# taz.de -- Neues Album von Gang Gang Dance: Selbstversuch mit Räucherstäbchen | |
> Die New Yorker Band Gang Gang Dance veröffentlicht „Kazuashita“. Der | |
> politischen Verrohung begegnet das Trio mit hypnotischem Groove. | |
Bild: Auf der Suche nach den richtigen Vibes: Das Trio Gang Gang Dance | |
Für das Wort Timing bietet das English Dictionary meines Vertrauens „gute | |
zeitliche Koordinierung“, „Zeitzählung“ und „Wahl des richtigen Zeitpu… | |
als Übersetzungsoptionen an. Alle diese Bedeutungen spielen bei | |
„Kazuashita“, dem neuen Album der New Yorker Band Gang Gang Dance, eine | |
gewisse Rolle. | |
Zum einen, weil es das erste Lebenszeichen der drei MusikerInnen (Lizzi | |
Bougatsos, Josh Diamond und Brian DeGraw) seit 2011 ist – lange | |
Funkstille für eine Band, aber vergangene Zeit ist eben immer relativ, dazu | |
später mehr. Die Welt hat sich seither zwar grundlegend gewandelt, | |
Smartphones, soziale Medien und so, bei Gang Gang Dance (GGD) ist alles | |
wie gehabt. Trotzdem hat das Trio durch seinen selbstgewählten Retreat | |
nicht an Relevanz verloren. Im Gegenteil, – denn zweitens –, das Sentiment | |
des Albums, also das Zusammenspiel aus Klangatmosphäre, Textwelten und | |
Bandimage beschwört eine Art Deus-ex-machina-New-Age-Versmoothung herauf, | |
was als Antithese zum 140-Zeichen-Poltergeist-Politikstil der amtierenden | |
US-Regierung Trump verstanden werden darf. An dieser Stelle dürfen jetzt | |
ruhig die Räucherstäbchen rausgeholt werden! | |
Zum Dritten ist Gang Gang Dance seit jeher eine rhythmusgetriebene Band, | |
auch „Kazuashita“ basiert auf einem fast durchgehenden tribalistischen | |
Trommeltanz, der stets unabgeschlossen wirkt, oftmals ungerade vor sich hin | |
eiert und angeschoben wird durch ständiges Wirbeln über die Toms; dem | |
zugrunde liegt die Idee des Ravens, aber der GGD-Hypno-Beat sperrt nebenbei | |
in seiner scheinbar selbstvergessenen Zählzeit ungeahnte musikalische | |
Kammern auf. Muss am Ende gar der Mit-Achtziger-Output des Jazzlabels ECM | |
neu bewertet werden, den Gang Gang Dance auf ihrem neuen Album so frech | |
fleddern? Wenn man sich den achtminütigen Titelsong „Kazuashita“ anhört u… | |
das an Ralph Towners zwölfsaitige Gitarre gemahnende Solo und den Gesang | |
von Lizzi Bougatsos, der hier wahlweise an Naná Vasconcelos und Ofra Haza | |
erinnert, besteht der begründete Verdacht. Oder bei „Salve on the Sorrow“, | |
einem Song, der maßgeblich durch das zärtliche Anspielen von Harfensaiten | |
charakterisiert wird. Sind wir nicht alle ein bisschen Oregon? Das | |
Esoterische im Klangbild von Gang Gang Dance behält die Oberhand. Obwohl | |
Gitarrist Brian DeGraw standhaft behauptet, ihn hätte ausschließlich die | |
B-Seite von David Bowies Album „Low“ – Held seiner Jugend – zu den neuen | |
Songs inspiriert. | |
Timing ist nie bloß verfließende Zeit, wie der Theaterwissenschaftler Jörn | |
Etzold festgestellt hat, sondern es steht in einem Zusammenhang des | |
Gestaltens und Formens, Timing ist ein Gerundium und verweist so auch | |
darauf, dass sein Vorgang wiederholbar und beim Wiederholen erneuerbar und | |
abwandelbar ist. Die Musik von Gang Gang Dance funktioniert auch durch | |
Repetition von Geräuschen, Loops, und Gesängen. Der Gesang Bougatsos’ | |
steht auf „Kazuashita“ selten im Vordergrund, eingesetzte Chöre klingen wie | |
gurgelnde Gebirgsbäche. | |
Es geht um etwas anderes als um bloße Wiedererkennbarkeit: Gute Vibes sind | |
das künstlerische Programm von Gang Gang Dance. Und dafür hat die Band | |
extra einen spirituellen Guide, den japanischen Tänzer Taka Imamura. Der | |
Name seines neugeborenen Sohns war titelgebend für „Kazuashita“. Bei den | |
Konzerten der Band gibt Taka die Energie der Songs durch choreografierte | |
Bewegungen an das Publikum weiter. Auch sonst fungiert er als eine Art | |
Timing-Yogi oder spiritual equator für die Band. Für jeden ihrer zehn neuen | |
Songs auf „Kazuashita“, die als ineinanderfließender Mix auf dem Album | |
angelegt sind, haben Gang Gang Dance jeweils ein eigenes Timing ersonnen. | |
Interludes, Eingänge in die Songs, Ausgänge aus den Songs, die mal eine | |
Rave-Anmutung haben wie bei „Snake Dub“, mal eine filmische wie in „Young | |
Boy (Marika in America)“ und „(birth canal)“. | |
## Streichholzanzünden | |
Diverse Sounds werden eingesetzt: Töpfeklappern, Streichholzanzünden und | |
Spaceshuttle-Landeklappen-Öffnen „(nova e terrae)“ und O-Töne eines | |
Native-AmericanAktivisten in Standing Rock, wo es 2017 Proteste gegen eine | |
quer durch ein Reservat laufende Pipeline gab. Der Aktivist beschwört die | |
Macht der Natur, die er als stärker einschätzt als die der US-Regierung. | |
„Wenn wir gläubig wären, dann würde die Natur unsere Religion sein“, hat | |
Lizzi Bougatsos dazu erklärt. Wie beurteilt die Band selbst ihr Gespür fürs | |
Timing? „Dass wir nun wieder Musikmachen, fühlt sich so an, als seien wir | |
aus der Haft entlassen worden und lernen, wie wir in Freiheit | |
funktionieren“, erklärte Gitarrist Brian DeGraw in einem Interview mit dem | |
Internetmagazin Stereogum. | |
Die drei MusikerInnen machen eben noch mehr als nur Gang Gang Dance. Ihre | |
Band wird bei Bedarf auf Snooze geschaltet: Sängerin Lizzi Bougatsos und | |
Gitarrist Brian DeGraw arbeiten beide als bildende Künstler. Dieser Teil | |
ihres Lebens fließt wiederum zurück in die Musik. Der Künstlerkollege David | |
Sherry hat das glühend rote Coverfoto dreier Wüstenfelsen aufgenommen. Der | |
Künstlerkollege Oliver Payne zählt Namen von Farben auf. Schön und gut. | |
Wenn, wie im Outro von „Too much too soon“, die Töne flirren wie | |
Puderzuckerflocken, dann wird es auch zu viel der Esoterik. Weniger | |
Monte-Verità-Barfußfeeling und mehr räterepublikanische Raserei hätte der | |
Sache gutgetan. | |
22 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
## TAGS | |
Musik | |
Popmusik | |
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