# taz.de -- Kolumne Russia Today: Ende des Sommermärchens | |
> Der Sommer und die WM in Russland neigen sich dem Ende zu. Dafür drängt | |
> sich manchem der Gedanke auf: Ist das Land vielleicht doch nicht so | |
> schön? | |
Bild: Was bleibt, wenn die WM in Russland vorbei ist? | |
Das Blau ist vom Moskauer Himmel verschwunden. Seit die russische | |
Nationalmannschaft ausgeschieden ist, hängen meist schwere Wolken über der | |
Stadt. „Der Sommer geht zu Ende“, so heißt eines der berühmtesten Lieder | |
der russischen Rockgeschichte. Es passt ganz gut zu diesen Tagen, in denen | |
mit dem Ende der Weltmeisterschaft auch die Gedanken darüber zurückkehren, | |
dass [1][Russland vielleicht doch nicht dieses lässige, schöne Land ist], | |
als das es sich während der WM so gerne hat beschreiben lassen. | |
„Der Sommer geht zu Ende“, mit diesem Lied endet der neueste Film der | |
Regisseurs Kirill Serebrennikow, der vor ein paar Wochen in der | |
russischen Kinos angelaufen ist. „Sommer“ erzählt von der Zeit, in der sich | |
Viktor Zoi in den 80er Jahren aufgemacht hat, mit seiner Musik dem | |
Lebensgefühl der Jugend in den bleiernen 80er Jahren in der Sowjetunion | |
Ausdruck zu verleihen. | |
Wie es Serebrennikow aus seinem Hausarrest heraus, zu dem auch eine | |
komplette Internetsperre gehört, geschafft hat, einen Film zu inszenieren, | |
ist Teil der Geschichte, die der Film liefert. Es geht um die Sehnsucht | |
nach Freiheit. Und während auch in der Sowjetunion der 80er Jahre viele in | |
der westlichen Popkultur ein Freiheitsversprechen gesehen haben, war es | |
Viktor Zoi, der mit seiner Band Kino einen ganz eigenen, urrussischen Weg | |
eingeschlagen hat. „Wir machen keinen Punk, wir machen keinen Rock“, lässt | |
Serebrennikow ihn im Film sagen. | |
Zoi zog sein eigenes Ding durch, und die Jugend, die in jede seiner | |
Textzeilen eine Anspielung auf die politischen Verhältnisse hineinlesen | |
konnte, folgte ihm. Als er 1990 bei einem Autounfall ums Leben gekommen | |
ist, hatten viele Jugendliche das Gefühl, ihnen sei mit Zois Tod die eigene | |
Zukunft genommen worden. Der Sommer war zu Ende. | |
Der Film zieht keine Massen an in Russland. Aber er wird wahrgenommen. Wer | |
will, kann ihn im Kino Moskva ansehen. Über 50 Euro kostet eine | |
Eintrittskarte in dieses noble Etablissement unweit des Bolschoi-Theaters. | |
In einem kleinen Saal mit sieben fetten Ledersesseln kann sich, wer will, | |
die Geschichte der Außenseiter der sowjetischen Gesellschaft erzählen | |
lassen. Ein beinahe schon perverses Setting, das viel über dieses manchmal | |
so schwer zu verstehende Russland sagt. | |
Vielleicht hilft es aber auch, einwenig darüber nachzudenken, welche Russen | |
es eigentlich sind, die es sich leisten können, sich vom WM-Fieber | |
anstecken zu lassen. Die billigste Finalkarte für umgerechnet 100 Euro, von | |
denen es ohnehin nicht viele gibt, wird sich kaum einer leisten wollen. Da | |
bleibt nur die Übertragung vor dem Fernseher. | |
Und auch für Kinogänger gibt es eine Alternative. Wer den Film „Sommer“ in | |
einen normalen Kino anschauen will, der zahlt nicht mehr als 250 Rubel, | |
weniger als 3,50 Euro. | |
12 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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