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# taz.de -- Tierärztin gegen Tierversuche: „Weckruf an die Politik“
> Corina Gericke von „Ärzte gegen Tierversuche“ geht von 7,7 Millionen
> Tieren aus, die in Deutschland für Laborversuche getötet werden.
Bild: Labormaus für medizinische Experimente
taz: Die Abgasexperimente mit Affen haben das Thema Tierversuche in den
Blick gerückt. Dabei sind diese Versuche wohl nur die Spitze des Eisbergs.
Wie häufig sind Tierversuche in Deutschland?
Corina Gericke: 2017 wurden nach offiziellen Angaben rund 2,8 Millionen
Tiere in deutschen Laboren verwendet und fast alle auch getötet. Das heißt,
alle 11 Sekunden stirbt in Deutschland ein Tier im Labor. Dazu kommt eine
Dunkelziffer von „Ausschusstieren“, die nicht die gewünschte Genveränderu…
aufweisen und „Vorratstieren“, die bei Nichtgebrauch weggeworfen werden.
Insgesamt gehen wir von 7,7 Millionen Tieren pro Jahr aus.
Wie viele und welche Einrichtungen sind daran beteiligt? Gibt es
„Hochburgen“?
Von offizieller Seite gibt es keine Auskunft darüber, wo Tierversuche in
Deutschland stattfinden. Wir haben eine Liste von etwa 700
tierexperimentellen Einrichtungen in 95 Städten zusammengestellt.
Hochburgen sind München, Berlin, Hannover, Göttingen und Tübingen. Die
Angaben beruhen auf der Anzahl der Einträge in unserer
[1][datenbank-tierversuche.de] und sind keineswegs vollständig.
Die Ärzte gegen Tierversuche bezeichnen die meisten Experimente mit Tieren
als sinn- und nutzlos. Gibt es Fälle, in denen Sie Tierversuche für
vertretbar halten?
Tierversuche sind weder ethisch noch wissenschaftlich zu rechtfertigen und
daher vollständig abzulehnen. Im Tierversuch werden die Krankheiten des
Menschen auf Symptome reduziert und bei Tieren künstlich hervorgerufen.
Wie denn?
Depression wird simuliert, indem Ratten oder Mäuse schwimmen müssen, bis
sie aufgeben. Das gilt dann als depressiv. Schlaganfall wird bei Mäusen
durch Verstopfen einer Arterie im Gehirn hervorgerufen. Der Schlaganfall
beim Menschen hat jedoch meist ganz andere Ursachen, wie aus
Bevölkerungsstudien bekannt ist: fleischreiche Ernährung, Rauchen,
Bewegungsmangel, Stress. Es verwundert daher nicht, dass 500
Schlaganfallmedikamente bei der Maus gewirkt haben, aber beim Menschen
nicht. 95 Prozent der im Tierversuch für sicher und wirksam befundenen
neuen Medikamente kommen nicht durch die klinische Prüfung, das heißt, den
Menschenversuch, entweder weil sie nicht wirken oder weil sich fatale
Nebenwirkungen zeigen, die man zuvor beim Tier nicht erkannt hat. Also:
Experimente an Tieren sind weder geeignet, die Krankheiten des Menschen zu
erforschen und zu heilen, noch uns vor Schäden zu schützen.
Nach Ihren Angaben werden rund 99 Prozent aller Tierversuche genehmigt. Wie
laufen die Genehmigungsverfahren ab?
Nur ein Teil der Versuche ist genehmigungspflichtig. Versuche im Bereich
der Giftigkeitsprüfungen und Routinetests sind meist nur anzeigepflichtig,
das heißt, es muss lediglich ein Formular ausgefüllt werden. Aber auch das
Genehmigungsverfahren ist nicht mehr als eine bürokratische Hürde. Die
Behörde wird zwar durch eine „Tierversuchskommission“ beraten, in der auch
Vertreter von Tierschutzorganisationen sitzen – sie sind aber in der
Minderheit. Die Behörde muss sich auch nicht an deren Votum halten.
Aber es gibt doch ein Tierschutzgesetz.
Das ist so formuliert, dass die Behörde einen Antrag genehmigen muss, wenn
alle formalen Voraussetzungen erfüllt sind. Wenn eine Behörde es
tatsächlich einmal wagt, einen Antrag abzulehnen, kann der Experimentator
vor Gericht gehen. Das Tierschutzgesetz schützt Tiere nicht vor
Tierversuchen, sondern verwaltet diese nur.
Wie kann es ohne Tierversuche medizinischen Fortschritt geben?
Moderne In-vitro-Methoden etwa mit menschlichen Zellkulturen,
Multiorganchips und Miniorganen, die aus menschlichen Zellen gezüchtet
werden, liefern im Gegensatz zum Tierversuch aussagekräftige, für den
Menschen relevante Ergebnisse.
Das ist doch Zukunftsmusik.
Nein, Zellkulturen gibt es schon lange, sie werden auch schon weitreichend
eingesetzt, und es gibt dazu bereits viele behördlich anerkannte Verfahren.
Die Multiorganchips sind noch relativ neu, das stimmt, sie werden aber auch
schon bei der Pharmaindustrie eingesetzt. Von Zukunftsmusik kann wirklich
nicht die Rede sein. Allerdings werden diese Verfahren staatlicherseits nur
mit einem lächerlichen einstelligen Millionenbetrag im Jahr gefördert,
während Milliarden in Tierversuche fließen. Das muss umgekehrt werden.
Was muss passieren?
Der Abgasskandal sollte ein Weckruf an die Politik sein, den Tierversuch
generell auf den Prüfstand zu stellen. Die Niederlande haben ein
Ausstiegskonzept aus dem Tierversuch vorgelegt, sie wollen bis 2025 führend
auf dem Gebiet der tierversuchsfreien Methoden werden und zumindest
Tierversuche in einigen Bereichen abgeschafft haben. Uns geht das natürlich
zu langsam, aber es ist ein realistischer, wegweisender Schritt, den unsere
Nachbarn gehen, während sich Deutschland immer noch an Methoden aus dem
vorletzten Jahrhundert klammert.
8 Feb 2018
## LINKS
[1] https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/datenbank-tierversuche
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Tierversuche
Affen
Abgase
Tierversuche
Tierversuche
Stickstoffdioxid
Bernd Althusmann
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