# taz.de -- Die Wahrheit: Ostwestfälischer Küchen-Clash | |
> Die alten Eltern zu sich nach Hause einzuladen und zu bekochen kann eine | |
> der undankbarsten Aufgaben im Leben sein. | |
Meine Kartons und ich wohnen seit fünf Monaten in der neuen Stadt, die die | |
alte ist. Zurückgezogen bin ich, der ich hier jahrelang nur selten war. | |
„Näher an die Alten ran, sie etwas unterstützen“ ist dabei mein heroisches | |
Motto, das ich weit besser finde als meine Eltern. Nur, der Beruf zwingt | |
mich zur Abwesenheit. So viel mehr als vorher bin ich also auch nicht da. | |
Und ich habe jetzt häufiger bei meinen Eltern gegessen, mit anderen Worten: | |
Ich bin dran. | |
„Ich möchte euch mal einladen.“ Mein Vater: „Wohin?“ Meine Mutter: „… | |
musst du kein Geld ausgeben!“ – „Nein, zu mir, ich möchte euch bekochen.… | |
Beide stehen starr. „Bei dir?“, fragt mein Vater. „Was gibt’s denn?“ … | |
Vater liebt Bratkartoffeln, ein Stück Fleisch, egal welches, und | |
„Anballersse“, also Buttermilchsuppe. Ich sage: „Spargelrisotto.“ – �… | |
is datt denn?“ – „Reis und Spargel.“ – „Ich möchte aber Kartoffeln… | |
„Nee, is’ mit Reis.“ – „Nudeln?“ – „Watt de Bur nich’ kennt, … | |
nich!“, meint meine Mutter, und mein Vater grinst: „Also Reis.“ Damit ist | |
die Einladung angenommen. | |
Nun also der Tag der Tage. Aber fünf Minuten, bevor sie kommen, ist der | |
Strom weg. Herd aus! Licht aus! Alles auf null. Ich suche am | |
Sicherungskasten nach Lösungen. Nachdem die Sicherung das dritte Mal | |
herausgesprungen ist, fällt mir ein: die Klingel. Ich renne zum Fenster. | |
Unter mir, an der Tür, unterm Regenschirm: meine Eltern. Ich spurte | |
hinunter. „Wolltest du uns doch nicht reinlassen?“ Ich murmle: | |
„Stromausfall.“ Mein Vater sofort: „Ist das Essen etwa nicht fertig?“ M… | |
Mutter: „Ja, wie denn, wenn das Kind Stromausfall hat.“ Gut, ich bin kein | |
Kind, und der Stromausfall ist nicht in mir, sondern in der Wohnung, aber | |
so heißt es nun mal im Ostwestfälischen. | |
Ich habe inzwischen die Dunstabzugshaube als Übeltäter ausfindig gemacht. | |
Der Herd heizt erneut. Ich zaubere für den hungrigen Vater eine Vorspeise: | |
Kaiserschoten gebraten und warmer Schafskäse. Meine Mutter: „Was ist das | |
für Käse? Ach nee, sag das lieber erst, wenn er gegessen hat. Sonst lässt | |
er das stehen.“ | |
Mein Vater ist schlecht gelaunt, schaut auf die Schoten, kaut auf einer und | |
verzieht das Gesicht: „Was ist das denn?“ – „Zuckererbsen.“ – „Un… | |
der Zucker?“ – „Die heißen so. Das sind Erbsenschoten.“ – „Ich ess… | |
keine Schalen!“ Ich zucke mit den Schultern. „Das war übrigens Schafskäse… | |
Mein Vater: „Der ging!“ Ich verschlucke mich beinah. Das ist fast schon ein | |
Lob! | |
Ich tische das Risotto auf. Er schaut misstrauisch in meinen Topf. „Bin | |
gespannt.“ Dann kaut er. Und entspannt. Dann passiert das Wunder: „Kann ich | |
noch was haben?“ Er nimmt zweimal Nachschlag! Ich sage: „Aber nur aus | |
Hunger, oder?“ Er grinst: „Kann man essen!“ Ich fühle mich, als hätte i… | |
drei Sterne im Michelin bekommen. Als sie gehen, flüstert meine Mutter mir | |
zu: „Mich wundert am meisten, dass er gar nicht nach Fleisch gefragt hat!“ | |
10 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Bernd Gieseking | |
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