# taz.de -- Elektronikfestival im Pudel Club: Lärmen im Laboratorium | |
> Im Hamburger Pudel Club feiert ein Festival den Musiker Conrad | |
> Schnitzler. „Eruption“ entdeckt die 70er wieder und das Happening als | |
> Prinzip. | |
Bild: Conrad Schnitzler in Westberlin, Anfang der 1970er | |
Ist es ein Motor oder eine Sirene? Es brummt und summt und singt jedenfalls | |
kräftig in der alten Live-Aufnahme mit Conrad Schnitzler. Ein Violinist | |
streichelt sein Instrument mehr, als dass er spielt, ein anderer schlägt | |
sein Saxofon. Der Drummer wartet lange, prügelt dann umso heftiger los. | |
Jemand schreit. Vielleicht geht es so auch heute im Hamburger Pudel Club | |
zu, wenn dort die Aktionskunst der Siebziger wieder auflebt mit dem | |
Festival „Eruption“ – gewidmet dem Werk von Schnitzler. | |
Kaum jemand kennt noch den Mann aus Düsseldorf. Er erfand einen Typ von | |
Gesamtkünstler mit, der heute auf den ersten Blick nicht mehr sehr up to | |
date erscheint. Genau wie das „Happening“ ja einen etwas angestaubten Ruf | |
hat. Versenkt man sich allerdings in Schnitzlers Werk, kann es durchaus | |
passieren, all das wieder für sehr zeitgemäß zu halten – und sich auch mal | |
wieder etwas von dem alten Zauber zurückzuwünschen. | |
Das eingangs erwähnte Video zeigt eine Session aus dem „Zodiac Free Arts | |
Lab“, einem Club, den es 1968 und 1969 nur ein paar Monate lang am | |
Halleschen Ufer in Westberlin gab. Schnitzler war Maschinenbauer, hatte | |
dann aber auch noch bei Joseph Beuys studiert. Danach zog er nach Berlin | |
und dort gründete das Laboratorium. | |
## Berufsbezeichnung von Beuys | |
Von Beuys hatte er auch seine nun eigene Berufsbezeichnung mitgebracht: | |
Intermedialist. Alles inmitten einer Agitprop- und Sponti-Szene, deren | |
Übervater natürlich Beuys gewesen sein mag, die aber heterogener und größer | |
war. Vielleicht passt das ein wenig zum Zeitgeist – und nach G20 und | |
Gängeviertel-Protesten auch besonders nach Hamburg. Der Golden Pudel Club | |
dürfte ja seit eh und je (also seit seiner Gründung 1988, damals noch | |
„Pudels Clubs“) eine Anlaufstelle für alternative, aber nicht verschlossene | |
Kultur in Hamburg gewesen sein. | |
Eine gewisse anarchische Energie, die man Schnitzler wohl nachsagen darf, | |
scheint dazu zu passen. Seine erste Band, Kluster, spielt schon Krautrock, | |
Schnitzler wird auch Teil der Band Tangerine Dream. Zuerst krautig, dann | |
führt er sie in das über, was oft die Berliner Schule der elektronischen | |
Musik genannt wird – soli-orientierte Musik, lange Stücke, immer mit | |
Synthesizern. Mit denen arbeitet der einstige Techniker Schnitzler gern. Er | |
soll der Band Kraftwerk auch mal eine Maschine besorgt haben. Ein Star war | |
er nie, weil er das offenbar nicht wollte. Humorlos, wie durchaus der eine | |
oder andere elektronische Musiker, scheint er auch nie gewesen zu sein. | |
Die Künstlerin und Musikveranstalterin Nika Breithaupt (als DJ: Nika Son) | |
hatte die Idee zu „Eruption“, als sie eine lange Radionacht über Schnitzler | |
hörte. Aufgelegt hatte sie seine (empfehlenswerte) Platte „Con“ auch früh… | |
schon. Doch es gibt noch weitere Welten aus Klängen und Konzepten bei | |
Schnitzer. Als er 2011 an Krebs starb, war er schon über 20 Jahre nicht | |
mehr aufgetreten – sein Material hatte er an andere übergeben, quasi wie | |
eine freie Software, die weiterprogrammieren kann, wer will. Genau damit | |
wird der New Yorker Künstler Ken Montgomery nun auch auftreten. Schnitzler | |
hatte ihm immer wieder Tapes geschickt, er baute daraus Werke für acht | |
Lautsprecher, die „Cassette CONcerts“. Man muss im Raum umherwandeln, auch | |
in Hamburg nun, die Musik klingt überall anders. | |
## Stroboskop und Nebelmaschine | |
Mit Wolfgang Seidel von Ton Steine Scherben wird ein Wegbegleiter und | |
Altersgenosse Schnitzlers auftreten, mit Lena Willikens, Richard von der | |
Schulenburg oder Vivan Koch aber auch viel jüngere Künstlerinnen und | |
Musiker aus der aktuellen Clubszene. Happening ist möglich: Willikens plant | |
etwas mit Videos, Audio, Stroboskop und Nebelmaschine. | |
Durch all die Konzerte, Installationen oder Mini-Shows können Interessierte | |
nun also wandeln. Breithaupt hat den Teilnehmenden Gestaltungsfreiheit | |
gelassen. Das offene Konzept ist wahrscheinlich das einzige, was dem | |
unübersichtlichen Œuvre Schnitzlers gerecht wird. Über 50 Videos sind | |
online archiviert, darunter Ambient-Soundexperimente, Konzerte, | |
Installationen, Kurzfilme, Performances, Gespräche, teils an der Grenze zum | |
Nonsens. Es ist kaum möglich, dieses Werk zu überblicken. Das Mini-Festival | |
„Eruption“ ist zum Entdecken gedacht. Auch zum Neuentdecken des eigenen | |
Kunstbegriffs. | |
4 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Thomas Lindemann | |
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