aber
nicht unbedingt schönere Yachten bauen lassen. Im Gegensatz zur
Passagierschifffahrt bietet das Yachtleben wenig Herausforderndes. Ich
schiebe hier mehr oder weniger eine vergnüglich-ruhige Kugel. Das Lebendige
und Unerwartete, das den Reiz der Seefahrt ausmacht, das vermisse ich
schon.
Dann reizt es Sie doch noch, etwas anders zu machen, oder?
Ja, aber es müsste sehr gut passen, da müsste schon irgendjemand auf mich
zukommen und sagen: Lass uns das machen, wir fangen etwas Neues an.
Was würden Sie machen, wenn Sie bei Ihren Fahrten im Mittelmeer auf ein
Schlauchboot mit Flüchtlingen treffen?
Wir vermeiden die klassischen Flucht-Routen und gehen nicht zu dicht an
Afrikas Küste ran. Aber wenn man ein Schlauchboot mit Hilfesuchenden in
Sicht bekommt, muss man helfen. Da gibt es keine zwei Meinungen.
Wie empfinden Sie es, dass diejenigen, die die Flüchtlinge retten,
[5][kriminalisiert] werden?
Die Kriminalisierung finde ich kriminell. Ich kenne die Logik hinter der
Argumentation, aber es gibt nur die eine absolute Pflicht jedes Seemannes:
Menschen aus Seenot zu retten.
20 Aug 2018
## LINKS
[1] https://www.focus.de/reisen/streit-um-flagge-eskaliert-meuterei-auf-dem-tra…
[2] https://www.youtube.com/watch?v=Q0A_aWbUJwI
[3] http://www.nograndinavi.it/author/riccardo-bottazzo/page/4/
[4] https://www.marinetraffic.com/de/ais/details/ships/229413000
[5] /!5432366/
## AUTOREN
Ralf Lorenzen
## TAGS
Kreuzfahrt
ZDF
Lohndumping
## ARTIKEL ZUM THEMA
40 Jahre „Traumschiff“: Zwischen Herz- und Bauchschmerz
Anspruchsloses Fernsehen, das immer dem gleichen Muster folgt. So spottet
die Allgemeinheit. Doch nach vier Jahrzehnten wird es Zeit zu gratulieren.
Ausflaggung und Sozialdumping auf der Elbe: Elbfähre unter der Flagge Madeiras
Die neue Reederei Elb-Link möchte ihre Fährschiffe zwischen Brunsbüttel und
Cuxhaven unter einer Billigflagge betreiben.
was fehlt ...: ... Nationalstolz
Es ist unfassbar, „Deutschland“ ist bald nicht mehr deutsch, sondern
maltesisch: Die „MS Deutschland“, das Traumschiff, wird ausgeflaggt. ...
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.