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# taz.de -- Die Wahrheit: Das Klirren der Eisblumen
> Seit es die Mehrfachverglasung gibt, erblühen die Eiskristalle nicht
> mehr. Das ist nur eines der Phänomene im Winterassoziationsfeld.
Am Eingang zum Saunabereich des Schwimmbads hängt ein Täfelchen, auf dem
steht: „Bitte vermeiden Sie Körperkontakte, die missverstanden werden
können.“ Diesmal beschlich mich die Frage, als ich nach dem Schwitzen
barfuß durch den Schnee zitterte: Fasst diese dringliche Bitte einen Aspekt
der #MeToo-Debatte zusammen, die sich andererseits um Macht dreht? Oder
entspricht diese Frage – begriffsstutzig wie man manchmal ist – einem
typisch männlichen Blickwinkel? Ein dem magischen Denken zugeneigter Mensch
wie ich wünscht sich dann eine weitere Frage, denn aller guten Dinge …
Noch nachdem ich mit meinem Fahrrad Kontakt geknüpft hatte, um nach Hause
zu kommen, fahndete ich nach dieser dritten Frage. Währenddessen sprang
zweierlei heran, reflexartig, außerdem war der Glätte wegen Vorsicht
geboten: Erstens die Verse „Nun ist die Welt so trübe, der Weg gehüllt in
Schnee“; ich wusste nicht, woher sie stammten. Zum anderen erinnerte ich
mich plötzlich an das Verschwinden der fraktalen Eisblumen.
Seitdem sich die Mehrfachverglasung durchgesetzt hat, erblühen die
Eiskristalle im Alltag nicht mehr. Sie brauchen auf der Innenseite des
Fensters Minusgrade. Eine Freundin hatte das Phänomen kürzlich angetippt,
um unser Gespräch zu bebildern: „Haben wir zwischen Komfort und Schönheit
zu wählen, entscheiden sich die meisten von uns für den Komfort.“ Nicht
neu, diese These, doch ab und zu interessant.
Ich stieg ab und schob das Rad, man wird vorsichtiger mit den Jahren. Ehe
sich die trübsinnigen Anwandlungen vermehrten, da doch Eisblumen keine
Chance mehr haben, uns zu faszinieren, erleuchtete eine Straßenlaterne
hinter der Brücke über dem Fluss Eisblumen auf dem Dach eines schnittigen
Mercedes. Diese Rankenornamente verfügen also naturgemäß über
Zufluchtsorte. Bislang hatte ich diese ausgewanderten Eisblumen missachtet.
Aufmerksamkeit und Konzentration sind eine knappe Ressource geworden, so
selten wie die Kulturtechnik, Strümpfe zu stopfen. Stattdessen kauft man
ein, um den Bestand aufzufüllen.
Ich war kaum an der Stele mit dem Fackelläufer, einem Produkt des „Dritten
Reichs“, vorbei geschlurft, verzweigte sich mein aktuelles
Assoziationsfraktal zu jenem Abend über Komfort versus Schönheit. Gegen
eins war ich nach Hause aufgebrochen. Unten im Treppenhaus, bevor ich die
Haustür aufzog, sah ich daran geheftet einen Zettel in Augenhöhe: „Jeder
Tag ist ein Geschenk, mancher ist nur schlecht verpackt.“ Hm. Ist der
Spruch gar nicht so übel oder Kitsch, fragte ich mich.
Auf dem Heimweg damals blieb die Lösung offen. Jetzt, als ich wieder in
meiner Mansarde lande, den Ausblick über die verschneiten Dächer würdige,
dämmern immerhin drei weitere Fragen zu der Sauna-Notation auf: Wie
leidenschaftlich betrachten Obdachlose Eisblumen? Und wie viele finden,
jeder Tag sei ein Geschenk? Komfort oder Schönheit?
7 Mar 2018
## AUTOREN
Dietrich zur Nedden
## TAGS
Winter
Heavy Metal
Rituale
NS-Forschung
Realität
Lego
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