# taz.de -- Widerstand gegen Regime in Nordkorea: Subversive Flaschenpost | |
> Von einer südkoreanischen Insel aus schicken Aktivisten Botschaften nach | |
> Nordkorea. Der Annäherung zwischen Nord und Süd trauen sie nicht. | |
Bild: Hier füllen AktivistInnen Plastikflaschen mit Reis und USB-Sticks | |
SEOUL taz | Es ist ein nebliger Morgen, als Park Jeong Oh seinen blauen | |
Pritschenwagen am Ende eines Trampelpfades parkt. Hier vom nördlichsten | |
Zipfel der Insel Seongmodo ist die innerkoreanische Seegrenze nur wenige | |
Kilometer entfernt. | |
„Wir haben nach Wegen gesucht, wie wir unsere Landsleute mit freien | |
Informationen erreichen können. Alles, was wir dafür brauchen, ist die | |
Gezeitenkraft des Meeres“, sagt der Aktivist. | |
Er fährt alle paar Wochen mit rund 20 Gleichgesinnten von der Hauptstadt | |
Seoul aus an Koreas Westküste. Die Aktivisten eint ihre Herkunft aus | |
Nordkorea und den Willen, das dortige Regime zu stürzen. | |
Park reicht von der Ladefläche Säcke an die Männer, die sie zum Strand | |
tragen. Dort sitzen ältere Frauen und präparieren die Ladung: gewöhnlich | |
Plastikflaschen, mit je 700 Gramm Reis gefüllt. Darin ist jeweils ein | |
USB-Stick versteckt, auf dem südkoreanische TV-Serien zu sehen sind, aber | |
auch untertitelte Reden von US-Präsident Donald Trump sowie digitale | |
Bibeln. | |
## „Ein USB-Stick kann Dein ganzes Leben verändern“ | |
„Der Reis ernährt dich für ein, zwei Tage“, sagt Park: „aber der USB-St… | |
kann dein ganzes Leben verändern.“ Der Beweis ist Frau Lee, 70, großer | |
Strohhut, faltige Haut. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen, denn | |
im Norden habe sie Mann und Sohn zurückgelassen. | |
Die Seniorin erinnert sich noch daran, wie sie in den 90er Jahren in ihrem | |
Dorf ein Flugblatt entdeckte: „Ich traute mich nicht es aufzuheben, weil | |
mich das in Schwierigkeiten bringen konnte.“ Mit ihren Füßen habe sie es | |
vorsichtig gewendet, bis sie es lesen konnte: Karikaturen, die den | |
damaligen Machthaber Kim Jong Il als korrupten Autokraten zeigten. | |
Das tat sie als plumpe Propaganda ab, aber das Hochglanzpapier beeindruckte | |
sie. In Nordkorea habe es nur vergilbtes Papier miserabler Qualität | |
gegeben. „Das gab mir zu denken, dass uns die Regierung nicht die Wahrheit | |
erzählt. Damals hieß es nämlich, der Süden sei bettelarm.“ | |
Im Kalten Krieg hatte Südkorea seine Grenzpropaganda als Teil der | |
psychologischen Kriegsführung perfektioniert. Mit Heißluftballons wurden | |
jedes Jahr Hunderttausende Botschaften gen Norden geschickt. Später jedoch | |
beschränkte sich die Grenzpropaganda auf akustische Beschallung. | |
Riesige Lautsprecher baute das Militär an der Grenzzone auf. Ob scheinbar | |
harmlose Nachrichten oder einfach nur koreanische Popmusik: Nordkoreas | |
Regime wertete dies regelmäßig als Kriegserklärung. | |
## Keine offiziellen Propagandalautsprecher mehr | |
Nach dem innerkoreanischen Gipfel am 27. April wurden die Lautsprecher | |
endgültig abgebaut. Moon Jae in und Kim Jong Un bekundeten in ihrer | |
gemeinsamen Erklärung nicht nur den Willen zur Denuklearisierung der | |
Halbinsel, sondern versprachen auch, alle Propaganda an der Grenze | |
einzustellen. Von der Zivilgesellschaft erhofft sich Südkoreas | |
linksliberaler Präsident, dass sie den gerade begonnenen Friedensprozess | |
nicht durch Provokationen zu gefährden. | |
„Ich habe mir das Gipfeltreffen nicht mal angeschaut. Allein bei dem | |
Gedanken, dass Kim Jong Un im Süden zum Bankett eingeladen wurde, kocht | |
mein Blut in den Adern“, sagt Jung Gwang Il, während er einen Sack | |
Reisflaschen an den Strand trägt. | |
Der 56-Jährige saß in seiner Heimat im politischen Gefangenenlager, nachdem | |
ihn ein Nachbar wegen angeblicher Spionage angezeigt hatte. Nach zehn | |
Monaten stellten die Behörden zwar seine Unschuld fest und ließen ihn frei, | |
doch Jung war schon auf 40 Kilogramm abgemagert. | |
Die 16 Stunden tägliche Zwangsarbeit hatten seine Gesundheit ruiniert. | |
„Jetzt reden viele über Frieden. Dabei sollten wir uns fragen: Frieden mit | |
wem? Wir wollen Frieden mit dem Volk, nicht mit dem Regime“, sagt er. | |
Studien unter den 30.000 nordkoreanischen Flüchtlingen im Süden zeigen, wie | |
sehr geschmuggelte USB-Sticks die Außenwahrnehmung der Bevölkerung | |
verändern. Eine Umfrage ergab, dass im Jahr 2010 bereits ein Viertel aller | |
geflüchteten Nordkoreaner mit USB-Datenträgern in Berührung kamen. 2017 | |
sollen es über 90 Prozent gewesen sein. | |
## Im Norden wächst der Wunsch nach Freiheit | |
Jedes Jahr befragt das Vereinigungsministerium in Seoul Neuankömmlinge zu | |
ihren Fluchtgründen. Während der Wunsch nach Freiheit eine immer größere | |
Rolle spielt, nehmen die Gründe Armut und Hunger ab. Der Freiheitsdrang, | |
glauben Experten, werde durch gesteigerten Informationszugang ausgelöst. | |
Als die Flut an der Seongmodo-Insel die nötige Höhe hat, werfen die | |
Aktivisten Hunderte Plastikflaschen in die Strömung. Ob sie sicher sein | |
können, dass diese tatsächlich Nordkoreaner erreichen? „Südkoreas | |
Küstenwache hat mehrfach beobachtet, wie Küstenbewohner unsere Flaschen vom | |
Strand auflasen“, sagt Park: „In sechs Stunden kommt unsere Fracht an.“ | |
2 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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