# taz.de -- Veränderungen für Freistadt Christiania: Krise im Paradies | |
> In der Kopenhagener Freistadt Christiania wurde die Pusherstreet | |
> geschlossen. Revierkämpfe um den dortigen Cannabishandel sind eskaliert. | |
Bild: Polizeieinsätze in Christiania brachten bisher wenig – deshalb griffen… | |
STOCKHOLM taz | Die Aktion war gut vorbereitet. Dienstagmorgen um 7.30 Uhr | |
rückten die Arbeitstrupps an. Sie stellten eiserne Absperrgitter auf und | |
drapierten sie mit schwarzen Decken. Eine Stunde später waren alle sieben | |
Zugänge zur Pusherstreet von Kopenhagen abgesperrt. Handgemalte Schilder | |
informierten darüber, dass die EinwohnerInnen von Christiania die Straße | |
und damit den dortigen Cannabishandel „die kommenden Tage“ geschlossen | |
halten werden: „Wiedereröffnung, wenn es eine gemütlichere Straße ist.“ | |
Seit der Besetzung des ehemaligen Kasernengeländes im Herzen der dänischen | |
Hauptstadt und der Gründung der autonomen Gemeinde Christiania im Jahr 1971 | |
gehörte auch der Haschischmarkt zur Freistadt. 2012 erst durch den Kauf der | |
Grundstücke vom Staat legalisiert, haben sich Christiania und die | |
Pusherstreet zu einer Touristenattraktion entwickelt – und der | |
Cannabishandel wurde zu einem bedeutenden ökonomischen Faktor: Der | |
jährliche Umsatz dort wird auf 70 bis 130 Millionen Euro geschätzt. | |
Doch mittlerweile hat dieser Handel kaum noch etwas mit den | |
ChristianiterInnen selbst zu tun. Beherrscht wird er von Dealern von | |
außerhalb. „Und es herrscht zu viel Gewalt“, konstatiert Knud Foldschack, | |
Anwalt der Stiftung Freistadt Christiania, des juristischen Eigentümers von | |
Christiania. In letzter Zeit gab es mehrere gewaltsame Zwischenfälle, denen | |
offenbar Revierkämpfe zugrunde liegen. Die Polizei berichtet vom wachsendem | |
Einfluss der Rockerklubs Hells Angels und Satudarah und hat in den | |
vergangenen Monaten ihre Razzien verstärkt. | |
Offiziell ist der Handel mit Cannabis in Dänemark strafbar, aber wird in | |
Christiania weitgehend geduldet. „Weil er sich dort festgebissen hat“, | |
meint der Soziologe Kim Møller, aber auch weil er sowieso nicht zu stoppen | |
wäre und ein so einträgliches Geschäft sei, dass er allenfalls in anderen | |
Teilen der Stadt wieder auftauchen würde, sollte die Polizei ihn wirklich | |
aus Christiania vertreiben können. Daran sei sie aber vermutlich nicht | |
wirklich interessiert, weil der Handel dann noch schwerer zu kontrollieren | |
wäre und seine Verfolgung noch mehr polizeiliche Ressourcen binden würde. | |
## „Kauf deinen Hasch woanders“ | |
Lars-Ole Karlsen, Leiter der Spezialabteilung der Polizei für Einsätze auf | |
der Pusherstreet, begrüßt die Schließungsinitiative der BewohnerInnen: „Wir | |
bieten unsere Zusammenarbeit an und werden unsere Einsätze gegen den | |
organisierten Cannabis-Handel verstärken.“ Aber er meint auch, Christiania | |
selbst könnte mehr tun und solle grundsätzlich Nein zu diesem Handel sagen | |
und nicht nur über die gewaltsamen Auswüchse klagen: „Wenn Kriminalität aus | |
der Pusherstreet verschwinden soll, dann müssen die Bewohner aus dieser | |
einfach etwas anderes machen.“ | |
Dass selbst ein komplettes Abräumen der Pusherstreet nicht hilft, hatte | |
sich aber bereits vor zwei Jahren gezeigt. Damals hatten die rund 1.000 | |
BewohnerInnen in Eigeninitiative alle Verkaufsbuden abgerissen und an | |
Konsumenten appelliert: „Hilf Christiania: Kauf deinen Hasch woanders.“ | |
Schon wenige Wochen später war der Handel aber wieder zurückgekehrt. | |
„Wir sind auch keine unbezahlte Polizei für eine verfehlte Drogenpolitik“, | |
erklärte Ole Lykke, ein Christiania-Sprecher am Mittwoch in der | |
Tageszeitung Berlingske Tidende. Zumal die Polizei ein Teil des Problems | |
sei. Die Einsätze in Christiania seien kontraproduktiv, würden immer | |
gewaltsamer und würden die Gewalt nur hochschaukeln: „Das Einzige, was | |
helfen kann, ist eine Entkriminalisierung des Cannabis-Handels. Die | |
Politiker müssen endlich Verantwortung übernehmen.“ | |
Diese Einsicht beschränkt sich in Dänemark mittlerweile nicht nur auf die | |
üblichen Verdächtigen, die schon lange eine Legalisierung fordern, nämlich | |
linke Einheitsliste, Sozialisten und rot-grüne Alternative. Auch bei | |
Sozialdemokraten und Liberalen mehren sich die entsprechenden Stimmen. | |
Irgendwann müssten Politiker die Realität erkennen und zugeben, dass ihre | |
Drogenpolitik falsch sei, sagt Christina Egelund, rechtspolitische | |
Sprecherin der Liberalen Allianz: „Ich nehme an, in 5 bis 6 Jahren ist es | |
so weit.“ Bis dahin muss Christiania sich also wohl noch gedulden, bis es | |
wieder eine „Freistadt der Liebe“ anstatt der Bandenkriege ist. | |
23 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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