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# taz.de -- Finanzmärkte und Klimawandel: Perestroika in Kapitalistan
> Um den Klimawandel aufzuhalten, will die EU den Finanzmärkten Moral und
> Ethik beibringen. Kritiker fordern, dass auch die EZB mitmachen muss.
Bild: Die EZB (hinten) könnte Wertpapiere von Kohleunternehmen (vorne) unattra…
Berlin taz | Das Schöne am Kapitalismus ist, dass alles ein Preisschild
bekommt. Zum Beispiel die Frage, was es die EU kosten würde, ihren Beitrag
zur Rettung der Welt zu leisten: 180 bis 270 Milliarden Euro. Jährlich.
Das schreibt die EU-Kommission in einem [1][Aktionsplan], mit dem sie etwas
Utopisches versucht: Zumindest ein Teil der Finanzmärkte und deren
Renditesucht soll aufhören, zum Klimakollaps beizutragen. Stattdessen
sollen die Geldströme so umgelenkt werden, dass sie Unternehmen
finanzieren, die den Planeten besser machen. Soziale Verantwortung und
ökologisches Wirtschaften sollen ein Wettbewerbsvorteil werden.
Der EU-Plan fußt auf Empfehlungen einer [2][Expertengruppe], in der
Vertreter großer Versicherungskonzerne, Banken und Börsen Hand in Hand mit
Nichtregierungsorganisationen wie dem Umweltverband WWF oder der 2°
Investment Initiative arbeiteten. Als die Kommission den [3][Plan] Ende
März präsentierte, waren Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker,
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und der milliardenschwere
Medienunternehmer Michael Bloomberg dabei. Das Thema nachhaltige
Finanzmärkte ist Chefsache.
Die oben genannten Milliardeninvestitionen müssen bis 2030 in grüne
Energien, effiziente Technik und eine neue Mobilität fließen, damit Europa
seine Klimaziele bis dahin einhält. Es geht dabei längst nicht mehr nur um
Ökologie, sondern um Ökonomie. Schwindende Ressourcen und Klimarisiken
können mächtige Konzerne in die Knie zwingen, Stürme bedrohen ganze Städte,
soziale Ungleichheit die politische Stabilität. All das predigt die
EU-Kommission längst.
## Die Rettung der Welt, das sind keine „Kosten“
Sie träumt von grünem Wachstum, nach dieser neuen Doktrin enthält der
Einstieg zu diesem Text – vielleicht ist es Ihnen ja aufgefallen – einen
Fehler. Die Rettung der Welt, das sind keine „Kosten“, sondern
Investitionen, ein Billionen-Euro-Geschäft. Die Idee geht auf den
Weltklimavertrag von Paris zurück.
Brüssel drückt auf die Tube. Noch im Mai will die Kommission erste Punkte
aus ihrem Plan umsetzen: Eine neue Verordnung soll Banken verpflichten,
Kleinanleger in Beratungen auch über nachhaltige Geldanlagen aufzuklären.
Die Bundesregierung spielt in dem ganzen Prozess bisher kaum eine Rolle,
aus dem Finanzministerium heißt es, man finde die Initiative wichtig.
Auch das mediale Interesse an der Arbeit der Kommission tendierte bisher
gegen null. Wohl, weil die Vorschläge teilweise so tief in das Räderwerk
des Kapitalismus eingreifen, dass sie sehr kompliziert sind. Am griffigsten
ist wohl die Idee, EU-weit zu definieren, was „nachhaltige Geldanlagen“
überhaupt sind, und dafür bis 2020 Standards und ein Label zu schaffen.
Was das bringt? Nur ein Beispiel: Unternehmen müssen regelmäßig
Geschäftsberichte vorlegen, doch bisher geht aus denen kaum hervor, wie
stark die Geschäfte von Kohle, Öl oder Gas abhängen. Hätten Investoren hier
klarere Zahlen, könnten sie leichter ihr Geld weniger klimafeindlich
anlegen – am Ende sogar klimafreundlich.
Das kann ethische Gründe haben oder ökonomische: Wenn Elektroautos das
neue große Ding werden und die EU das Ziel ausgibt, bis 2030 den
CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu senken – wer will da noch
Firmen Geld geben, die an Ölförderung beteiligt sind?
## Brüssel ignoriert die Rolle der EZB
Oder, anderes Beispiel: Nur 5 Prozent der Pensionsfonds in der EU haben
bedacht, dass sie wegen des Klimawandels ihre Investmentstrategien
überarbeiten müssen. Es wäre ein Leichtes, ebendies vorzuschreiben. Denn
würden Sie Ihr Geld jemandem anvertrauen, der in 30 Jahren Ihre Rente
zahlen soll, aber ignoriert, dass bis dahin der CO2-Ausstoß um mindestens
80 Prozent gesenkt werden soll? Eben.
Die Maßnahmen der EU-Kommission richten sich an alle, die auf den
Finanzmärkten etwas zu sagen haben: Aufsichtsbehörden, Investoren, Börsen,
Vorstände, Aufsichtsräte, Banken, Versicherer, Fonds, Politiker. Was
Brüssel allerdings komplett ignoriert, ist die Rolle der Europäischen
Zentralbank. Wohl aus Respekt vor der Unabhängigkeit der EZB, aber die
Ausrede lässt Harald Bolsinger nicht gelten.
Der Wirtschaftsethiker ist Dekan an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften
der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt und
verlangt, dass die EZB ethische und ökologische Kriterien in das aufnimmt,
was man „notenbankfähige Sicherheiten“ nennt. Die Sache ist leider
ebenfalls sehr kompliziert, was vielleicht einer der Gründe ist, warum eine
von ihm initiierte [4][Petition] im Internet bisher nur 50
Unterstützer*innen hat.
Die EU habe eine Grundrechtscharta – Würde des Menschen, Freiheit,
Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte –, und die gelte für all ihre
Institutionen, auch für die Zentralbank, so Bolsinger. „Allerdings
beteiligt sich die EZB permanent an Verstößen gegen die Charta“, sagt er.
## Vorschlag für ökologischeres Wirtschaften
Momentan ist es so: Will eine Geschäftsbank in der Eurozone einen Kredit
von einer der nationalen Notenbanken, dann muss die Geschäftsbank dafür
Sicherheiten hinterlegen. Derzeit summiert sich der Wert dieser
Sicherheiten an Wertpapieren in der Eurozone auf rund 14 Billionen Euro.
Hauptsächlich sind das Anleihen von Konzernen oder Staaten: Eine
Geschäftsbank kauft Wertpapiere von VW, der Deutschen Bank, HSBC,
Iberdrola, Hochtief, Statoil, HeidelbergCement, Anheuser-Busch, British
American Tobacco oder der ungarischen oder rumänischen Regierung. Dafür
stellt die Bundesbank dann der Geschäftsbank sogenanntes Zentralbankgeld
zur Verfügung. Dieses Zentralbankgeld spielt im Finanzsystem eine besondere
Rolle, weil jede Geschäftsbank verpflichtet ist, eine Mindestreserve davon
vorzuhalten. Hat sie zu wenig davon, kann sie schwerer Kredite vergeben.
Bolsingers Vorschlag könnte langfristig Konzerne dazu zwingen, ökologischer
zu wirtschaften: Die Kriterien dafür, was die Zentralbanken als Sicherheit
akzeptieren und wie sie diese bewertet, sind ein ganzes Buch dick. Was die
Kriterien nicht enthalten, sind ethische, soziale und ökologische Aspekte.
„Die EZB regelt und reguliert alles, nur die Frage, wie wir leben wollen,
spielt für sie keine Rolle“, sagt Bolsinger.
Die Großbank Wells Fargo hat einen Korruptionsskandal an der Backe? Egal,
die EZB akzeptiert Anleihen der Bank als Sicherheit. VW manipuliert die
Abgaswerte seiner Diesel? Egal, solange die Bonität des Unternehmens
stimmt. „Die EZB wäre die erste Zentralbank, die ethische Kriterien in ihre
notenbankfähigen Sicherheiten aufnimmt. Dann müssten andere auch
nachziehen. Sie könnte so die ganze Welt verändern“, glaubt Bolsinger.
Angenommen, VW würde die CO2-Grenzwerte der EU reißen, weshalb die EZB
sagte: Anleihen von VW sind keine notenbankfähige Sicherheit mehr. Der
Effekt wäre dramatisch, das Unternehmen müsste deutlich höhere Zinsen
zahlen – und würde so für den Bau von Spritschluckern abgestraft werden.
Bolsingers Idee wäre allerdings nur langfristig umsetzbar: Laut einer
Analyse der Ratingagentur Oekom Research verstößt ein Großteil der
Sicherheiten, die die EZB akzeptiert, gegen ökologisch-soziale Kriterien.
Momentan würde es überhaupt nicht genug ethisch korrekte Anleihen geben, um
die schlechteren zu ersetzen. Die Finanzmärkte sind eben auch ein
Gradmesser für den Zustand von Wirtschaft und Politik im Allgemeinen.
Bolsinger schlägt deshalb vor, die neuen, ethischen Kriterien allmählich
einzuführen.
## Die EZB lehnt ab
Die [5][EZB] allerdings lehnt den Vorschlag ab: „Wir glauben nicht, dass es
Aufgabe der EZB ist, Kriterien für nachhaltige Geldanlagen zu definieren,
das muss die Politik tun“, schreibt ein Sprecher. Die Bundesbank sieht im
Klimawandel zwar auch deutliche Gefahren, hält aber Geldpolitik für das
falsche Instrument, um gegenzusteuern.
Bolsinger ist nicht der Einzige, dem die Vorschläge der Kommission nicht
weit genug gehen. Die Organisation Finance Watch schreibt, die Kommission
gehe das Grundproblem nicht an: In den letzten drei Dekaden sei zu viel
Kapital vom öffentlichen in den privaten Sektor gewandert. „Wir müssen
wieder demokratische Souveränität über die Kapitalmärkte bekommen“, forde…
die Organisation.
Aber wie geht das? Nun, vielleicht, zumindest in Sachen EZB, mithilfe von
ganz oben. Bolsinger hat mittlerweile Unterstützung vom Bund Katholischer
Unternehmer. Der ruft, kein Witz, zu folgendem Gebet auf: „Gott, täglich
wird Geld in Milliardenhöhe angelegt. Lass nicht zu, dass die EZB weiterhin
in Anlagen investiert, die gegen Menschenrechte verstoßen. Amen.“
23 Apr 2018
## LINKS
[1] https://ec.europa.eu/info/publications/180308-action-plan-sustainable-growt…
[2] https://ec.europa.eu/info/publications/180131-sustainable-finance-report_en
[3] https://ec.europa.eu/info/events/finance-180322-sustainable-finance_en
[4] https://petiport.secure.europarl.europa.eu/petitions/en/petition/content/04…
[5] /Archiv-Suche/!5461846&s=Wuermeling/
## AUTOREN
Ingo Arzt
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