# taz.de -- Kunststandort Lichtenberg: Austauschgeschichten | |
> Einst ein geheimer Fuhrpark der Staatssicherheit: Beim Gallery Weekend | |
> lässt sich auch die Fahrbereitschaft in Lichtenberg besichtigen. | |
Bild: Noch zu entwickeln: Außengelände der Fahrbereitschaft in Lichtenberg | |
Das Gallery Weekend als Gentrifizierungsseismograf reicht nun bis nach | |
Lichtenberg, dahinter nur noch Platte bis nach Wladiwostok: Hinaus also in | |
die Herzbergstraße 40–43, in die von dem Kunstsammler Axel Haubrok seit | |
fünf Jahren bespielte Fahrbereitschaft. | |
2012 hat Haubrok zusammen mit seiner Frau das schräg gegenüber dem Dong | |
Xuan Center liegende Gelände gekauft. Eine 17.915 Quadratmeter große | |
Liegenschaft, eine der vielen aus dem Bestand des Ministeriums für | |
Staatssicherheit (MfS). Hier befand sich ein ehemals streng geheimer, dem | |
Zentralkomitee Verkehr der SED unterstellter Fuhrpark. Nun haben die | |
Haubroks hier etwa tausend Objekte von 200 Künstlern untergebracht, | |
Konzeptkunst vor allem. Internationalen Austausch haben sie inszeniert, | |
Berlin–Los Angeles. Dort drüben in L. A. sei man froh, wenn einer in die | |
Brache geht und investiert, aber hier, in Berlin-Nordost? | |
Am Donnerstag jedenfalls hat Haubrok ein Schreiben vom Stadtentwicklungsamt | |
Lichtenberg erhalten, in dem er darauf hingewiesen wird, dass mit der | |
Durchführung von Kunstausstellungen auf dem Gelände eine Nutzungsänderung | |
vorgenommen werde. Dass eine Genehmigung dafür nicht vorliege. Und dass bei | |
einer „wiederholten Nutzungsänderung“ ein Ordnungswidrigkeitsverfahren | |
eingeleitet werden könne. | |
Ein Schreiben, das Haubrok überrascht hat. Er verweist auf mündliche | |
Duldungen aus der Lichtenberger Verwaltungsleitung, die er für | |
Veranstaltungen in der Fahrbereitschaft erhalten habe. Das Schreiben | |
verstehe er so, dass keine weiteren Ausstellungen stattfinden sollen. Daran | |
will er sich auch halten. Die bereits eingerichteten Schauen zum Gallery | |
Weekend aber bleiben geöffnet. | |
## Neben der Kunst das Gewerbe | |
Da gibt es in der Fahrbereitschaft unter anderem Papierarbeiten aus der | |
Sammlung Haubrok zu sehen. Transportfreundliche Arbeiten – im Gegensatz | |
etwa zum gesamten Hausrat des Installations- und Konzeptkünstlers Florian | |
Slotawa, der samt VW Golf, Waschmaschine und zwei Bügelbrettern seit 2001 | |
im Haubrok’schen Besitz ist. | |
Sperrig wie seine Konzeptkunstsammlung bewegt sich der Zweimetermann | |
Haubrok über seine Spielwiese: Neben der Kunst beherbergt er über sechzig | |
Mieter, Autoschrauber, den Arbeiter-Samariter-Bund, eine Modefirma, Boots- | |
und Rahmenbauer. Hinter den hohen Garagentüren jede Menge Künstlerateliers, | |
6 Euro der Quadratmeter, so Axel Haubrok. Noch hat das Gewerbegebiet | |
Bestandsschutz. | |
Eine gut erhaltene Kegelbahn aus den sechziger Jahren der DDR, vorbehalten | |
den niederen Chargen, eine original möblierte Sixties-Bar für die Oberen, | |
très chic, komplettieren die einst geheime Liegenschaft. „Abjeriegelt, aber | |
jeder wusste“, sagt ein älterer Passant. Leer steht heute die verglaste | |
Pförtnerloge. „Ohne Marke kamste hier nich rin!“ Stasi-City. | |
Südlich schließt ein fabrikähnlicher zweistöckiger Bau des Stararchitekten | |
Arno Brandlhuber das Gelände ab. Brandlhuber hat hier auch gekauft, die | |
toten Türme des ehemaligen VEB Elektrokohle neben dem Dong Xuan Center. Zur | |
Herzbergstraße hin plant Haubrok mit Brandlhuber eine große Kunsthalle mit | |
Ausstellungsbetrieb, neben dem grauen Pförtnerhäuschen, wo es zu DDR-Zeiten | |
eben mit Ausweis nur Einlass gab. Genehmigt bekommen hat der Westfale seine | |
nächste Investition bisher nicht. | |
## Der Geruch der Repression | |
Anfangs sah sich Axel Haubrok noch mit dem Gelände und dessen Geschichte | |
konfrontiert. Nachvollziehbar findet der 65-Jährige, dass Künstler mit | |
DDR-Background den Geruch aus altem Linoleum und Reinigungsmitteln mit | |
Repression assoziieren. Anfangs gab es auch Überlegungen, ein Buch zur | |
Vergangenheit der Immobilie zu machen. Doch nun sieht Haubrok, der sein | |
Geld am Neuen Markt mit Kunden wie Beate Uhse oder Dieter Gorny verdiente, | |
die Herausforderung im Hier und Jetzt. Der einst stacheldrahtgeschützte Hof | |
mit seinen Werkstätten, Großgaragen, dem alten Minol-Lager und den grauen | |
Verwaltungsbauten werde zur Normalität, meint der Macher aus der | |
Kapitalmarktkommunikation. | |
Einst standen hier in der Herzbergstraße etwa 80 Limousinen westdeutschen | |
Fabrikats, 20 Citroën und auch recht staatsmännische metallicgraue | |
Volvo-Großkarossen zum Einsatz bereit. Und von hier aus wurden bis 1989 auf | |
illegalen Wegen die Reisen westdeutscher DKP-Kader, der Transport von | |
Propagandamaterial und vor allem von Geld organisiert, in engem | |
Schulterschluss mit den Unternehmen für Kommerzielle Koordinierung des | |
SED-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski. | |
Unter dem sorgenden Auge des „Schilds und Schwerts der Partei“ entwickelte | |
sich auf dem Gelände der Fahrbereitschaft ein reger Austausch von Ost nach | |
West. Ein Verschiebebahnhof für Millionen Mark. Stets hatte die | |
DDR-Einheitspartei den Anspruch, Politik für ganz Deutschland zu machen. | |
Unter dem Deckmäntelchen der „Deutschen Kraftverkehr Grünau“, einer so | |
getarnten Zentrale der Abteilung Verkehr des SED-Zentralkomitees, betrieb | |
die DDR insbesondere nach dem KPD-Verbot in der BRD 1956 jahrzehntelang und | |
in Millionenhöhe die Finanzierung westlicher Parteien und Organisationen | |
wie DKP und SEW. | |
Repariert wurden die Fahrzeuge des Fuhrparks in dem der | |
Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Hohenschönhausen | |
angegliederten Strafgefangenenlager des MfS. | |
Nach den DKPlern ließen sich in der Nachwendezeit die verdienten | |
Ostgenossen chauffieren. Heute sind die weitreichende | |
Selbstbedienungsmentalität unter den alten Kadern wie auch das über vierzig | |
Jahre währende Korruptionsdickicht in Vergessenheit geraten. Für 22 | |
Millionen Ostmark ging dieser Fuhrpark des MfS dann über die systemeigene | |
Belvedere GmbH im Juni 1990 an ein schwedisches Konsortium, die AB Sicklaön | |
in Stockholm. Insgesamt wurden aus den Verkäufen der Liegenschaften des MfS | |
460.148.833,25 DDR-Mark vom MfS-eigenen Konto auf das Konto des | |
PDS-Vorstands überwiesen. Mit der Währungsunion ab 1. Juli 1990 war die | |
DDR-Mark der D-Mark gleichgestellt. | |
## Ein Brennen für die Kunst | |
Der Filz von gestern interessiert Axel Haubrok nicht. Der studierte | |
Volkswirt hat 2012 seine Beraterfirmen verkauft, er brennt für die Kunst. | |
Verdienen will der passionierte Sammler an seiner Sammlung nicht. | |
Er will den Standort an der Herzbergstraße weiterentwickeln. Birgit | |
Monteiro, die für Stadtentwicklung, Soziales, Wirtschaft und Arbeit | |
zuständige Bezirksstadträtin, nennt er etwas spöttisch „meine Feindin“. | |
Zusammen mit der Stiftung Brandenburger Tor trommelt Haubrok für den 15. | |
Mai im Max-Liebermann-Haus die politischen Entscheidungsträger der Stadt | |
zusammen. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) hat schon zugesagt. Laut | |
Einladungstext möchte die Stiftung auf „schwierige Situationen in der | |
Berliner Kulturlandschaft hinweisen“, darauf, dass „kulturelle Nutzungen | |
untersagt bleiben“. Obwohl es private Investoren gäbe, um „die dortige | |
Entwicklung zum Vorteil aller voranzubringen“. Lederer hat per Twitter | |
mitgeteilt: „Ich finde das, was Haubrok macht, übrigens ziemlich cool.“ | |
Birgit Monteiro verweist hinsichtlich der möglichen Entwicklungen in der | |
Herzbergstraße auf die Baurichtlinien. Und, klar, gesamtstädtische | |
Leuchttürme müssten her, aber sollen die nur einem Investor vorbehalten | |
werden? Monteiro fordert auch vom Senat, für die Gewerbetreibenden | |
einzutreten: „Wenn Herr Haubrok mir andeutet, er war beim Regierenden | |
Bürgermeister, werde ich ihm nicht das Recht für eine Standortänderung | |
hinterhertragen – damit die Grundstückswerte hochschießen.“ | |
Nach Lichtenberg pendelt Axel Haubrok von Charlottenburg, wie zu einer | |
hässlichen Freundin, dem Mythos von der Brache, den wilden Zeiten der | |
Nachwendejahre auf der Spur. | |
Beim Gallery Weekend gibt es bei der Fahrbereitschaft so etwas | |
Mitte-Feeling vom Anfang der Neunziger, hier in Lichtenberg-Nord trägt | |
Berlin noch das alte Narbengesicht aus Kriegszeiten. Vergessene Räume, | |
vergessene Geschichten, fast dreißig Jahre nach dem Mauerfall. | |
28 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Silke Kettelhake | |
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