| # taz.de -- Foto-Ausstellung Tacita Dean in London: Wunderbare Leichtigkeit | |
| > Die Royal Acadamy eröffnet nach ihrer Renovierung mit „Landscape“ von | |
| > Tacita Dean. Die Schau zeigt Schwarz-Weiß-Fotografie voller Sehnsucht. | |
| Bild: Blick in die Ausstellung „Landscape“ | |
| London taz | Über den weiß leuchtenden Prachtfassaden des wohlhabenden | |
| Londoner Westend wehen unzählige britische Flaggen. Vom Strand über die | |
| Shaftesbury Avenue bis nach Piccadilly. Es sind so viele, dass es für | |
| kontinentaleuropäische Augen so wirkt, als befände man sich in einer | |
| Popart-Installation und nicht in nationaler Vorfreude auf eine königliche | |
| Hochzeit. | |
| Piccadilly ist eine der feinsten Adressen der Stadt und hier befindet sich | |
| die Royal Academy of Arts, die sich ebenfalls glänzend präsentiert. Sehr | |
| bedacht auf ihre schwergewichtige Tradition und Distinktion, wird sie von | |
| manchen „the tanker“ genannt. Und wenn ein Tanker wie dieser sein 250. | |
| Bestehen feiert, wird geklotzt, nicht gekleckert: mit einer höchst | |
| aufwändigen Renovierung und einer von David Chipperfield neu gestalteten | |
| Verbindung ihrer beiden Gebäude. Ihr Publikum beschenkte die RA mit | |
| „Landscape“, einer Ausstellung von Tacita Dean. | |
| Und diese Ausstellung ist ein kleines Wunder. Nicht nur, weil die | |
| Männerdomäne ihr neues Haus mit den Arbeiten einer Frau eröffnet. Sondern | |
| weil Dean eine Künstlerin ist, deren Werke selbst dann noch fragil und | |
| fragend wirken, wenn sie raumgreifend und inhaltsgewaltig sind. Und das ist | |
| eine rare Qualität. Dean arbeitet mit leisen, zarten, nicht selten dem | |
| Verschwinden nahen Dingen und Medien: mit Luft, mit Kreide, mit analogem | |
| Film, mit klassischer Bildung, mit echten Freundschaften und mit dem, das | |
| sie den „state of grace nennt“, die glückliche Fügung. | |
| Vor dem Hintergrund des Flaggenmeers draußen ist es auch wohltuend, dass | |
| sich die in Berlin und Los Angeles lebende Künstlerin dezidiert als | |
| „British European“ ausweist. Nur die englische Landschaft sei etwas, das | |
| sie im Ausland vermisse, meint sie, und diese Sehnsucht scheint der Motor | |
| gewesen zu sein für das Bilderuniversum, das ich hier betrete. Es ist in | |
| suggestivem Schwarz-Weiß gehalten und in zurückhaltenden Terracottatönen. | |
| Das taktil gezeichnete riesige Bergmassiv von „The Montafon Letter“ (Kreide | |
| auf Schiefer) korrespondiert mit der wandfüllenden Schwarz-Weiß-Fotografie | |
| eines Baumes, dessen Äste wie Tentakel aus dem Bild herauszugreifen | |
| scheinen, um mich einzubinden („Majesty“). | |
| Gegenüber: kleinere Wolkenformationen, Kreidezeichnungen und Gouachen auf | |
| Schiefertafeln, die mit derartiger Luftigkeit über die Wand verteilt sind, | |
| dass sie die ziehenden Gedankenfetzen spiegeln, auf die die Titel | |
| verweisen: „I remember now“ , „One dear son“, „O form!“. Etwas weit… | |
| Deans Sammlungen von runden Steinen und vier- bis mehrblättrige | |
| Kleeblättern. Mein schweifender Blick wird konzentriert und alles erhält so | |
| Zusammenhang und Bedeutung. | |
| ## Es war anstrengend | |
| Dass sie so etwas Anstrengendes noch nie gemacht habe, sagt Tacita Dean. | |
| Und so überraschend das angesichts der allgegenwärtigen Leichtigkeit wirkt, | |
| anstrengend war ohne Zweifel die Fertigstellung ihres neuen 56-minütigen 35 | |
| mm-Films „Antigone“, an dem die Künstlerin zehn Jahre lang arbeitete. Er | |
| ist zu gleichen Teilen eine autobiografische und mythologische, technisch | |
| aufwändige und optisch hoch reizvolle Reflexion über das Sein in der Zeit. | |
| Der Film ist ein Diptychon im Querformat, das im Englischen „landscape | |
| format“ heißt. Damit verweist diese Arbeit auch auf „Film“ von 2011, ihr | |
| hochformatiges Porträt des Mediums. | |
| Tacita Dean gehört zu den Künstler*innen, die sich in einer Gruppe von | |
| Geistesverwandten aufgehoben fühlen und in ihren Werken auf diese | |
| verweisen. So befindet sich in ihrer Schau auch „Cumulus Head“, ein kleines | |
| Werk von Paul Nash, dem sie nach eigenen Aussagen weitaus mehr verdankt als | |
| etwa Gainsborough, John Constable oder Turner, wie die Royal Academy in | |
| ihrem Pressetext schreibt. Außerdem sei das Bild gleichzeitig Porträt, | |
| Landschaftsmalerei und ein Stillleben. | |
| Dabei lächelt die Künstlerin und ironisiert mit dieser Aussage vielleicht | |
| auch das besonders Anstrengende ihrer letzten Arbeitsmonate: die Tatsache, | |
| dass die Ausstellung „Landscape“ zeitgleich und in Kollaboration mit zwei | |
| weiteren Ausstellungen gedacht und gemacht wurden, „Still Life“ und | |
| „Portrait“, die an zwei weiteren Bastionen des englischen | |
| Kunstestablishment stattfinden, der National Gallery und der National | |
| Portrait Gallery. | |
| Dieser Coup wird von den beteiligten Institutionen begeistert beworben. Er | |
| ergab sich aus der Tatsache, dass die National Gallery und die National | |
| Portrait Gallery zeitgleich bei der Künstlerin nach einer Ausstellung | |
| anfragten. Nicholas Cullinan, Direktor der Portrait Gallery, schlug | |
| daraufhin vor, auf Zusammenarbeit zu setzen, statt auf Konkurrenz. Zudem | |
| arbeite Dean in allen drei Genres, die von den teilnehmenden Häuser | |
| vertreten würden. Meine Bedenken, ob hinter dieser Kooperation etwa | |
| Budgetkürzungen versteckt werden könnten, trafen auf erstaunte Gesichter | |
| und ließen sich auch nicht betätigen. Ein schönes Projekt ohne | |
| Hintergedanken, so sieht es ein Großteil der Londoner Kunstszene. Auch | |
| scheint diese Kollaboration nicht als Pilotprojekt für künftige | |
| Ausstellungen gedacht zu sein. | |
| Ein Synergieeffekt dieser Schauen betrifft die Stadt selbst und macht den | |
| Spaziergang zwischen den Institutionen zu einem ästhetischen Erlebnis. Da | |
| wird Tacita Deans Kunst zu einer Art „künstlerischer Reizschutz“, wie | |
| Moholy-Nagy über die Wirkung der Bauhaus-Fotografie schrieb. Und so sehe | |
| ich, aus den drei wunderbaren Ausstellungen kommend, nicht den | |
| Sensationswert von Prince Charles, wie er zufällig vor mir die Treppen von | |
| St. Martin-in-the-Fields herabgeht. Ich sehe statt dessen eine Komposition | |
| aus Smartphones und Tablets und in den Himmel gereckten Arme und darüber | |
| ein endloses helles Blau, in dem zartweiße Federwolken treiben und die | |
| Szene einfassen. | |
| 23 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Gaby Hartel | |
| ## TAGS | |
| London | |
| Fotografie | |
| zeitgenössische Kunst | |
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