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# taz.de -- Nach dem Sprengstoff-Fund in Thüringen: Der Funke im Dorf
> In Uhlstädt-Kirchhasel wurden gefährliche Chemikalien gefunden. CDU und
> AfD reden von „Linksterrorismus“ – doch vor Ort bietet sich ein anderes
> Bild.
Bild: Fund in drei Häusern: unter anderem Chemikalien und Pflanzendünger, But…
Uhlstädt-Kirchhasel/Rudolstadt taz | Uhlstädt-Kirchhasel ist einer dieser
Orte, an denen man keine Geheimnisse haben kann – scheinbar jedenfalls. Nur
etwa eine halbe Stunde von Jena entfernt liegt das kleine thüringische Dorf
idyllisch inmitten von hügeligen Tannenwäldern an der Saale. Wackelnde
Spitzengardinen, hinter denen Köpfe mit neugierigen Augen hervorlugen.
Prüfende Blicke beim knappen Grußwort auf der Straße. Die EinwohnerInnen
von Uhlstädt-Kirchhasel sind wachsam.
Von dieser Geschichte jedoch will niemand etwas mitbekommen haben: Am
frühen Morgen des 13. März durchsuchen Einsatzkräfte der Polizei Saalfeld
mit einem Großaufgebot zwei Häuser in Uhlstädt-Kirchhasel, außerdem zwei
weitere im nur wenige Kilometer entfernten Rudolstadt. Fündig werden sie in
drei der Häuser, beschlagnahmt werden: insgesamt fast hundert Kilogramm
Chemikalien und Pflanzendünger sowie Böller, mehrere Liter Buttersäure,
eine Schreckschusswaffe, Pfeilspitzen und Cannabis. Unter den Chemikalien
befinden sich auch einige Gramm ETN, ein selbstlaborierter und
hochexplosiver Sprengstoff.
Gegen den 31-jährigen Jan R. und den 25-jährigen David G., beide wohnhaft
in Rudolstadt, wird seitdem wegen des Verdachts der Vorbereitung eines
Explosionsverbrechens und des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz
ermittelt. Die beiden gestehen, die Chemikalien bestellt und den
Sprengstoff gebastelt zu haben. Sie bestreiten jedoch, damit Straftaten
oder gar Anschläge geplant zu haben.
Schnell schlägt der Fall Wellen. Binnen weniger Tage berichten auch
überregionale Medien. Dabei stoßen sie auf etwas, das wie der perfekte
Zündstoff für einen politischen Krimi wirkt: Der Beschuldigte Jan R. war
Pressesprecher eines Bündnisses, das sich für „Zivilcourage und
Menschenrechte im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt“ einsetzt und erhielt in
dieser Funktion sogar stellvertretend den Thüringer Demokratiepreis. „Spur
führt ins linke Antifa-Milieu“, [1][heißt es entsprechend bei der Welt.]
Auch politische Akteure folgen dieser These. Die Thüringer CDU stellt unter
dem Motto „Linksterrorismus mit allen Mitteln bekämpfen“ einen Antrag auf
eine Aktuelle Stunde im Landtag, die AfD zieht nach und stellt einen
Dringlichkeitsantrag mit dem Titel: „Entwickeln sich unter dem Deckmantel
zivilgesellschaftlichen Engagements linksterroristische Strukturen im
Freistaat?“
Bei der Landtagsdebatte am Dienstag werfen die AfD-Abgeordneten der
Landesregierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) vor, zu lange
zu dem Thema geschwiegen zu haben. Zu wenig würde die Landesregierung im
Falle des Sprengstofffundes bei „Linksextremen“ tun, sagt der
AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke.
## Ein fragwürdiger NSU-Vergleich
„Wäre der Dreiklang Ostdeutschland, Sprengstoff, Nazis und nicht Thüringen,
Sprengstoff, Antifa, wäre der Empörungsschrei berechtigt groß gewesen“,
sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende Mike Mohring. Vergleiche zur Aufdeckung
des NSU-Skandals werden von beiden Parteien gezogen. Eine Woche nach den
Funden ist aus dem Dorfskandal ein Politikum geworden.
„Wie kann man denn so etwas gleichsetzen?“ Katharina König-Preuss schütte…
fassungslos den Kopf. Sie ist Sprecherin für Antifaschismus, Netzpolitik
und Datenschutz der Linken-Fraktion im thüringischen Landtag. Auch sie ist
entsetzt über den Fund, sieht in der Landtagsdebatte nun jedoch politisches
Kalkül, um die rot-rot-grüne Regierung zu diffamieren. „Es gehört zur
Neonaziszene dazu, Sprengstoff einzusetzen. Diese Form von Gewalt ist ein
konstitutives Moment der rechten Ideologie“, sagt sie aufgebracht, kurz
nach der Debatte. „Das ist kein Merkmal der linken Szene. Diese
Gleichsetzung funktioniert nicht.“ Nur wenige Minuten zuvor hatte die AfD
wegen des Falles die Einführung einer Extremismusklausel gefordert.
Das Wahlkreisbüro von König-Preuss liegt in Saalfeld, dem Wahlkreis, zu dem
auch Rudolstadt und Uhlstädt-Kirchhasel gehören. Den Beschuldigten Jan R.
hat sie 2015 bei Protesten gegen einen Aufmarsch des rechten III. Weg in
Saalfeld das erste Mal bewusst wahrgenommen. Er habe ein aktives
Sozialleben, sei häufig auf Konzerten – dass er irgendetwas mit
Sprengstoffen zu tun haben soll, kann sie sich nicht vorstellen.
„Jan ist total angenehm. Jemand, der sich engagiert und seine eigene
Meinung hat“, sagt König-Preuss. „Aber kein Dogmatiker. Einfach jemand, der
sagt, man müsse was gegen rechts machen.“ Regelmäßig sei er zu Vorträgen
und Workshops in ihrem Wahlkreisbüro gekommen, irgendwann habe man für ihn
eine Rampe angeschafft.
Denn Jan R. sitzt im Rollstuhl. Seine Gehfähigkeit, aber auch seine
Feinmotorik sind eingeschränkt. Das lässt an der Theorie, er sei
Bombenbauer, Zweifel aufkommen. „Jan kann sich kaum selbst eine Zigarette
drehen“, sagt Michael Z., ein Bekannter des 31-Jährigen. Seinen echten
Namen will er nicht nennen, denn er ist selbst in der linken Szene im
Landkreis aktiv, kennt Jan von Veranstaltungen und antifaschistischen
Demonstrationen.
## Ein nicht besonders stabiler Charakter
Dass Jan R. Bomben gebaut haben soll, hält Michael Z. für abwegig. Auch die
Erzählung von Seiten der Presse, er sei ein linksterroristischer
Antifa-Aktivist, sei Unfug. „Jan ist ein bürgerlicher Typ, der in einem
bürgerlichen Bündnis aktiv war.“ Eine plausible Erklärung für den
Chemikalienfund hat auch er nicht. „Aber wer Jan kennt, weiß, dass er
manchmal leichtgläubig sein kann.“ Ob leichtgläubig genug, um eine große
Menge Chemikalien und Sprengstoff zu lagern, die jemand anderes
zusammenbastelt, kann Michael Z. nicht sagen.
Auch nicht, wer dieser Jemand genau ist. Den zweiten Verdächtigen kennt er
aus der Presse: David G., 25 Jahre alt. Doch Michael Z. hat den Namen nie
zuvor gehört, ein Gesicht dazu kennt er erst recht nicht. Teil der linken
Szene sei G. auf keinen Fall, sagt er.
Um herauszufinden, mit wem Jan da zu tun hatte, stellen Michael Z. und
seine Freunde Recherchen an. Sie machen einen Mann ausfindig, der von 2008
bis 2010 mit Freunden von David G. zusammenarbeitete und diese als „braun
bis rechts, einige auch rechtsradikal“ beschreibt. David G. selbst hingegen
könne man als den typischen Kirmes-Fascho bezeichnen: „Das Phrasendreschen
und Halbwahrheitsbingo steigen proportional zum Alkoholgehalt.“ Warum Jan
R. mit ihm befreundet war? „Keine Ahnung“, sagt Michael Z.
Auch im beschaulichen Uhlstädt-Kirchhasel ist man über die Ereignisse
ratlos. Das alte Fachwerkhaus mit dem Schieferbelag, in dem der Vater von
David G. wohnt, liegt ruhig in der eisigen Märzluft. Einige bunte Ostereier
hängen in einem Strauch vor dem Haus, die Rollläden der Wohnung sind
runtergelassen, auf Klingeln reagiert niemand. Am Vormittag seien David G.
und sein Vater noch da gewesen, sagt eine Nachbarin. Die Oma habe Essen
gebracht, alles sei ganz normal gewesen. „David G. ist total unscheinbar.
Das sind ordentliche Leute, eine nette Familie.“
Niemand hätte damit gerechnet, dass mehrere Kilogramm Chemikalien und
Sprengstoffe im Keller des Hauses lagern. Aber die NachbarInnen erzählen
Geschichten über David G., in denen er nicht wie ein besonders stabiler
Charakter erscheint, erzählen von einem schwierigen Verhältnis zur Mutter,
weshalb David G. schließlich zu seinem Vater nach Uhlstädt zog, später dann
nach Rudolstadt. Aber: „David hat mit Politik nichts am Hut“, sagt ein
Nachbar. Er vermutet: „Der hat sich einen Spaß aus der Sache gemacht.“
Ein Spaß, der schnell gefährlich hätte werden können. Zwar ist nicht
bekannt, ob es mit den Chemikalien bereits Explosionen gegeben hat – doch
schon einmal hat es im Umfeld von David G. gebrannt. Nur unweit vom
Rudolstädter Markt, inmitten der Altstadt mit den hübschen Fachwerkhäuschen
liegt das Wohnhaus des 25-Jährigen. Seine Wohnung ist im ersten Stock, eine
Etage über dem Abstellraum, von wo im Januar 2017 mitten in der Nacht ein
Brand ausging, wie ein Sprecher der Feuerwehr Rudolstadt bestätigt. Zur
Ursache des Feuers könne man aber nichts sagen, „das wurde dann an die
Kripo übergeben“. Eddy Krannich von der Polizeiinspektion Saalfeld
bestätigt lediglich, dass es den Brand gegeben hat. „Täter und Ursache sind
unbekannt.“
## Terrorismus klingt schön aufregend
Dabei soll David G. immer wieder durch kleinkriminelle Aktivitäten
aufgefallen sein, an Bushaltestellen gezündelt haben oder mit dem Auto über
den Uhlstädter Sportplatz gerast sein, auch in Ermittlungen zu gesprengten
Zigarettenautomaten spielt er eine Rolle. Seit eineinhalb Jahren hätten er
und Jan R. außerdem im Internet nach Sprengstoffanleitungen gesucht, sagt
Mike Mohring von der CDU. Nicht zuletzt deshalb fordern er und seine
Partei, dass sich das Bundeskriminalamt einschaltet.
Die gefundene Menge und Zusammensetzung der Chemikalien, die der taz im
Detail vorliegt, weist nicht zwangsläufig auf Bomben- oder Sprengstoffbau
hin, sagt Maurus Völkl, Chemiker an der Universität München. Zwar könne man
mit den gefundenen Materialien Sprengstoff zusammenmischen. „Aber ich würde
hier weniger auf einen terroristischen Hintergrund schließen als eher auf
Pyrotechnik.“ Die Mengen erklärt er sich pragmatisch: „Solche Stoffe werden
nun einmal in 75-Kilo-Säcken geliefert.“
Auch die Ermittlungsbehörden sehen weder Hinweise auf eine Anschlagsplanung
noch auf eine politische Tat. Der Fall wird inzwischen vom
Landeskriminalamt, dem Staatsschutz und der Staatsanwaltschaft Gera
untersucht.
[2][Die Vorwürfe seitens AfD und CDU], Ministerpräsident Bodo Ramelow würde
sich nicht ausreichend bemühen, weist die Staatskanzlei zurück. „Der
Ministerpräsident stand in der Angelegenheit von Anfang an in intensivem
Austausch mit dem Innenminister“, sagt Regierungssprecher Günter Kolodziej.
„In Anbetracht nicht abgeschlossener Ermittlungen sowie in Respekt vor und
im Vertrauen auf die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft hat er sich
allerdings vorschneller Spekulationen enthalten.“
Tatsächlich sind es gerade die Spekulationen, durch die die Funde so
brisant wurden. Terrorismus klingt schön aufregend, aber wahrscheinlicher
scheint, dass Fahrlässigkeit, Naivität, gar Dummheit die beiden
Verdächtigen getrieben haben.
Nicht zuletzt deshalb hofft man in Uhlstädt-Kirchhasel und Rudolstadt nun
vor allem auf Aufklärung. Darin sind sich NachbarInnen, Opposition,
Landesregierung und linke Szene einig. „Alles andere ist für uns, für
diejenigen, die sich in der Szene engagieren, das Schlimmste was passieren
könnte“, sagt Katharina König-Preuss.
Die beiden Beschuldigten selbst wollen zu all den Vorwürfen derzeit nichts
sagen, auch nicht auf taz-Anfrage. Vielleicht wollen sie sich noch einen
Teil jener provinziellen Ruhe bewahren, in der sie so lange unbeobachtet
waren.
23 Mar 2018
## LINKS
[1] https://www.welt.de/politik/deutschland/article174654378/Thueringen-Regieru…
[2] /Diskussion-im-Thueringer-Landtag/!5490045
## AUTOREN
Sarah Ulrich
## TAGS
Sprengstoff
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CDU
Sprengstoff
Reichsbürger
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Diskussion im Thüringer Landtag: Sprengstoff-Fund wird zum Thema
Vor einer Woche stellte die Polizei in Saalfeld-Rudolstadt Sprengstoff
sicher. War ein Anschlag geplant? AfD und CDU sprechen von
„Linksterrorismus“.
Kommentar Reichsbürger-Prozess: Die Gefahr ist nicht gebannt
Reichsbürger wurden lange unterschätzt. Zwischen ihnen und der Polizei soll
es Verstrickungen geben. Eine Aufarbeitung gibt es nicht.
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