# taz.de -- Hannoversche Schau verpasst ihr Thema: Wenig echte Kommunikation | |
> Die Schau „Beziehungskiste“ in Hannover schafft es nicht, Substanzielles | |
> zu heutigen Kommunikationsgewohnheiten zu kommunizieren. | |
Bild: Telefon „Ericofon“, Polymethylmethacrylat, Schweden, hergestellt von … | |
HANNOVER taz | Wer kennt sie nicht, die alltäglichen Tücken der | |
Kommunikation? Es fängt schon an bei Anrede und Abschiedsformel in der | |
E-Mail, dem heutigen Standardkommunikationsmittel, das in weiten Teilen das | |
Telefonieren und erst recht den formvollendeten Brief verdrängt hat. | |
„Hallöchen“ und „Tschüssi“ werden wohl ohnehin meist als unpassend | |
empfunden. | |
Das unpersönliche „Guten Tag“ ist ziemlich steif, und das weltläufig | |
anglophile „Best“ oder „Warmly“ zum Schluss klingt aufgesetzt, und für | |
ernstgemeinte „Liebe Grüße“ ist die Mitteilungssituation eher selten | |
geeignet. Wenn sich hier schon Gräben des Missverständnisses und offenbar | |
lang nachhallender Etikette auftun: Welche Risiken birgt dann erst der | |
direkte Kontakt im Zuge der Kommunikation? | |
Den vielfältigen Formen, Techniken und Irritationen in der menschlichen | |
Kommunikation will derzeit eine Ausstellung des Museums August Kestner in | |
Hannover nachgehen. Gleich zu Beginn wird der Titel „Beziehungskiste“ | |
wörtlich genommen: mehrere – zunächst scheinbar identische – Holzkisten | |
wollen geöffnet werden. Nur ist der Mechanismus jedes Mal ein anderer: das | |
Scharnier für den Klappdeckel ist seitlich oder hinten angebracht, ein | |
diffiziler Schraubmechanismus ist eingelassen oder es wartet ein leicht | |
abzuhebendes Oberteil auf die richtige Aktion des Besuchers. | |
Mit dieser Installation werden nicht nur metaphorisch die wechselseitigen | |
Erwartungen in sozialen Beziehungen angerissen, sondern auch der erste Teil | |
der Ausstellung: Hier geht es um vielfältige Behältnisse im Dienste der | |
zwischenmenschlichen Verständigung. Dass Urnen, Reliquiare oder | |
Schraubmedaillen eher Formen des Erinnerns, also der rückwärtsgerichteten | |
Kommunikation sind, liegt auf der Hand. | |
Dagegen sind bzw. waren Parfümflakons und Tabatieren oder auch Truhen | |
durchaus Mittel der aktiven, vitalen Kontaktaufnahme – dann nämlich, wenn | |
sie als Geschenke, als Freundschaftsgaben für ein gedeihliches Miteinander | |
sorgen, gar eine Liebesbeziehung anbahnen sollten. | |
Aber auch das Gegenteil war einst möglich: Wer als Mann einen Korb mit | |
einschlägigen Ackerunkräutern erhielt, brauchte sich über die Chancen bei | |
seiner Angebeteten keine Illusionen zu machen. Stets war und ist aber auf | |
ein sorgfältiges Ausbalancieren zu achten: Geben, Annehmen und Erwidern | |
sollen niemanden bloßstellen oder überrumpeln. | |
Ein Kuriosum unter den Behältnissen waren so genannte Schaugerichte, etwa | |
eine Porzellanterrine in Form eines Gemüsekopfes oder die Deckelschale wie | |
ein Bündel Spargel. Dumm nur, wenn sie am Tisch dann nicht das Suggerierte | |
enthielten. Aber die (höflich unterdrückte) Enttäuschung wäre ja auch eine | |
Facette der Kommunikation, die sich dann vielleicht in spontanen, nur | |
bedingt steuerbaren Gesten verrät. | |
Die weiteren Themenblöcke Sprache, Schrift, Bilder, Götterbotschaften und | |
Schweigen werden im Wesentlichen mit Artefakten aus der eigenen | |
kunsthistorischen Sammlung des Museums belegt. Darunter sind eindrucksvolle | |
Stücke wie eine ägyptische Hieroglyphen-Stele aus dem Mittleren Reich, | |
datiert auf knapp 2000 v. Chr., in reicher Bildsprache. Aber auch ihre | |
Zeichen waren nicht selbsterklärend, setzten Kenntnisse über ihre Bedeutung | |
voraus. | |
## Schwer zu entziffern | |
Erst recht aber gilt dies für Werke der älteren bildenden oder angewandten | |
Kunst, wie die barocke Tapisserie „Urteil des Paris“ und ihr thematischer | |
Vorläufer „Eris sät Zwietracht“ zeigen. Diese Schlüsselszenen der | |
Mythologie dienten der Verständigung über moralisches Verhalten, war doch | |
der Sieg Aphrodites in der Schönheitskonkurrenz dreier Göttinnen durch | |
uneinlösbare Versprechen manipulativ herbeigeführt worden. | |
Zur Dechiffrierung der Szenerien war jedoch fundiertes historisches, | |
literarisches wie ikonografisches Wissen nötig. Als Kommunikationsmittel | |
taugten derartige Bildwerke also allenfalls für eine Elite aus Gebildeten | |
bzw. der adligen Auftraggeber. | |
Leichter macht es einem da schon die moderne Kunst. Die große, bäuerlich | |
realistische Darstellung eines trauernden Witwers am Sterbebett seiner Frau | |
lässt sofort seinen Gemütszustand erkennen, seine Körpersprache ist als | |
nonverbale Kommunikation jeglichem Wort überlegen. | |
Über derartige Phänomene, etwa die Kraft von Blicken, Redegesten und | |
anderen physischen Ausdrucksformen würde man gern mehr erfahren. Sind sie | |
dem Menschen angeboren oder werden sie durch Imitation erworben? Wurden sie | |
erst durch die lange Kulturalisierung zu einem – vielleicht nur für eine | |
spezielle Gemeinschaft – verständlichen System? | |
## Privates im öffentlichen Raum | |
Manches erklärt ein Film des Bayerischen Rundfunks, der sich auch | |
Feinheiten unserer modernen Kommunikation widmet. Etwa der Freiheit des | |
Telefonierens, die einen mitunter Dinge deutlicher sagen lässt als im | |
direkten „Face to Face“. Denn auch die menschliche Stimme allein kann eine | |
Vertrauenssituation schaffen; Telefonseelsorge oder auch Erotikhotlines | |
wissen um diese spezielle Gesprächsqualität. | |
Dauerplauderei per Handy und eine Entäußerung selbst intimster Privatsphäre | |
im öffentlichen Raum ist dagegen eher als Selbstvergewisserung des heutigen | |
Menschen zu verstehen, der sich im Schweigen nicht mehr selbst auszuhalten | |
scheint. | |
Aber um diesen Fernsehbeitrag zu schauen, muss man ja nicht ins Museum. Und | |
so schafft es die eigentliche Ausstellung durch das Gros ihrer Exponate aus | |
Archäologie und alter Kunst nicht so recht, etwas zu unseren heutigen | |
Kommunikationsgepflogenheiten zu kommunizieren. Das macht sie wenig aktuell | |
anschaulich, thematisch recht entrückt und anspruchsvoll. | |
17 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
## TAGS | |
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