| # taz.de -- Suchen nach Anerkennung: „Wie kommt man an ein Königreich?“ | |
| > Bereits mit 14 wusste Ellen Esser, dass sie Schauspielerin werden wollte | |
| > – so wie Romy Schneider. Nun hat sie mit 75 ihren Debütroman | |
| > veröffentlicht. | |
| Bild: Mit der gleichen Energie und Sehnsucht einer 14-Jährigen: Ellen Esser ü… | |
| taz: Frau Esser, müsste man Sie kennen? | |
| Ellen Esser: Nein. Na ja. Ich habe viel gemacht, aber wirklich bekannt bin | |
| ich noch nicht geworden. Das kommt vielleicht jetzt. | |
| Dann fangen wir doch mit einer Art Fragebogen an. Alter? | |
| Muss ich das wirklich sagen? | |
| Ja klar, das ist doch spannend. Fragt Sie das etwa keiner mehr? | |
| Doch, manchmal. Ich bin jetzt 75. Wahnsinn. | |
| Ihr Beruf? | |
| Jetzt kann ich es endlich sagen: Schriftstellerin. Bevor das Buch | |
| erschienen ist, hätte ich mich das nicht getraut, obwohl ich schon lange | |
| schreibe. | |
| Davon leben Sie? | |
| Nein. Ich habe mich bis zu meinem 61. Lebensjahr mehr oder weniger gut | |
| durchgeschlagen. Dann habe ich geerbt und lebe jetzt davon, Wohnungen zu | |
| vermieten. Das ermöglicht es mir, zu schreiben ohne finanziellen Druck. | |
| Wo sind Sie aufgewachsen? | |
| In Zehlendorf, am Schlachtensee. Ich bin in die Welt des Schauspiels | |
| hineingeboren. Mein Vater, Paul Esser, war ein bekannter Schauspieler in | |
| Berlin, meine Mutter war eigentlich auch Schauspielerin. Sie hat aber | |
| aufgehört, weil sie die Hände im Spiel immer so verkrampft hat. Sie hat | |
| sich dann ins Familienleben gestürzt. Zu Hause hat sie immer meinen Vater | |
| abgehört, der konnte sich Texte schlecht merken. Die ganze Familie hatte | |
| die drauf, bevor er sie konnte. | |
| Es war dann klar, dass Sie auch Schauspielerin werden? | |
| Als ich vierzehn war, habe ich „Mädchenjahre einer Königin“ mit Romy | |
| Schneider im Kino gesehen. Ab da war klar, dass ich auch Schauspielerin | |
| werden muss. Ich dachte, dass ich dann werde wie Romy Schneider. Typ | |
| Liebhaberin. Das war auch die einzige Art Schauspielerin, die mein Vater | |
| toll fand. Und ich wollte gern so sein, wie mich mein Vater wollte. | |
| Hat das geklappt? | |
| Ich bin mit 17 Jahren zur Schauspielschule, hatte danach das erste | |
| Engagement in Verden an der Aller, ein niedersächsisches Provinztheater. | |
| Das war so abartig schlecht, dass wir einfach nur gelacht haben auf der | |
| Bühne. Irgendwann sind wir mit dem ganzen Ensemble nach Bremen, um mal was | |
| Richtiges zu sehen. Das war „Die Geisel“ in der Inszenierung von Peter | |
| Zadek. Da ist man vor Begeisterung fast in Ohnmacht gefallen. Es gab eine | |
| halbe Stunde Applaus, bis dann eine Ansage kam, man solle doch mal die | |
| Mäntel abholen, damit die Garderobenfrauen nach Hause gehen können. So | |
| antiautoritär, so frech war das. Da wollte ich hin und hab mich beworben. | |
| Bei Peter Zadek, dem legendären Theaterregisseur. | |
| Ich hatte dem sogar schon mal vorgesprochen, in Zeiten der | |
| Schauspielschule. Damals habe ich aber gefremdelt, so jemanden wie den | |
| kannte ich vorher nicht. Ich habe mich dann aber noch mal beworben und | |
| gehofft, der erinnert sich nicht. Der erinnerte sich aber sehr wohl und | |
| wollte mich deshalb noch mal sehen. Dann bekam ich tatsächlich ein Angebot. | |
| Und ich dachte „Juchhu“ und kaufte mir das Textbuch zum Stück, und dann | |
| steht da „Flipote bekommt eine Ohrfeige“. Das sollte meine Rolle sein. Eine | |
| stumme Rolle, das ist ja gar keine Schauspielerei. Ich bin dann trotzdem | |
| nach Bremen gegangen, weil ich gehört hatte, man würde bei Zadek nicht auf | |
| solche kleinen Rollen festgelegt. | |
| Und? | |
| Es wurde besser. Ich war dann Regieassistentin, habe bei „Frühlings | |
| Erwachen“ die Martha gespielt, das war überhaupt meine Lieblingsrolle. Und | |
| ich fand den Zadek so toll, ich bin bei ihm zu Hause ein- und ausgegangen. | |
| Ich war zwar zwischendurch noch einmal in Berlin bei meinem Vater am | |
| Hansatheater als Mädchen für alles. Aber Bremen und Zadek waren über zehn | |
| Jahre mein Zuhause und meine künstlerische Liga. Da ging es um Lebendigkeit | |
| und Wahrhaftigkeit, um Qualität. Ich bin heute sehr dankbar, das erlebt zu | |
| haben. Aber auch bei Zadek habe ich nie die Hauptrolle gespielt. Das, was | |
| ich eigentlich wollte mit der Schauspielerei, das hat nicht geklappt. | |
| Ganz vorne stehen und gesehen werden? | |
| Jawoll. Ich habe nur die Nutten, Kinder und Dienstmädchen gespielt. Ich | |
| konnte blind die Kittelschürze aus dem Fundus aussuchen. | |
| Das war Ihnen nicht genug? | |
| Ich halte mich für begabt. Aber Talent – das reicht doch nicht. Ich wollte | |
| mich abarbeiten, ich wollte Herausforderungen. Große Rollen. Aber ich habe | |
| die Rollen der Sexbomben bekommen, weil ich für den Typ Liebhaberin zu | |
| vollbusig war. Ich war aber auch zu schüchtern, um mehr einzufordern. Ich | |
| komme aus einer patriarchalischen Familie, und das Theater ist eine total | |
| patriarchalische Welt, auch heute noch. Erst kurz bevor Zadek gestorben | |
| ist, da war ich schon über 60, da hat der mal was Freches zu mir gesagt, | |
| und ich habe erwidert: „Das hat mir jetzt aber was ausgemacht.“ Vorher | |
| hätte ich mich das nicht getraut, da bin ich eher weggelaufen. | |
| Zu schüchtern, um Hauptrollen zu fordern – was haben Sie stattdessen | |
| gemacht? | |
| Ich bin mit 29 vom Theater abgegangen, um selbst der Mittelpunkt meines | |
| Lebens zu werden. Vorher war ich ja nur ein Teil des Lebens von Peter | |
| Zadek. | |
| Sie hätten an ein anderes Theater gehen können. | |
| Ja, ich hatte viele tolle Angebote, von Fassbinder oder am Schauspiel | |
| Frankfurt, und später habe ich auch in Berlin an der Schaubühne gespielt. | |
| Aber die Rollen blieben gleich. Heute bin ich großer Fan vom Maxim Gorki | |
| Theater, dort gibt es eine große Bandbreite im Ensemble, jeder ist wichtig | |
| und kann untypisch besetzt werden. Das ist das Theater, das ich damals | |
| gebraucht hätte. Damals gab es aber nicht einmal die Stücke, bei denen ich | |
| dachte, das bin ich, das will ich unbedingt machen. | |
| Also haben Sie einen ganz anderen Weg eingeschlagen? | |
| Mein Bruder hatte mir dann erzählt, dass man in Berlin Bafög bekommt, wenn | |
| man das Abitur nachmacht. Das habe ich dann gemacht. Das war voll irre. Ich | |
| kannte ja vorher nur Schauspieler, und dort waren alle so normal. Da war | |
| ich der bunte Hund. Ich wurde dann aber tatsächlich auf der Straße für den | |
| Film entdeckt, weil ich so einen auffälligen Hut trug. Der erste Film war | |
| Robert von Ackerens „Harlis“. Ich wollte erst gar nicht, ich war ja gerade | |
| vom Theater weg. Aber dann war das ein guter Kontrast zur Schule, die waren | |
| ja alle voll durchgeknallt bei diesem Film. | |
| Aber auch da gab es keinen Durchbruch. | |
| Die haben mich von jemand anderem synchronisieren lassen. Unverschämt. Ich | |
| habe dann meinen Mann kennengelernt, der mit Schauspielerei nichts zu tun | |
| hatte. Wir sind zwei Jahre auf Weltreise gegangen, dann kamen die Kinder, | |
| und ich habe zwar doch noch gespielt, vor allem aber angefangen, selbst | |
| Theaterstücke zu schreiben und aufzuführen. Aber die kamen bei den Männern | |
| nicht an. Ich weiß noch, wie eine Freund damals sagte: „Was macht die Ellen | |
| da eigentlich für komische Stücke?“ | |
| Was waren das für Stücke? | |
| Stücke über Frauenthemen. Damals ging es ja im Theater fast ausschließlich | |
| um Männerthemen, um Macht und Allgemeines, die Vereinsamung des | |
| Kleinbürgers. Mir ging es aber um das Persönliche: um die Selbstsuche, die | |
| Selbstzweifel der Frauen, die Doppelbelastung. | |
| Das war doch aber eine Zeit der Emanzipation. | |
| Das war Ende der 1980er. Damals gab es in Berlin die erste rot-grüne | |
| Regierung, da war Anke Martiny Kultursenatorin. Und ich habe gedacht: | |
| Sagenhaft, jetzt kommen wir Frauen dran. Aber das wurde ja nichts. | |
| Warum denn nicht? | |
| Kurz darauf kamen die Wiedervereinigung und mit ihr die vielen CDU-Wähler. | |
| Da spielte das dann keine Rolle mehr. Im Theater schon gar nicht. Und | |
| schauen Sie mal heute: Wie viele Regisseurinnen, Autorinnen und | |
| Intendantinnen gibt es denn?! | |
| Immerhin haben Sie eigene Stücke geschrieben, statt sich in einem Ensemble | |
| unterzuordnen. | |
| Ja, da war ich schon mal näher an mir dran, selbstbestimmter. Ich habe dann | |
| im Tacheles szenische Lesungen aufgeführt. Aber die Stücke, die ich | |
| rausgesucht habe, die fand immer kein anderer gut. Wirklich wahr. | |
| Ihr Vater hatte doch damals mit dem Hansa-Theater ein eigenes, recht großes | |
| Theater in Berlin. | |
| Ich habe mal ein Stück gemacht, ein Märchen, in dem der Vater seiner | |
| Tochter nicht das Königreich geben will. Er sagt immer: Du musst erst | |
| heiraten. Und sie sagt: Wieso, ich erbe doch das Königreich. Und er sagt: | |
| Nein, bei uns herrscht männliche Erbfolge. Und sie fragt sich: Wie kommt | |
| man bloß an ein Königreich? Also besiegt sie einen Drachen und befreit eine | |
| Prinzessin. Und dann herrscht voll das Chaos. Einen Prinzen gibt es auch | |
| noch. Am Ende leben alle auf dem Schloss, in einer Art Wohngemeinschaft. | |
| Und die kämpferische Prinzessin konnte fürs Kämpfen zuständig sein. | |
| Das sind Sie. | |
| Ich selbst habe das Königreich nie bekommen. Mein Vater hat mich im | |
| Hansa-Theater nie etwas Eigenes machen lassen und mir das Theater am Ende | |
| auch nicht angeboten. | |
| Inzwischen sollen dort neue Wohnungen gebaut werden, der Abriss steht an. | |
| Schmerzt Sie das? | |
| Nein. Mich hat nur geschmerzt, dass ich mich dort überhaupt nicht | |
| ausprobieren konnte. Was allerdings auch wahr ist: Solche Schwänke wie im | |
| Hansa-Theater, also Volkstheater zu inszenieren – dafür bin ich überhaupt | |
| nicht geeignet. Ich hätte das wieder nur so machen können, dass die Leute, | |
| die solches Theater sehen wollen, denken, die hat nicht alle Tassen im | |
| Schrank. | |
| Haben Sie je bereut, dass Sie damals die progressive Theaterwelt des Peter | |
| Zadek verlassen haben? | |
| Nie. Es ist doch so: Zadek gehörte zu den ersten Regisseuren, die geschaut | |
| haben, was bringen die Leute mit. Das war seine große Kraft. Er ist den | |
| Impulsen seiner Schauspieler gefolgt. Das war für mich der Anfang. Und der | |
| erste große Schritt, auf meine eigenen Impulse zu hören, war der Abgang vom | |
| Theater. Natürlich war das eine Art Ausweichen, weil ich nicht | |
| selbstbewusst genug war, mich in der Institution durchzusetzen. Aber vor | |
| allem ging es darum, meine eigenen Inhalte umzusetzen. Dieser Lebensweg hat | |
| mich mein eigener Mittelpunkt werden lassen. Heute bin ich nicht mehr | |
| schüchtern und bekomme dafür unglaublich viel Positives zurück. | |
| Jetzt haben Sie mit 75 Ihr erstes Buch veröffentlicht, einen Roman. Haben | |
| Sie nie gedacht, eigentlich bin ich doch zu alt für was Neues? | |
| Nein, so denkt man doch als Kreative nicht! | |
| Wie wichtig ist Ihnen heute noch der Erfolg? | |
| Sehr wichtig. Diese Sichtbarkeit, die ich als Schauspielerin und mit meinen | |
| eigenen Theaterstücken nicht geschafft habe, die will ich jetzt mit dem | |
| Buch schaffen. Das ist mein Ziel. | |
| Worum geht es? | |
| Es geht um die erfolgreiche Marie, die von ihrem dominanten Vater in jeder | |
| Hinsicht in Beschlag genommen wird. Er duldet keine anderen Männer neben | |
| sich, und im Beruf mischt er sich ein. Denn obwohl sie sich mit einem | |
| Start-Up selbstständig gemacht hat, vermittelt er ihr lukrative Kunden und | |
| treibt sie zu Höchstleistungen an. Als Marie eines Tages schwer krank wird, | |
| bricht das wacklige System zusammen. Im Laufe des Buchs erkennt man, was | |
| die Ursache dafür ist, dass Marie sein ganzer Stolz ist und ihr Bruder Ulf | |
| von ihm abgelehnt wird. Sie versucht mit einer Rückführungstherapie das | |
| Geheimnis um diese Familie zu entschlüsseln. | |
| Sie haben es im Selbstverlag herausgegeben. | |
| Ich habe das Manuskript an viele Verlage und Literaturagenten geschickt. | |
| Ich glaube, die haben es nicht einmal gelesen. Aber ich habe auch überhaupt | |
| nicht gewusst, wie es auf dem Buchmarkt läuft. Beim nächsten Buch mache ich | |
| das besser. Das habe ich zur Hälfte schon fertig. An einem weiteren arbeite | |
| ich auch schon zwei Jahre. In allen geht es um die Vatersuche. Wenn ich mit | |
| dieser Trilogie Erfolg habe, habe ich es geschafft. | |
| Sie meinen, endlich doch berühmt werden? | |
| Ach Quatsch. Berühmt ist Paris Hilton. Berühmt kann man auch durchs | |
| Dschungelcamp werden. Ich habe das Gefühl, als hätte ich bisher geübt, um | |
| mit der Prosa jetzt das ausdrücken zu können, was mir inhaltlich wichtig | |
| ist. Damit möchte ich gesehen werden. | |
| Das will ich genauer wissen: Was muss passieren, damit Ellen Esser sagt, | |
| das ist es, was ich mir immer gewünscht habe? | |
| Bis jetzt ist es ja so, dass ich immer ackere und kämpfe. Aber wenn | |
| plötzlich die Menschen auf mich zukommen würden und sagen, wir wollen, dass | |
| Sie zu einer Lesung kommen, wir wollen das hören – das wäre es! | |
| Was versprechen Sie sich davon? | |
| Man könnte sagen, das ist etwas Unerfülltes. Und es fühlt sich immer schön | |
| an, wenn eine Sehnsucht erfüllt wird. | |
| … die Sehnsucht der 14-Jährigen, die sein will wie Romy Schneider? | |
| Es geht doch im Leben darum, sich in allen Bereichen zu erfüllen. Ich habe | |
| seit sechs Jahren zum ersten Mal einen Partner, der mich wirklich schön | |
| findet und mit dem ich eine erfüllte Beziehung auf Augenhöhe führe. | |
| Finanziell bin ich auch zum ersten Mal so abgesichert, das ich frei | |
| arbeiten kann. Jetzt fehlt noch die Anerkennung für die künstlerische | |
| Arbeit. Aber es stimmt, im Grunde ist das noch die gleiche Energie, die | |
| mich mit 14 angetrieben und auf diesen ganzen Weg gebracht hat. | |
| Was ist, wenn auch das Buch diese Anerkennung nicht bringt? | |
| Das ist eine überraschende Frage. (Schweigt kurz) Ich glaube aber, ich | |
| werde es so lange versuchen, bis ich sterbe. | |
| 10 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Manuela Heim | |
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| Schauspieler | |
| Bjarne Mädel | |
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