# taz.de -- Lukas Nimscheck über Kindermusik: „Es gibt kein Kalkül“ | |
> Lukas Nimscheck ist Sänger bei der Kinderband Deine Freunde. Hier verrät | |
> er, wie ironiefähig Kinder sind und warum er nicht mehr als Moderator | |
> arbeiten möchte. | |
Bild: Will kein Happy-Moderationsroboter sein: Lukas Nimscheck | |
taz: Herr Nimscheck, eben waren wir im Schmidt Theater, wo Sie einige Jahre | |
als Assistent der Geschäftsleitung gearbeitet haben. Standen Sie dort | |
selbst schon auf der Bühne? | |
Lukas Nimscheck: Nein, ich stand noch nie als Schauspieler auf einer | |
Theaterbühne. Ich bin ja aus Berlin nach Hamburg gezogen, ohne genau zu | |
wissen, was ich machen will. Ich wusste nur, es muss was in der Kultur | |
sein. Mit 21 bin ich dann zum Schmidt Theater gekommen. Schauspielern kann | |
ich nicht, ist auch gar nicht mein Ding. | |
Haben Sie eine Ausbildung im kulturellen Bereich? | |
Nein, ich habe gar keine Ausbildung. Ich hätte gerne studiert, hatte das | |
vor ein paar Jahren auch noch mal überlegt. Ich wüsste ehrlich gesagt aber | |
nicht, was ich studieren könnte. An nicht-privaten Hochschulen kann ich | |
Musik- und Musicalproduktion, das was ich hier mache, auch gar nicht so | |
studieren. Das ist dann in erster Linie Theorie. Ich hatte so einen | |
richtigen Augenöffnermoment, als ich das erste Mal hier saß. So: Ach, das | |
kann man auch mit Theater machen. Es muss nicht immer eine nackte Oma sein, | |
die mit Schweineblut beschmiert ist und ich verstehe es nicht, sondern es | |
darf auch gefallen. Es muss nicht einen Gedankenprozess in Gang setzen, der | |
kein Ende findet. Das ist eine Art von Kultur, die mich schon immer | |
interessiert hat und die sich auch durch alle meine Projekte gezogen hat. | |
Sie haben mit der Avantgarde nichts am Hut? | |
Ich habe da gar nichts dagegen. Ich finde auch, dass es so etwas in der | |
Kultur geben muss, damit die sich weiterentwickelt. Es muss immer Leute | |
geben, die Grenzen sprengen, dann kann sich auch etwas im Mainstreambereich | |
tun. Aber ich bin nicht dafür da. | |
Als Songwriter zeigen Sie Selbstironie, wenn Sie für ein Musical die | |
fiktive Schlagersängerin Gabi Mut die Zeilen „das ist ein Lied, das es so | |
schon tausend Mal gibt, das bei drei Promille noch zieht“ singen lassen. | |
Dazu gibt es den obligatorischen Tonartwechsel in Dur wie beim | |
Euro-Vision-Songcontest. Sind Sie Handwerker, Künstler oder beides? | |
Ich arbeite wahnsinnig gern. Neben dem Beruflichen habe ich auch keinerlei | |
Hobbys oder so. Für mich ist alles, was ich mache, wahnsinnig schön. Das | |
war auch bei Gabi so. Die Songs sind pures Handwerk. Aber ich hatte richtig | |
Bock auf Schlager und die müssen beim ersten Hören gleich im Ohr sein. Da | |
kann ich auch gut mit leben, muss ich sagen. Ich hatte Bock auf die Figur, | |
weil Sie meine eigene Familiengeschichte auch ein Stück weit repräsentiert. | |
Sie konnten Ihre Biografie darin verarbeiten? | |
Ja, natürlich. Es sind auch ein paar Songs drin, die gar nicht so lustig | |
gemeint sind. Meine Familie kommt aus dem Osten. Ich hatte als Kind eine | |
Stasi-Akte, weil mein Opa Olympiatrainer war in der DDR. Daher fand ich | |
eine von der Wende gebeutelte Figur wie Gabi Mut spannend. Aber ich nehme | |
mich nicht zu ernst, das geht nämlich oft nach hinten los. Bei allem, was | |
ich mache, pflege ich einen sehr selbstironischen und lockeren Umgang. Das | |
ist auch bei Deine Freunde so. | |
Mit Ihrer Band Deine Freunde haben Sie eine Nische gefunden, die riesengroß | |
ist: Musik für Kinder, die Eltern auch gerne mithören. War das Zufall oder | |
wussten Sie, dass Sie dort viele Leute abholen können? | |
Das war Zufall. Wir sind keine Marketingprofis. Ich weiß, dass sich der | |
Gedanke aufdrängt, wenn drei erwachsene Männer Kindermusik machen, dass es | |
ein Kalkül geben muss. Aber ich kann mich an keinen Moment erinnern, an dem | |
wir gesagt haben: Das ist die geile Nummer, damit verdienen wir die erste | |
Million. Flo, Pauly und mich eint, dass wir bei dem, was wir machen, eine | |
absolut arschlochfreie Zone brauchen. Die ganzen Schattenseiten, die es im | |
Musikbusiness gibt, haben wir nicht. Weil wir die Einzigen sind, die das in | |
der Form machen, konnten wir uns das Drumherum selbst zusammenbauen. | |
Deswegen haben wir immer weitergemacht. Inzwischen verdienen wir Geld | |
damit, logisch. | |
Auf einem Konzertfoto tragen Sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „Sänger“, | |
Florian Sump eines mit „Rapper“ und Markus Pauli eines mit „DJ“. Sind d… | |
Rollen bei Ihnen so klar verteilt? | |
Ich bin der Flächenklaus, ich gebe die musikalische Basis, die Melodien. | |
Immer wenn es ein bisschen kitschig klingt, ist es von mir. Flo ist ein | |
wahnsinnig guter Songwriter, der textet das meiste. Der ist auch wirklich | |
gut mit Melodien, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Und Pauly ist | |
einfach ein grandioser Produzent. Das ist die Aufteilung, aber es wird auch | |
immer wieder aufgebrochen. Wir entwickeln die Songs zu dritt. | |
Sie sind bei dem Musikriesen Universal unter Vertrag. Haben Sie kreative | |
Entscheidungsfreiheit? | |
Die Zusammenarbeit über die vier Alben war sehr gut, uns hat keiner | |
reingeredet. Was wir machen, macht ja keiner sonst. Daher gibt es auch noch | |
keine Erfahrungswerte, eine Band konzeptionell so aufzustellen. Wir spielen | |
ja in normalen Locations, fahren im Bus, haben aufwendiges Licht, alles was | |
eine normale Band auch hat. Nur halt im Kinderbereich. Das mussten wir erst | |
alles lernen. Uns hat beim Booking zuerst jeder gesagt, dass die Kinder | |
nicht stehen können, sondern sitzen müssen. Es war für Veranstalter oft | |
nicht klar, ist das jetzt ein progressives Programm für Kinder oder ein | |
ironisches für Erwachsene. | |
Mit Deine Freunde treten Sie nachmittags auf, zu kinderfreundlichen Zeiten. | |
Geht das auch in Klubs, über denen noch der Dunstschleier der vergangenen | |
Nacht liegt? | |
Machen wir trotzdem. Es gibt Klubs, die riechen noch hammerhart nach Bier | |
und Schweiß. Das verleiht dem aber auch eine Coolness für Kinder. Die | |
kommen mit acht oder neun Jahren das erste Mal in den Laden, wo ihre Eltern | |
vor zehn Jahren feiern waren. Das hat auch eine Magie. Wenn uns Kinder | |
fragen: Trinkt ihr auch Bier? Dann sagen wir: Ja, weil wir Erwachsene sind. | |
Das ist unseren Fans klar. Deswegen ist das auch okay, dass da am Vorabend | |
eine Party war. Dann muss die Mutter erzählen: Ja, hier ist Bier getrunken | |
worden und vielleicht auch mal einer hingefallen. | |
Gibt es Eltern, die da die Nase rümpfen? | |
Bisher nicht. Es gibt über alles Mögliche Beschwerden. Wenn Du Kindermusik | |
machst, gibt es die absurdesten Sachen. Du bist da anders im Fokus. Aber an | |
den Locations hat sich noch niemand gestört. | |
Der Bereich direkt vor der Bühne ist bei Ihren Konzerten für Kinder | |
reserviert. Gehen manchmal welche verloren und möchten dann, wie im Småland | |
bei Ikea, irgendwo abgeholt werden? | |
Nein, man bekommt bei uns am Einlass so ein Bändchen und dort können die | |
Eltern ihre Handynummer draufschreiben. Ab 3.000 Besuchern haben wir ein | |
Team von Erziehern dabei, die betreuen einen Lost-and-Found-Stand. Da | |
können sich die Kinder melden. Wir hatten da aber noch nie ein Problem | |
damit. | |
Sie haben auch als Moderator gearbeitet. | |
Ich habe mal den Tigerentenclub gemacht. Wir dachten, das bringt uns als | |
Band irgendwie nach vorne, wenn ich das mache. Aber ich lasse mich nicht so | |
gern in ein Raster pressen und das war dort schon sehr vorgegeben alles. | |
Jede Einstellung, jeder Satz war redaktionell vorgegeben. Immer, wenn ich | |
ausbrechen wollte, ist das geschnitten oder diskutiert worden. Meine ganzen | |
Freunde hier haben gesagt, dass ich da so ein Happy-Moderationsroboter bin. | |
Das hat mir dann nicht mehr gepasst. Man ist dort auch austauschbar. Es war | |
ein nettes Team, aber ich konnte mich dort nicht weiterentwickeln. | |
Bei Deine Freunde ist die Weiterentwicklung möglich? | |
Ja. Wir probieren schon, mit jedem Album noch eine Schippe draufzulegen. | |
Oder eine Farbe mit reinzubringen, die wir noch nicht hatten. Seit dem | |
letzten Album haben wir keine Grenze mehr, was wir machen dürfen. Wir | |
lassen nur gewisse Ausdrucksweisen weg. | |
Ab wann sind Kinder ironiefähig? | |
Sehr früh. Ich kann mit jedem Sechsjährigen, der zu unserem Konzert kommt, | |
folgenden Witz machen: Es gibt überall immer so ganz zuckerniedliche | |
Kinder, die danach kommen, wenn wir Autogramme schreiben. Zu solchen sage | |
ich: Tut mir leid, du heute nicht. Ich hatte noch keinen, der das nicht | |
verstanden hat, der nicht gelacht hat. Das ist total ironisch, ich habe ja | |
einen Stapel Autogrammkarten vor mir. Die sagen dann: Nein, du verarscht | |
mich. Zynischen Sarkasmus zu benutzen, um Gefühle zu umgehen, das sollte | |
man mit Kindern nicht machen. Wie wenn man mit seinem Partner im Streit | |
redet, wenn man ihn verletzen will. Die Kinder wissen, dass wir Erwachsene | |
sind und mit einem Augenzwinkern Musik für sie machen. | |
Sie sagten, dass Sie keine Hobbys haben, aber Sie sind Kinofan und kochen | |
gerne. | |
Das sind aber so langweilige Hobbys oder? Ich koche sehr gerne, aber | |
inzwischen habe ich das Zepter an meinen Verlobten abgegeben, der viel | |
besser kocht. | |
Was gelingt Ihnen denn in der Küche besonders gut? | |
Hausmannskost. Mein Freund macht die ausgeflippten Sachen und ich kann | |
richtig gut so saure Eier oder mal einen Braten machen. Königsberger | |
Klopse. Solche Sachen. | |
Sie sind auch Mitbetreiber des Skurrilum auf der Reeperbahn. Dort finden | |
sogenannte Live Escape Games statt, Menschen müssen sich aus Erlebnisräumen | |
befreien. Wie sind sie darauf gekommen? | |
Ich hatte die Idee, das hier zu machen und bin zu unserem Theaterchef Corny | |
Littmann gegangen. Er hatte Bock darauf und wir haben uns als Autor noch | |
Heiko Wohlgemuth dazugeholt, der auch die „Heiße Ecke“ gemacht hat. Heiko | |
und ich denken uns die Räume aus. Wir wollten ein Theatererlebnis mit | |
Rätseln machen. Effekte, Tür auf, Tür zu. Das ist genau die Form von | |
Entertainment, die ich spannend finde. Etwas zu entwickeln, dass vielen | |
Leuten gefällt und trotzdem besonders ist. | |
9 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Leif Gütschow | |
## TAGS | |
Musical | |
Deutscher Hip Hop | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
HipHop für Kinder: Beef ums Badewasser | |
Die Hamburger HipHopper „Deine Freunde“ gehen mit ihrem kinderkompatiblen | |
„Keine Märchen“ auf Tour. Den Sound diggen auch rapsozialisierte Eltern. | |
Corny Littmann darf nicht in Rote Flora: Keine Bühne für Theaterchef | |
Bei den Lesetagen ohne Atomstrom wollte Corny Littmann Lieder von Rio | |
Reiser singen – in der Roten Flora. Dort aber sind „Gentrifizierer“ nicht | |
willkommen. | |
Echt-Schlagzeuger jetzt Kindergärtner: "Ich habe die Band geliebt" | |
Auf die Zeit, als er noch Schlagzeuger der Band "Echt" war, schaut er ein | |
bisschen stolz, aber ganz ohne Wehmut zurück. Denn Florian Sump kann sich | |
als Kindergärtner weiterhin kreativ entfalten und seiner Leidenschaft, der | |
Musik, frönen. |