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# taz.de -- Prozess gegen U-Boot-Konstrukteur: Vom Technikpionier zum Mörder?
> In Kopenhagen beginnt der Prozess um Peter Madsen. Er soll die
> Journalistin Kim Wall zerstückelt haben. Unser Autor traf Madsen vor vier
> Jahren.
Bild: Peter Madsen vor seinem U-Boot auf einem Archivfoto aus dem Jahr 2008
Kopenhagen/Berlin taz | In den rostigen Hangar im Hafen Kopenhagens sind in
den vergangenen Jahren viele Besucher gekommen. Neugierige, Bastler,
Technikenthusiasten – und immer wieder Journalisten. Peter Madsen, der ab
dem heutigen Donnerstag wegen Mordes vor Gericht steht, hatte ihnen allen
eine gute Geschichte zu erzählen.
Es war die Geschichte eines Mannes, der seine Kindheitsträume nicht
aufgeben wollte, nur weil er erwachsen geworden war. Er erzählte, wie er
mit einem selbstkonstruierten U-Boot in der Ostsee tauchte. Oder wie er mit
einer Gruppe Freiwilliger an einer Rakete baute, die einen Menschen für
wenige Minuten in die Schwerelosigkeit schießen sollte. Und das alles mit
Materialen aus dem Baumarkt. Selbstverständlich würde er selbst der erste
Do-it-yourself-Astronaut werden, eine Mischung aus genialem Erfinder und
Indiana Jones.
Im März 2014 war es nicht schwierig, ein Gespräch mit Peter Madsen zu
bekommen, um ihn zu porträtieren. Ich schrieb ihm eine E-Mail. Er
antwortete schnell, ich solle ihn einfach anrufen, wenn ich in Kopenhagen
sei, dann könnte ich ihn in seinem Hangar auf der Halbinsel Refshaleøen
treffen.
Madsen saß dort in einem Mechaniker-Overall in einem kleinen Holzverschlag,
den er sich als Büro eingerichtet hatte. Das Gespräch brauchte keine
Aufwärmphase. Er war Medienprofi und sich genau bewusst, wie wichtig
Aufmerksamkeit für seine Crowdfunding-finanzierten Projekte war. Er
erzählte von seiner Begeisterung für technische Pioniertaten, von der
Schönheit einer Rakete – und er betonte, dass es ohne Menschen, die über
Grenzen gingen, keinen Fortschritt gebe.
## Ein sympathischer Underdog
Später an diesem Tag führte er eine Gruppe junger Ingenieure über das
Gelände, zeigte ihnen sein gerade aufgebocktes U-Boot und die Plattform im
Hafenbecken, von der aus er in der Ostsee Raketen testete. Aus den Fragen
der Besucher konnte man heraushören, wie sehr sie die
Einzelkämpfer-Attitüde Madsens beeindruckte.
Da war jemand, der nicht die Sicherheit eines Angestelltendaseins und den
Rückhalt großer Organisationen suchte, sondern alles in die eigene Hand
nahm. Es war auch die Underdog-Geschichte eines Autodidakten, es klang
ziemlich sympathisch.
Im Sommer 2017 wollte die schwedische Journalistin Kim Wall ein Porträt
über Peter Madsen schreiben. Am 10. August lud er sie per SMS zu einer
Fahrt auf seinem U-Boot ein. Es gibt Fotos, die beide im Abendlicht auf dem
Turm des U-Boots im Kopenhagener Hafen zeigen.
Wall kehrte von dieser Fahrt nicht lebend zurück. Ihr Rumpf, ihr Kopf, ihre
Arme und Beine wurden in den Wochen darauf nach und nach im Meer oder am
Ufer gefunden. Sie waren mit Metallstücken beschwert gewesen.
## Gefesselt, gefoltert, ermordet, zerteilt
An diesem Donnerstag beginnt in Kopenhagen der Prozess gegen Peter Madsen.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 47-Jährigen ein abgründiges Verbrechen
vor. Laut Anklageschrift hat Madsen die 30-jährige Journalistin an Bord des
U-Boots gefesselt, gefoltert, ermordet und anschließend zerteilt. Er habe
die Tat im Voraus geplant und deshalb Messer und Schraubenzieher mit an
Bord gebracht, die er sonst nicht benötigt hätte.
14 Einstiche im Genitalbereich des Opfers zählte die Gerichtsmedizin. Die
Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Wall nicht daran starb, sondern
erwürgt oder ihre Kehle aufgeschlitzt wurde. Auf einer Festplatte Madsens
fanden die Ermittler sogenannte Snuff-Videos, in denen Frauen gequält und
getötet werden.
Madsen präsentierte seit seiner Verhaftung [1][immer neue Versionen des
Geschehens]. Zunächst sagte er aus, er habe Wall nachts am Ufer wieder
abgesetzt. Später behauptete er, sie sei bei einem Unfall an Bord zu Tode
gekommen, ihr sei die schwere Luke des U-Boots auf den Kopf gefallen. Unter
Schock stehend habe er sie auf See bestattet.
Nachdem der Torso Walls gefunden worden war, räumte Madsen ein, ihren
Leichnam zerteilt zu haben. Nachdem Taucher auch den Kopf gefunden hatten
und dieser keine stumpfe Verletzung aufwies, sagte Madsen aus, Wall habe
unter Deck eine Kohlenmonoxid-Vergiftung erlitten, während er auf dem Turm
des U-Boots gestanden habe. Selbst Freunde, die zuvor noch zu ihm gehalten
hatten, sind seitdem von ihm abgerückt.
## Das gekippte Bild
Das Interesse der Medien an dem Fall ist weltweit groß. 95 Journalisten aus
zwölf Ländern haben sich am Kopenhagener Stadtgericht akkreditiert. Im
Vorfeld des Prozesses sind viele Texte erschienen, die über mögliche Motive
spekulieren und Zitate von einst neu interpretieren.
Während Madsens Unangepasstsein und die Lust an der Grenzüberschreitung
früher in vielen Beiträgen – auch [2][in meinem Porträt] – etwas
Faszinierend-Cooles hatten, gelten sie heute als deutliche Vorausdeutungen
auf die mutmaßliche Bluttat. Wie ein Kippbild, das man nun aus der anderen
Richtung anschaut.
Madsen habe, so der Tenor mancher Texte, schlicht eine andere Grenze als
die zum Weltraum überwinden wollen. Ich misstraue dieser neuen
Plausibilität. Vielleicht auch deshalb, weil ich erfahren habe, wie schnell
die alte im August 2017 kollabiert ist.
Ein Verbrechen wie das, das die Staatsanwaltschaft Madsen vorwirft, lässt
sich nicht durch den bitteren Streit einstiger Partner in der
Freiwilligengruppe und Problemen bei Raketentests erklären. Und auch nicht
durch ein paar umgedeutete Zitate. Womöglich werden wir es nie verstehen.
8 Mar 2018
## LINKS
[1] /!5453181/
[2] https://www.freitag.de/autoren/jan-pfaff/das-all-ist-eine-frage-des-willens
## AUTOREN
Jan Pfaff
## TAGS
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