# taz.de -- Kommentar Lindners Bäckerschlange: Mitleid ist nicht angebracht | |
> CDU-Ministerin Klöckner und Grünen-Chef Habeck verteidigen Lindner wegen | |
> seiner Bäcker-Äußerungen. Diese Versöhnungsgeste ist falsch. | |
Bild: Facepalm? Eine schlichte Entschuldigung wäre besser gewesen | |
Christian Lindner, [1][dem Buhmann des Internets], wird schon wieder | |
Absolution erteilt. CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner sagt, man | |
solle dem FDP-Chef nicht die Rassismus-Keule überziehen. Auch Grünen-Chef | |
Robert Habeck sieht das so. Lindners Ausführungen seien „dusselig“ gewesen, | |
die Argumentation „schief“ und „falsch“. Aber: „Christian Lindner ist… | |
Rassist. Da nehme ich ihn gegen jeden Verdacht in Schutz.“ | |
Nun ja. Solche Feststellungen sind zunächst einmal unglaublich banal. | |
Natürlich ist Lindner kein Rassist, weil er in seiner viel diskutierten | |
Parteitagsrede eine Anekdote über Ressentiments in der Bäckerschlange | |
erzählte. Wer dem FDP-Chef, gesegnet mit einem messerscharfen Verstand, | |
dumpfen Rassismus unterstellt, kennt ihn, seine Interviews und Reden nicht. | |
Oder aber er kennt ihn und behauptet boshaft Falsches. | |
Dennoch ist Mitleid mit Lindner wirklich nicht angebracht. Vielmehr drängt | |
sich die Frage auf: Ist es die Aufgabe der Grünen, einen klugen Demokraten | |
zu verteidigen, der kalkuliert rechte Stereotype nutzt? | |
## Der Ausländer ist verdächtig | |
Lindners Äußerungen sind so widerlich, weil sie subtil funktionieren. „Man | |
kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit | |
gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte | |
Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich | |
bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer“, sagte er in | |
seiner Rede. Und folgerte: Damit die anderen Wartenden jenen nicht schief | |
anschauen und Angst vor ihm haben, müssten sie sicher sein, dass jeder, der | |
sich in Deutschland aufhalte, dies legal tue. | |
Lindner zeigt also Verständnis für Leute, die andere in Schubladen | |
einsortieren, weil sie gebrochen Deutsch sprechen, wohl auch „anders“ | |
aussehen. Herkunft mit bestimmten, gerne negativen Verhaltensweisen zu | |
verknüpfen ist ein klassisch rechtes Denkmuster. Der Ausländer ist per se | |
verdächtig, im Zweifel kriminell – deshalb muss man ihn fürchten. Dass | |
Lindner später darauf verwies, eine reale Situation beschrieben zu haben, | |
die ihm ein Zuwanderer geschildert habe, macht die Sache nicht besser. Er | |
wäre nicht der erste Politiker, der sich hinter einer Anekdote versteckt. | |
Von Boris Palmer hätte man sich 2016 auch gewünscht, dass er die sich um | |
ihre blonden Töchter sorgenden Professoren still beiseite nimmt, um ihnen | |
[2][ein paar Klischees über Geflüchtete zu erklären]. | |
Entscheidend ist, wie Lindner die Anekdote instrumentalisiert. Er adelt das | |
Ressentiment, indem er es in ein politisches Argument verwandelt. Eine | |
rassistische Abwertung wird in der Rede zum scheinbar seriösen Beleg für | |
inhaltliche Forderungen. Das ist unseriös – und des Chefs einer liberalen | |
Partei unwürdig. | |
## Auch Seehofer oder Dobrindt sind Demokraten | |
In der Flüchtlingspolitik positioniert Lindner seine FDP seit Längerem | |
rechts von der CDU. Er spricht jene WählerInnen an, denen die Kanzlerin zu | |
gutherzig, die AfD aber zu schmutzig ist. Diese Strategie kann man falsch | |
finden, aber sie ist legitim. Nur entbindet sie den Parteichef nicht von | |
der Pflicht, die rote Linie zum Ressentiment nicht zu überschreiten. Und | |
nein, Fehltritte wie seiner sind keine Petitesse, Kritik daran ist nicht | |
„hysterisch“ (Lindner). Wenn prominente Politiker demokratischer Parteien | |
rechte Schablonen übernehmen, freuen sich die echten Rassisten. Sie werden | |
darin bestätigt, hassen zu dürfen. Auch Seehofer oder Dobrindt sind | |
Demokraten. Aber sie zündeln wohlüberlegt und gezielt mit populistischen | |
Sprüchen, weil sie sich davon Vorteile versprechen. Genau wie die beiden | |
CSU-Politiker baut nun auch Lindner den Resonanzraum für die Parolen der | |
Rechtspopulisten. | |
Deshalb ist auch Habecks Versöhnungsgeste falsch. Oft fällt der Grünen-Chef | |
angenehm auf, weil er sich dem ritualisierten Politik-Haudrauf entzieht. | |
Aber Lindners Äußerungen als „dusselig“ zu verharmlosen, wird der Sache | |
nicht gerecht. Demokraten, die das Geschäft der Rassisten betreiben, sind | |
fast noch gefährlicher als die Rassisten selbst – denn sie wissen, was sie | |
tun. | |
Die beliebte These, im Kampf gegen erstarkende Rechte müssten alle an einem | |
Strang ziehen, ist unpräzise: Unter Demokraten gibt es verschiedene | |
Strategien gegen rechts. Und manche verschlimmern das Problem noch. So | |
sehen sich die Grünen als Bastion im nach rechts gerutschten Diskurs, sie | |
wollen die Verteidiger von Humanität und Weltoffenheit sein. Dazu gehört | |
aber, Grenzverletzungen zu erkennen und benennen. | |
Und Christian Lindner? Der kluge FDP-Chef war nicht klug genug, um seine | |
Chance zu erkennen: Eine schlichte Entschuldigung hätte unglaublich | |
sympathisch gewirkt. | |
15 May 2018 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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