| # taz.de -- Kolumne Habibitus: Und tschüss! | |
| > Es ergibt keinen Sinn, nur wegen des WM-Aus ziellos mit dem Auto | |
| > rumzucruisen und die Umwelt zu verschmutzen. Sonst hätte ich Korso | |
| > gemacht. | |
| Bild: Der Traum wird wahr: Die deutsche Elf schafft das Vorrundenaus | |
| Alle zwei Jahren packen Deutsche ihre bräsigen Flaggen aus und machen die | |
| Straßen hässlicher, als sie ohnehin schon sind. Selbst die Orte, die | |
| eigentlich schön sind, werden unästhetisch. Und die Menschen, die eine_r im | |
| Zweifelsfall noch als sympathisch gelesen hätte, outen sich mit | |
| Schland-Merch selbst als Katastrophen. | |
| Doch dieses Fahnenmeer begleitet immer auch die Sehnsucht nach dem | |
| Vorrundenaus. Das ist eine Tradition, die vor allem Linke eint. Egal ob | |
| anti-imperialistisch oder antideutsch, linksliberal oder antifa, Meryem | |
| oder Micha: Der Wunsch nach dem Vorrundenaus der deutschen | |
| Nationalmannschaft bei Männerfußballeuropa- und | |
| Männerfußballweltmeisterschaften ist Konsens. Selbst bei denjenigen, die | |
| sogar gern Fußball schauen. | |
| Und dieses Jahr – für mich zum ersten Mal – hat sich das Träumen und Hoff… | |
| gelohnt. #DieMannschaft hat es endlich geschafft. WM khalas. Euphorisch sah | |
| ich am Mittwochabend das Ergebnis auf meinem Smartphone und überlegte, zur | |
| Feier des Tages ein Car2Go zu mieten und Autokorso zu machen oder zumindest | |
| meine Freund_innen zu koreanischem Essen einzuladen, entscheide mich jedoch | |
| dagegen, da das Monatsende auch bei Vorrundenaus kein Auge auf dem | |
| Kontostand zudrückt. | |
| ## Sündenbock Özil | |
| Irgendwie finde ich es auch sinnlos, ziellos mit dem Auto rumzucruisen und | |
| die Umwelt zu verschmutzen. Stattdessen gönne ich meinen | |
| Instagram-Followern ein schadenfreudiges Selfie und setze meinen Alltag | |
| fort. | |
| Doch etwas bleibt ein Dorn im Auge. Wir Linken feiern nicht allein. Auch | |
| ekelhafte Rechte erfreut die Niederlage der Nationalmannschaft. Nicht etwa, | |
| weil sie wie ich die Mülltonne als einzig geeigneten Ort für die | |
| Deutschlandfahne erachten, sondern, weil sie den Misserfolg für ihre | |
| widerlichen Zwecke instrumentalisieren wollen, wie sie es auch bei | |
| Femiziden und sexualisierter Gewalt gerne tun. | |
| AfD-Fraktionschefin Alice Weidel und ihren Low-Life-Kolleg_innen war die | |
| Nationalmannschaft nicht deutsch genug. Das ist für sie keine Frage des | |
| Passes, sondern in nationalsozialistischer Tradition eine Frage der | |
| Familiengeschichte. Sie glauben ernsthaft, dass die Nationalmannschaft so | |
| schlecht gespielt hat, weil zu wenige Almans beteiligt waren. Als ob Almans | |
| je irgendwas im Alleingang verbessert hätten. | |
| Doch es ist nicht die Schuld von Mesut Özil, Jérôme Boateng, İlkay | |
| Gündoğan, Antonio Rüdiger oder Sami Khedira, dass die deutsche | |
| Nationalmannschaft floppte. Ihre Anwesenheit ist eine der wenigen positiven | |
| Eigenschaften der Nationalmannschaft. Sie nun zu den Sündenböcken zu | |
| erklären, ist ein billiges Ablenkungsmanöver vom Offensichtlichen: Die | |
| Deutschen haben es nicht verdient zu gewinnen. | |
| ## Deutschland gönne ich nichts | |
| „Germoney is not a soccer team“, schrieb mein Freund F. vor vier Jahren auf | |
| ein Transparent. Einem Land, das dafür verantwortlich ist, dass ein Schiff | |
| voller seekranker Geflüchteter tagelang im Meer bleiben muss, gönne ich | |
| nichts. | |
| Außerdem ist der WM-Flop für viele Leute ein Grund zum Feiern. Der Sommer | |
| ist gerettet. Denn nun sind Almans wieder ein bisschen kontrollierter und | |
| diskreter mit ihrem „unverkrampften Nationalismus“. Sie hängen ihre Flaggen | |
| ab, Scheiß-Rot-Goldene Produkte werden in den Geschäften heruntergesetzt | |
| und nach Fußballspielen ist es auf den Straßen für Schwarze Personen und | |
| Personen of Color etwas weniger gefährlich. | |
| Und ganz ehrlich: Ein paar jubelnde Nazis nehme ich dafür in Kauf, dass die | |
| Mehrheit der Deutschen nun schlechte Laune hat. | |
| 29 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Hengameh Yaghoobifarah | |
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