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# taz.de -- Die Wahrheit: Schlechte Kopien aus Holz
> In einem staatseigenen Betrieb für digitale Realitätsumwidmung kommt es
> stressbedingt zu außergewöhnlichen Vorgängen.
Der seinerzeit von meinem Küchenradio aufgeworfenen Frage „Darf man zu
Weihnachten schlechte Kopien von sich selbst aus Holz verschenken?“
verdankte ich die Anregung zu einem eigenen Versuch. Selbstverständlich war
es nicht meine Absicht, schlechte Kopien von mir zu erzeugen, doch
erwartete ich eingedenk meiner handwerklichen Fähigkeiten kein allzu gutes
Ergebnis. Ich schrieb zunächst eine Liste des benötigten Materials.
Die Zutaten für mein erstes Projekt kaufte ich in der alten Ladenstraße.
Sobald ich alles beisammen hatte, begann ich zu skizzieren, zu messen und
zu rechnen. Dann sägte, bohrte, feilte, schliff, leimte und bemalte ich,
bis – nach einigen minder tragischen Zwischenfällen – zuletzt eine hölzer…
Kopie meines äußeren Menschen entstanden war, die mir entfernt ähnlich sah.
So weit hatte ich es aus eigener Kraft gebracht. Was mir Kopfzerbrechen
bereitete, war die Elektrik. Davon hatte ich keine Ahnung.
Am Rande der alten Ladenstraße gab es ein Radiogeschäft, dessen Inhaber
auch elektrische Konstruktionsarbeiten ausführte. Ihn wollte ich fragen, ob
er die für meine Kopie nötige Verkabelung übernehmen könne. In seinem Laden
herrschte eine solche Unordnung, dass ich am liebsten sofort wieder
hinausgelaufen wäre. Doch bevor ich mich umdrehen konnte, entlockte mir der
Inhaber geschickt mein Anliegen. Er versprach mir sodann wunderbarere Dinge
als der berüchtigte Magic Alex einst den Beatles. Weil ich befürchtete, er
würde mich sonst nicht gehen lassen, stimmte ich zu und erteilte den
Auftrag, meine Kopie aus Holz zu elektrifizieren.
Ich konnte eine freundliche Bekannte überreden, mich mit meiner Holzarbeit
in ihrem Pkw zum Laden zu transportieren. Eine Woche später ließ man mich
wissen, die Arbeit sei getan. Und tatsächlich fand ich dann alles
ausgesprochen zufriedenstellend erledigt. Zudem war der dafür geforderte
Preis nicht hoch. Die erste Kopie von mir aus Holz war fertig und
funktionierte.
Das spornte mich an, weitere in Angriff zu nehmen. Es gab etliche
Versionen, die ins Dasein drängten. Erneut beschaffte ich alles, was ich
brauchte, und eine Kopie nach der anderen entstand. Jedes Mal wollte ich
die elektrischen Anschlüsse selbst vornehmen, und jedes Mal scheiterte ich.
Der Radiotechniker musste mir immer wieder aus der Verlegenheit helfen.
Mit der Zeit wurde ich dafür viel Geld los. Meine enge Wohnung füllte sich
mit den Resultaten der zur Obsession gewordenen Liebhaberei. Es gab mich
als Männer, Frauen und Kinder sowie in diversen ethnischen Varianten. Ich
musste damit aufhören. Doch vorher wollte ich noch ein letztes, überaus
anspruchsvolles Projekt realisieren, gewissermaßen mein Meister- oder doch
zumindest mein Gesellenstück: Ich als Servierwagen. Konnte es mir wohl
gelingen?
18 Jul 2018
## AUTOREN
Eugen Egner
## TAGS
Basteln
Doppelgänger
Groteske
Miete
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