# taz.de -- Vor dem WM-Viertelfinale: Einfach Uruguay! | |
> Das ganze Land träumt von einem Viertelfinalsieg gegen Frankreich. Eins | |
> steht aber jetzt schon fest: Danach wird gegrillt. | |
Bild: In Montevideo fiebern die Fans bei jedem Spiel ihrer Mannschaft frenetisc… | |
Am vergangenen Samstag, kurz vor dem Spiel gegen Portugal, kursierte in den | |
sozialen Medien ein Foto aus Uruguay. Zu sehen war darauf nur ein weißer | |
Schleier. Die Erklärung lautete: „Das ist kein Nebel, das sind 3,5 | |
Millionen asados.“ Asado, das ist gemeinsames Grillen. Und das hat in | |
Uruguay so gar nichts mit dem deutschen Grillanzünder-Inferno zu tun, bei | |
dem die Nackensteaks nach fünf Minuten Grillzeit in Ketchup ertränkt | |
werden. | |
Uruguayisches asado, das ist Kunst am Fleisch, gegrillt auf der Glut von | |
Feuerholz. Der asador oder die asadora wird spätestens nach dem zweiten | |
Gang, wenn die murcilla (Blutwurst) oder die chinchulines (geflochtene | |
Därme) fertig sind, mit einem Trinkspruch gefeiert, der sowohl Anerkennung | |
ausdrückt als auch die Vorfreude auf das vacío, das riesige Stück vom Rind, | |
das am längsten auf dem Grill liegt und höchsten Genuss verspricht. | |
Vergangenen Samstag dürfte es etwa dann fertig gewesen sein, als Edi Cavani | |
in der 62. Minute mit einem Traumschuss von links ins lange Eck Uruguay ins | |
Viertelfinale und Portugal nach Hause beförderte. | |
Uruguay ist ein fußballverrücktes Land mit etwas weniger EinwohnerInnen als | |
Berlin. 1930 war Uruguay Ausrichter der ersten Fußballweltmeisterschaft und | |
nach einem 4:2-Sieg im Endspiel gegen Argentinien auch der erste | |
Weltmeister. Uruguay, das kleine Land, eingezwängt zwischen Brasilien und | |
Argentinien. Einwandererland, das sich bis heute an diese Zeit erinnert, | |
„cuando eramos rico“, als wir reich waren. Davon zeugen in Montevideo bis | |
heute viele Bauten aus der Zeit der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. | |
Jahrhundert. | |
Viele europäische Mannschaften hatten 1930 an der WM nicht teilgenommen. | |
Die dreiwöchige Seereise nach Südamerika war ihnen zu lang gewesen. Uruguay | |
bot an, die Kosten zu übernehmen – vergeblich. Die Uruguayer waren stolz | |
auf ihren Titel, aber sie waren auch beleidigt, dass so wenige gekommen | |
waren – schließlich hatte ihre eigene Nationalmannschaft 1924 und 1928 den | |
Weg zu den Olympischen Spielen nach Europa auf sich genommen. | |
So beleidigt waren sie, dass sie – obwohl als Titelverteidiger automatisch | |
qualifiziert – an den Weltmeisterschaften 1934 in Italien und 1938 in | |
Frankreich gar nicht erst teilnahmen. | |
## Der ewige Rivale Brasilien | |
2018 ist Uruguay dabei. Und wie! Ihr offensives Duo aus Luis Suárez und | |
Edinson Cavani, zusammen mit einer starken Innenverteidigung, [1][hat | |
Cristiano Ronaldo aus dem Turnier geworfen]. Die Argentinier um Lionel | |
Messi sind raus, Kolumbien musste sich England geschlagen geben. Und so | |
sind aus Lateinamerika nur noch Brasilien und Uruguay im Rennen, Nachbarn | |
und ewige Rivalen. | |
Es waren die Uruguayer, die 1950 der Fußballnation Brasilien den | |
schlimmsten Schlag versetzten, als sie sich im mit 200.000 ZuschauerInnen | |
voll besetzten Maracaná-Stadion in Rio de Janeiro mit einem 2:1-Sieg im | |
Endspiel gegen den Gastgeber ihren zweiten WM-Titel holten. Das traf die | |
Brasilianer so tief, dass sie danach nie wieder in ihrer bis dahin weißen | |
Spielkleidung antraten, sondern auf das bis heute gültige Gelb-Blau | |
umstiegen. | |
Jetzt also Uruguay gegen Frankreich. Zwei Mannschaften, die Stars haben, | |
aber durch Teamleistungen im Viertelfinale stehen. „Uruguay nomá!“ ist der | |
Siegesruf, der durch das ganze Land hallt. „Einfach Uruguay“, könnte man | |
das übersetzen. Und es ist beides, Freude und Leid. | |
Uruguay nomá! – das ist wie die linke Frente Amplio, die seit gut einem | |
Jahrzehnt das Land regiert und sozialpolitisch richtig viel erreicht hat, | |
ohne so viel Geschrei zu veranstalten wie einst Hugo Chávez in Venezuela. | |
Auch wenn von dieser uruguayischen Politik in Europa fast nur die | |
Einführung der staatlich kontrollierten Cannabisproduktion und -abgabe | |
wahrgenommen wurde. | |
Jetzt soll es für Uruguay bei der WM weitergehen zur Runde der letzten | |
vier, wie zuletzt 2010, als die Mannschaft dann ohne den rotgesperrten Luis | |
Suárez gegen die Niederlande das Halbfinale und schließlich gegen | |
Deutschland das Spiel um den dritten Platz verlor. | |
## Zittern um Cavanis Wade | |
Geht es weiter? Wie ganz Fußballdeutschland 2006 die Verhärtung in Michael | |
Ballacks rechter Wade verfolgte, hängt Uruguay seit Samstag an der linken | |
von Edinson Cavani. Der hatte nach seinen beiden Treffern gegen Portugal in | |
der 74. Minute humpelnd und gestützt von Cristiano Ronaldo den Platz | |
verlassen. | |
Am Dienstag veröffentlichte die Nationalmannschaft auf Twitter den | |
ärztlichen Untersuchungsbericht: Ein 48 mal 29 mal 17 Millimeter großer | |
Bluterguss in der Wade verursache starke Schmerzen. Am Mittwoch beim | |
Training war Cavani nicht dabei, am Freitag wird er nun wohl zunächst auf | |
der Bank sitzen und auf dem Feld von Cristhian Stuani ersetzt werden. Der | |
hatte schon am vergangenen Samstag nach Cavanis Auswechslung dessen Rolle | |
übernommen. | |
Uruguay ist stolz darauf, nicht durch seine Einzeltalente zu glänzen, | |
sondern durch die Mannschaftsleistung. Aber Cavani, der sich mit seinem | |
Sturmpartner Suárez so blind versteht, wird dennoch fehlen. Uruguay wird | |
sich durchbeißen müssen. Das allerdings hören die Urus – wie sie in | |
Deutschland genannt werden, seit Radioreporterlegende Herbert Zimmermann | |
den Ausdruck bei der WM 1966 prägte – gar nicht so gern. | |
Denn „Durchbeißen“ erinnert an 2014, als die Mannschaft vor allem dadurch | |
auffiel, dass Luis Suárez seinen italienischen Gegenspieler in die Schulter | |
biss. Suárez wurde anschließend für vier Monate vom gesamten Fußballbetrieb | |
ausgeschlossen. Für diese WM wurde extra eine Regel geschaffen, die Beißen | |
mit sofortigem Platzverweis bestraft. | |
Für Suárez wurde der Vorfall – er wälzte sich nach der Attacke theatralisch | |
herum und hielt sich die Zähne – zum peinlichsten Moment seiner Karriere. | |
Im vergangenen Jahr vertraute der Stürmer des FC Barcelona der | |
Klatschpresse an, er habe selbst seine Frau damals belogen und ihr erzählt, | |
dass das alles nicht wahr gewesen sei. Pepe Mujíca, der Ex-Guerillero, der | |
damals noch Präsident von Uruguay war, sah ob der Sperre gar | |
verschwörerische Mächte am Werk. | |
Uruguay gegen Frankreich – das kann ein wundervolles Fußballspiel werden. | |
Anpfiff ist um 16 Uhr unserer Zeit, 11 Uhr morgens in Uruguay. Ein bisschen | |
zu früh für ein asado. Aber nicht zu früh, um bis zum Herzstillstand mit | |
der Mannschaft mitzuzittern, wenn sie ums Weiterkommen kämpft. Und später | |
dann den Grill anzuwerfen, auch wenn es gegen Frankreich vielleicht nicht | |
geklappt haben sollte. | |
5 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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