| # taz.de -- Kolumne Habibitus: Kartoffelgerichte | |
| > Die deutsche Küche und ich sind keine Freund_innen. Bei durchsichtigem | |
| > Glibber auf Fleisch mit Gemüse ist das auch wirklich schwierig. | |
| Bild: Lecker, Aspik | |
| Die ersten Enttäuschungen über die deutsche Essenskultur traten bei mir | |
| früh ein. Als ich fünf war, gab es im Kindergarten ein trostloses Ensemble | |
| zum Mittagessen: Ein durchsichtiger Glibber lag wie ein Gummifilm auf dem | |
| braunen Fleisch neben dem Gemüse. Viele der Gerichte iranifizierte ich zu | |
| Hause, wenn meine Mutter mich fragte, was es zum Mittagessen gab. | |
| Hühnerfrikassee mit Reis hieß bei mir Morgh-o Polo und Spinatgerichte | |
| labelte ich als Ghorme Sabzi (zugegebenermaßen ein ganz schöner | |
| Euphemismus). Anstatt eines Danks für diese Transferleistung erhielt ich | |
| von meiner Mutter einen Nackenklatscher, weil sie mir oft gesagt hatte, ich | |
| solle nicht lügen. Sie wusste genau, dass in der deutschen Küche für diese | |
| Art des Gaumenschmauses kein Platz vorhanden war. | |
| In meiner Fantasie hingegen schon. Doch selbst war nicht in der Lage, Worte | |
| für dieses unappetitliche Gericht vor mir zu finden. (Heute weiß ich: Es | |
| heißt Aspik.) „Was ist das?“, fragte ich in bemüht gefasstem Ton meine | |
| Erzieherin. „Iss, dann wirst du schon sehen“, brummte sie. Ich überwand | |
| mich dazu, einen Löffel zu essen. Dann ging plötzlich alles ganz schnell, | |
| und ehe ich mich versah, übergab ich mich direkt auf meinen Teller. „Ich | |
| musste kotzen“, teilte ich meiner Erzieherin mit, die mich wütend | |
| anblinzelte. | |
| Einige Jahre später verwechselte ich auf einer Klassenfahrt beim Abendbrot | |
| optisch Sauerkraut mit angebratenen Zwiebeln. Die glasig-glänzenden Fäden | |
| hielt ich für mein Lieblingsgemüse und haute mir glückselig eine Portion | |
| auf den Teller. Der erste Bissen war ein Schock. Kochen Almans so schlecht, | |
| dass sich der Geschmack von köstlichen, süßlich-scharfen Zwiebeln um 180 | |
| Grad zu dieser säuerlichen Katastrophe wenden kann? „Die Zwiebeln schmecken | |
| echt komisch“, bemerkte ich am Tisch und eine Mitschülerin lachte mich aus. | |
| „Das ist Sauerkraut!“ | |
| Das ist also dieses Deutschland, in dem das Essen entweder nach nichts oder | |
| nach zu viel Knoblauch schmeckt, weil die Köch_innen unbedingt beweisen | |
| wollen, dass sie ein krasses Gewürz-Game haben. Was sie jedoch meistern: | |
| Kartoffelgerichte aller Art. (No pun intended.) | |
| Angesichts der hohen Chance, ein verkacktes Essen serviert zu bekommen, bin | |
| ich im Nachhinein nicht mehr so traurig darüber, dass ich oft im Zimmer | |
| meiner Gastgeberinnen aus der Schule bleiben musste, während diese mit | |
| ihren Familien aßen. Meine Verwandten konnten diese deutschen Bräuche kaum | |
| fassen, aber ich nahm es mit Gelassenheit. Meistens gab es ohnehin | |
| Schweinefleisch, das wäre einfach nur ein awkward Tischgespräch gewesen. | |
| Umso überraschender finde ich es, wenn Almans staunend und doch so in | |
| Flammen von der kanakischen Gastfreundschaft schwärmen, wenn sie aus ihrem | |
| Nahost-Urlaub zurückkehren. Ich kann da meistens nur mit den Augen rollen | |
| und denken: Du Haywan, wenn du Gastfreundlichkeit so geil findest, warum | |
| probierst du das Konzept nicht mal selber aus? | |
| 19 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Hengameh Yaghoobifarah | |
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