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# taz.de -- Jüdischer Friedhof im Gewerbegebiet: Kein Stein für den polygamen…
> Er bezeugt den sozialen Wandel in Hamburgs jüdischen Gemeinden und birgt
> unglaubliche Geschichten: der jüdische Friedhof Bornkampsweg.
Bild: Voller berührender Geschichten: der jüdische Friedhof im Hamburger Born…
Hamburg taz | Ein Friedhof, mitten im Gewerbegebiet? Verkehrsumtost,
ungemütlich, gleich gegenüber das wellblechartige Gebäude einer großen
Autofirma? Eine sehr weltliche Atmosphäre herrscht rund um den jüdischen
Friedhof Bornkampsweg in Hamburg-Bahrenfeld. Man übersieht ihn leicht, denn
hier erwartet man einfach keine Oase der Totenruhe, idyllisch angelegt als
Park mit kleinen Alleen und weich bemoostem Rasen.
Gut geschützt hinter einem hohen Eisenzaun, das Tor verschlossen, liegt das
1,1 Hektar große Gräberfeld. Öffentlich zugänglich ist es nur gelegentlich,
während der vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden angebotenen
Führungen.
Das genügt auch, denn dieser Friedhof ist unspektakulär, kein
Touristen-Hotspot wie derjenige in der Altonaer Königstraße mit seinem
reich verzierten Gräbern deutscher und portugiesischer Juden. Der wäre fast
Unesco-Welterbe geworden, zumal er – Steine der im 17. Jahrhundert vor der
Inquisition geflohenen portugiesischen Juden bergend – markanter Fixpunkt
Hamburger Geschichte ist.
Der Friedhof Bornkampsweg, direkter Nachfolger des aus Kapazitätsgründen
geschlossenen Friedhofs Königstraße, ist anders. 1873 eröffnet, ist das
Gräberfeld am Bornkampsweg über 200 Jahre jünger als sein 1611 eröffneter
Vorgänger und zeigt, wie stark sich die Hamburger jüdische Gesellschaft
gewandelt hatte.
## Renommierter Vorgänger in Altona
Das fängt damit an, dass Hamburg um 1611 nur solche portugiesische
Glaubensflüchtlinge aufnahm, die wohlhabend, weltweit vernetzt und
profitversprechend waren. Einen Friedhof „auf Ewigkeit“ verkaufen wollte
man ihnen trotzdem nicht. Das ist aber jüdischer Brauch, weswegen Hamburgs
portugiesische Juden ins tolerantere, dänisch verwaltete Altona auswichen,
wo besagter Friedhof Königstraße entstand.
Entsprechend prunkvoll sind die Gräber dieser „sephardischen“ Juden, aus
Marmor gefertigt und mit teils recht freizügigen Darstellungen geschmückt.
Sie unterscheiden sich deutlich von den verhaltener verzierten, eher
textlastigen Nachbargräbern der deutschen „aschkenasischen“ Juden.
Dass die christliche Konkurrenz derweil nicht schlief und der Senat die
Abgaben für portugiesischen Juden um 1690 so stark erhöhte, dass sie wieder
abwanderten und in Hamburg eine Bankenkrise auslösten, steht auf einem
anderen Blatt.
## Steine aus schlichterem Material
Festzuhalten bleibt aber, dass die ärmeren portugiesischen Juden nicht in
Hamburg unterkamen, sondern in Altona. Da aber auch diese Gemeinde
irgendwann nicht weiter wuchs, verkaufte sie in den 1870er-Jahren ihre
Synagoge Bäckerstraße, gründete eine Stiftung und erwarb ein Gräberfeld auf
dem Friedhof Bornkampsweg.
„Dort durften nur Altonaer portugiesische Juden bestattet werden“, erzählt
Michael Halévy vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden, der
Hamburgs jüdische Friedhöfe systematisch erforscht, kartiert und die
Resultate in Datenbanken einspeist. „Die Altonaer jüdische
Portugiesengemeinde war allerdings recht klein“, sagt er. Was erklärt,
warum sich im Bornkampsweg so wenige portugiesische Grabsteine finden. Wie
in der Königstraße liegen sie auf dem Boden, während die aschkenasischen
Steine stehen.
Anders als in der Königstraße sind die portugiesischen Steine am
Bornkampsweg aus schlichtem Material gefertigt, kaum verziert und zeugen
vom geringeren Wohlstand der Altonaer portugiesischen Juden. „Außerdem war
das Interesse an Grabgestaltung Ende des 19. Jahrhunderts wohl nicht mehr
so groß“, vermutet Halévy, der selbst Nachkomme aschkenasischer Juden ist.
## Viel Platz am Bornkampsweg
Bequem kann man hier gehen, es ist auffallend viel Platz, und man muss
nicht befürchten, versehentlich auf die Steine zu treten. Aber bestattet
wird im Bornkampsweg seit dessen Enteignung durch die Nazis 1942 fast gar
nicht mehr.
Wobei die geringe Gräberzahl auch damit zusammenhängt, dass sich im 18.
Jahrhundert die Bestattungskultur wandelte, hin zum modernen, perfekt
hygienischen Friedhof. Ergebnis war die Eröffnung des zentralen
Parkfriedhofs in Hamburg-Ohlsdorf, auf dem auch ein jüdisches Gräberfeld
angelegt wurde, an der Ihlandkoppel.
Eine Zeit lang müssen die jüdischen Friedhöfe Bornkampsweg und Ohlsdorf
also parallel existiert haben, und „vermutlich hat sich die jüdische
Gemeinde entschieden, nur noch Ohlsdorf zu nutzen“, sagt Halévy. „Hier im
Bornkampsweg gibt es zum Beispiel keine Trauerhalle. Die Trauergemeinde
hätte also hin- und herfahren müssen.“
## Zwischen die Zeiten geraten
Ein bisschen ist der Friedhof Bornkampsweg also zwischen die Zeiten
geraten. Er markiert einen Übergang, war auch Ausweichquartier, und gerade
das macht ihn interessant. Auf einigen Grabsteine stehen zum Beispiel
Sterbedaten, die vor die Eröffnung dieses Friedhofs selbst zurückreichen.
Sie stammen vom älteren Friedhof im Hamburger Grindelviertel, der
ausnahmsweise nicht „auf ewig“ existierte und 1937 auf Druck der
Nationalsozialisten aufgelöst wurde. Die meisten Steine wurden nach
Ohlsdorf gebracht, einige aber zum Bornkampsweg.
Auch einige Grabmäler des Friedhofs in Hamburg-Ottensen, der 1991 unter
großem Protest der jüdischen Gemeinde einem Einkaufszentrum wich, sind zum
Bornkampsweg gebracht worden.
## Gedenksteine für Holocaust-Opfer
Abgesehen davon stellt sich ganz allgemein die Frage, wie man
Holocaust-Opfer bestatten soll. Gebeine oder Asche existieren meist nicht;
diese totale Auslöschung von Körper und Individuum war Kern der
NS-Ideologie. Auf einem jüdischen Friedhof einen Grabstein ohne die
zugehörigen Gebeine aufzustellen, widerspricht aber den Regeln.
Doch man fand eine Lösung: Auf den Friedhöfen Bornkampsweg und in
Hamburg-Langenfelde durften Hinterbliebene Gedenksteine für Holocaust-Opfer
anbringen. „Schließlich ist der Holocaust ein Sonderfall der jüdischen
Geschichte“, sagt Halévy. Überhaupt sei die Praxis oft nicht so streng wie
die Theorie, erzählt er. So habe ein Mitglied der bekannten
Kaufmannsfamilie Cutinho im 19. Jahrhundert den Wunsch nach Kremation
geäußert.
Die aber verbietet die Orthodoxie, und die jüdische Gemeinde lehnte ab. Er
habe seinen Grabplatz gekauft und könne damit tun, was er wolle, konterte
er, zog vor Gericht und gewann in allen Instanzen. „Irgendwann hat die
Gemeinde nachgegeben und ihm einen Platz ganz hinten an der Mauer
zugewiesen“, erzählt Halévy.
Diese Geschichte spiele zwar auf dem Friedhof Königstraße, sei aber ein
gutes Beispiel für allerlei Ausnahmeregelungen. „Auch Reichtum half“, sagt
Halévy verschmitzt. „Wenn jemand der Gemeinde reichlich spendet, und sein
Grabstein ist größer als erlaubt, sagt der Rabbi irgendwann: Nun, da habe
ich wohl falsch gemessen, das ist schon in Ordnung.“
## Umtriebiger Rabbiner aus Nordafrika
Halevy lächelt – und erzählt gleich eine noch unglaublichere Geschichte vom
Friedhof Bornkampsweg. Und zwar die des nordafrikanischen Rabbiners
Benjamin Cohen, auch bekannt als der „polygame Rabbiner“. Der war so
lernbegierig und so arbeitsunwillig, dass er um 1850 Frau und Kinder in
Marokko verließ, weil er sie nicht ernähren konnte. Er wollte lieber lernen
als für den Unterhalt der Familie sorgen. Auf Umwegen kam er nach Altona
und wurde auf Lebenszeit als hoch geschätzter Rabbiner angestellt.
Dort heiratete er erneut und zeugte weitere Kinder. „Irgendwann soll seine
erste Frau hier in Altona aufgetaucht sein und Krach geschlagen haben“,
sagt Halévy. „Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber wenn, dann hat man ihr
sicher ein Schweigegeld gezahlt.“
Ausgerechnet von diesem interessanten Rabbi ist im Bornkampsweg kein
Grabstein zu finden. Dabei müsste er doch eigentlich neben dem seiner
zweiten Frau liegen, und der ist ja vorhanden. Aber vielleicht passt eine
sich verlierende Spur zu diesem umtriebigen Menschen mit der großen
Legende.
Keine Legende ist die Geschichte der Holocaust-Überlebenden Käthe
Starke-Goldschmidt. Sie wurde 1990 – lange nach Schließung des Friedhofs
und gleichfalls gegen alle Regeln – im Bornkampsweg begraben; ihr Stein
steht rechts vom Eingang im Gestrüpp.
## Retterin des „Theresienstadt-Konvoluts“
Die Theaterwissenschaftlerin Käthe Starke-Goldschmidt wurde 1943 mit dem
letzten Hamburger Transport ins Getto Theresienstadt deportiert. Dort
arbeitete sie beim Putzdienst, wo sie viele jener prominenten Häftlinge
traf, die die Nazis gesondert untergebracht hatten und ursprünglich – so
vermuten Forscher – wohl nicht hatten ermorden wollten.
Später arbeitete Starke-Goldschmidt in der Getto-Bibliothek, aus der sie
nach 1945 das „Theresienstadt-Konvolut“ rettete, eine Biografiensammlung
prominenter Häftlinge. Das Dokument zählt heute neben den berühmten
Kinderzeichnungen zu den wichtigsten Zeugnissen aus Theresienstadt.
Ihre eigenen Erinnerungen hat Starke-Goldschmidt 1975 in dem Band „Der
Führer schenkt den Juden eine Stadt“ niedergeschrieben. Den Titel hatte sie
dem Propagandafilm entlehnt, den die Nazis 1944 in Theresienstadt drehten,
um die Weltöffentlichkeit bezüglich der dortigen Zustände zu täuschen.
Ihren Sohn Pitt, während des „Dritten Reichs“ als „arisches“ Waisenkind
beim katholischen Blauen Kreuz in München versteckt, hatte Käthe
Starke-Goldschmidt schon 1947 zu sich nach Hamburg geholt, wo sie 1990
starb.
Vielleicht wird er dereinst neben ihr begraben.
18 Mar 2018
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Jüdischer Friedhof
Unesco-Welterbe
Holocaust
Judentum
Judentum
Hamburg
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