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# taz.de -- Debatte Nationalspieler bei Erdogan: Fußball ist niemals unpolitis…
> Wie gern würde man glauben, Politik und Sport haben nichts miteinander zu
> tun. Das Gegenteil ist richtig. Der Sport hat es faustdick hinter den
> Ohren
Bild: Um Blut-und-Boden-Bullshit vorzubeugen, hat der DFB die Nationalmannschaf…
Es ist schon verblüffend, mit welcher Hartnäckigkeit sich dieses Vorurteil
hält: Der Sport sei unpolitisch, ja, Sport und Politik verhielten sich wie
Wasser und Öl. Vermischen könne man die nicht, sagen vor allem
Sportfunktionäre, Politiker und Sportrechte-Inhaber, die ein großes
Interesse am Fortbestehen dieser Mär haben. Aber damit verbreiten sie
natürlich den allergrößten Unsinn. Sport und Politik, das sind die
siamesischen Zwillinge der Populärkultur. Man darf sich nicht vom
zirzensischen Charakter des Sports täuschen lassen, von seiner
Oberflächlichkeit und sedierenden Wirkung.
Der Sport hat es faustdick hinter den Ohren. Man muss diesen Saubazi halt
nur in seiner ganzen Pracht sehen wollen, was manchmal recht schwierig ist,
so betäubt und beseelt, wie man nach einem Fußballspiel manchmal ist. In so
einem Zustand ist es schwer zu kapieren, dass zum Beispiel die Fußball-WM
in Russland eine politische WM ist, weil sie so gut in Wladimir Putins
Planspiele passt. Kurz nach den Winterspielen 2014 hat er die Krim
annektiert. Da gibt es keinen Zusammenhang? Schon klar.
Unter der Oberfläche der propagierten Sport-Harmlosigkeit brodelt es wie in
einem unterirdischen Magma-See. Manchmal kommt es zu Eruptionen. Das
Politische schießt empor, durchbricht die Erdkruste und besudelt die schöne
Landschaft des Sportiven. Unschöne Sache, das. Plötzlich muss man sich
nicht mehr nur mit Tabellen, Punkten, Aufstiegschancen und
Relegationsspielen beschäftigen, sondern mit einem Spieler, der als Zoon
politikon in Erscheinung tritt, als Wesen also, das jenseits des
Fußballplatzes zu politischen Ansichten neigt. Unerhört, das Ganze. Wurde
uns von Kindesbeinen an nicht der Glaubenssatz eingebimst, der Sport sei
unpolitisch, unpolitisch und nochmal: unpolitisch?
Verdammte Hacke! Und dann taucht dieses Bild in der Öffentlichkeit auf:
Mesut Özil und Ilkay Gündogan lassen sich ablichten mit dem Bösen vom
Bosporus, Recep Tayyip Erdoğan, dem türkischen Präsidenten, der sein Land
in einen Mafia-Staat umbaut. Der „Mafia-Staat“, so der ungarische Soziologe
Bálint Magyar, „ist die privatisierte Form des parasitischen Staats“. Ein
korrupter Clan erobert die politische Macht und unterwirft sich den Staat
und seine Institutionen. Was das alles konkret bedeutet, kann man Deniz
Yücel fragen, der ein Jahr im türkischen Knast schmorte. Sein Vergehen? Er
hat seinen Job als Journalist gemacht. Das kann reichen, um in
Mafia-Staaten weggesperrt zu werden.
## Treudoofe Paladine eines Möchtegern-Diktators
Özil und Gündogan haben keine Berührungsängste bei diesem Treffen. Özil
gibt sich so locker, wie man ihn außerhalb des Fußballplatzes nur selten
sieht. Gündogan hat auf das Fußballtrikot, das er Erdoğan überreicht, eine
Widmung für „seinen Präsidenten“ geschrieben. Es ist eine Geste des
Respekts und der Ergebenheit. Beide Kicker fühlen sich sichtlich wohl in
der Nähe des Autokraten, der die deutschen Nationalspieler zu Wahlkämpfern
seiner Partei AKP macht. Am 24. Juni sind Wahlen in der Türkei, und gewinnt
Erdoğans Truppe, was sehr wahrscheinlich ist, dann schreitet der Umbau der
Türkei in eine Erdokratie voran.
Das Politische knallt hier also mit voller Dröhnung in die Sphäre des
Sportiven. Und das ist besonders heikel, weil die Intention nicht
emanzipatorisch ist. Özil und Gündogan sind keine Emanzen. Sie sind
Reaktionäre. Sie treten nicht als Kämpfer für die Rechte von Minderheiten
und Unterdrückten auf, kämpfen nicht gegen Unrecht, Hunger oder Armut,
nein, sie signalisieren vielmehr, dass sie mit der politischen Agenda
dieses Igitt-Politikers einverstanden sind.
Sie stehen damit ganz entschieden nicht in der Tradition von Revoluzzern
und Rebellen wie Tommie Smith und John Carlos, die 1968 bei den Olympischen
Spielen ihre Fäuste reckten gegen die Diskriminierung von Afroamerikanern
und für eine bessere Welt. Sie stehen auch nicht in der Tradition von
Sportlern, die 2014 bei den Winterspielen in Sotschi mit Regenbogenbändchen
gegen Putins homophobes Russland protestierten. Die Kicker treten als
treudoofe Paladine eines Möchtegern-Diktators auf. Sie lassen sich
instrumentalisieren, und man wünscht ihnen von Herzen, dass sie es
wenigstens mitbekommen haben.
## Blut-und-Boden-Bullshit
Die Empörungswelle ist im aktuellen Fall deswegen so hoch, weil die
Überfrachtung des „unpolitischen“ Sports mit reaktionärem Gedöns nicht n…
besonders schwer zu ertragen ist, sondern auch, weil das Konzept der
Nationalmannschaft, vor allem von ultrarechter Seite, gründlich
missverstanden wird. Die Rechten wollen in ihrem Furor und ihrer
Enttäuschung über die Verletzung des sportlichen Reinheitsgebots das Duo am
liebsten aus der Nationalmannschaft kicken. Ihre Litanei: Ein ordentlicher
deutscher Nationalspieler habe die Hymne zu singen. Er habe sich zu seinem
Deutschtum zu bekennen. Schließlich stecke er ja im Trikot der deutschen
Nationalmannschaft und nicht der türkischen.
Hinter diesem Denken steckt ein unschöner Blut-und-Boden-Bullshit, der ja
irgendwann selbst dem DFB aufgefallen ist, als er die Nationalmannschaft
aus werbetechnischen Gründen in „Die Mannschaft“ umtaufte. In der
Mannschaft kicken Fußballer, die einen deutschen Pass besitzen, mehr wird
im Grunde nicht verlangt – eigentlich, denn der unpolitische
Nationalspieler ist natürlich nur ein Konstrukt. Es gibt ihn in der
Realität nicht.
Özil oder Gündogan haben ja immer wieder ihr Gesicht hingehalten, als
Angela Merkel in der Umkleidekabine auftauchte oder wenn der DFB gegen
Rassismus kämpfte und für ein buntes Deutschland. Das ging, weil hier unter
der Fahne des Fortschrittlichen gesegelt wurde. Aber Werbung für Erdoğan?
Das war selbst dem DFB ein bisschen zu viel. Er rügte seine Pappenheimer
ein klein wenig. Man müsse halt verstehen, wie die Türken ticken, meinte
Oliver Bierhoff, Manager der National-, äh, der Mannschaft.
Und wie ticken sie nun? Vielleicht will man das gar nicht sooo genau
wissen, weil der Blick in den Erdo-Abgrund fürs Erste gereicht hat.
Außerdem: Beginnt nicht bald die Fußball-WM? Panini-Album schon
bereitgelegt?
18 May 2018
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
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