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# taz.de -- Angriffe auf eine Schutzzone in Syrien: Die Hälfte des Landes ist …
> Kampfflugzeuge Assads bombadieren das östliche Ghouta-Gebiet. Die
> humanitäre Lage dort sei dramatisch wie nie, sagt UN-Koordinator Panos
> Moumtzis.
Bild: Nach einem Luftangriff im syrischen Ost-Ghouta
Kairo taz | „Wenn der Tod die Spitze erreicht, sind die Gräber zu klein“,
heißt es in einem syrischen Sprichwort, [1][das derzeit häufig in
Ost-Ghouta], einem von der Opposition kontrollierten Vorort von Damaskus,
zitiert wird. Dort scheint man derzeit nirgends sicher zu sein.
Onlinevideos, wie sie die Nachrichtenagentur Reuters verbreitet, zeigen
chaotische Szenen: Menschen kommen panisch aus den Häusern gelaufen, die
Verletzten, darunter auch Kinder, werden zu Krankenwagen gebracht, und
währenddessen fallen weitere Bomben. Seit Tagen wird die Gegend von
Kampfjets der russischen Luftwaffe und der Luftwaffe des Regimes Baschar
al-Assads bombardiert. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte
hat dort allein am vergangenen Donnerstag 59 tote Zivilisten, darunter 15
Kinder, dokumentiert.
Das östliche Ghouta-Gebiet ist genauso wie die derzeit heftig umkämpfte
Provinz Idlib in Norden des Landes eine der vorgesehenen sogenannten
Deeskalationszonen. Die waren mit Russland, dem Iran und der Türkei
ausgehandelt worden. Aber das Regime in Damaskus versucht nun genau diese
von der Opposition gehaltenen Gebiete zu erobern – mithilfe der russischen
Luftwaffe und Milizen, die vom Iran kontrolliert werden.
Die Situation dort ist so dramatisch, dass sogar die UNO sie öffentlich
anprangert, die sich bisher zum Schutz ihrer humanitären Aktivitäten in
Syrien eher zurückgehalten hatte. „Mit den Deeskalationszonen, die
geschaffen worden waren, hatten wir zunächst die Hoffnung, dass wir dort
Hilfslieferungen hinbringen können“, sagt Panos Moumtzis, der regionale
UN-Koordinator für humanitäre Angelegenheiten in Syrien, im Gespräch mit
der taz. „Idlib und die östliche Ghouta, das sind zwei dieser
Deeskalationszonen. Aber in Wirklichkeit sind sie alles andere. Sie sind
Reeskalationszonen. Wir haben dort ein dramatisches Anwachsen der
Kampfhandlungen und der Not.“
Das größte Problem für die UN sei es, im Moment überhaupt Zugang zu den
umkämpften Gebieten zu bekommen. Immer wenn ein Hilfskonvoi organisiert
würde, erteile das Regime in Damaskus keine Genehmigung. „Seit zwei
Monaten, seit dem 10. Dezember, haben wir keinen Zugang bekommen“, klagt
der UN-Koordinator. Es gebe Oppositionsgebiete, die einzig von
Regierungsgebieten erreichbar und ansonsten von der Außenwelt abgeschlossen
seien.
## „Seit 10. Dezember haben wir nichts geliefert – null“
„Nehmen wir Ost-Ghouta, dort leben 400.000 Menschen unter einer Belagerung,
und wir haben seit zwei Monaten keinen Zugang mehr dorthin. 2,9 Millionen
Menschen leben in solchen belagerten und für uns schwer zugänglichen
Gebieten“, beschreibt er die Lage. „Diese Menschen hängen von unseren
Hilfslieferungen ab. Der Zugang zu Nahrungs- und Hilfslieferungen sollte
niemals dazu verwendet werden, politischen Druck zu erzeugen“, formuliert
er eine Forderung, die nach internationalem Recht eigentlich
selbstverständlich sein sollte.
Auch medizinische Evakuierungen seien nicht mehr möglich. Über 700
Schwerverletzte und Kranke im östlichen Al-Ghouta hofften derzeit, von der
UN evakuiert zu werden, erklärt Moumtzis. Bisher ohne Erfolg. „Die östliche
Al-Ghouta ist praktisch ein Vorort von Damaskus. Man müsste nur eine halbe
Stunde mit dem Auto fahren und man hätte Zugang zu Krankenhäusern“, sagt er
frustriert angesichts der dringend benötigten Hilfslieferungen in die
belagerten Gebiete.
„Letztes Jahr haben wir es nur geschafft, 27 Prozent unseres Plansolls in
diese belagerten und schwer zugänglichen Gebiete zu liefern. Das heißt,
schon 2017 konnten wir drei Viertel der Leute, die dort leben, nicht
helfen, weil wir keine Genehmigung dafür bekommen haben“, bilanziert der
UN-Koordinator. „Seit 10. Dezember haben wir nichts geliefert – null.“
Auch in der nördlichen Provinz Idlib, die von der Opposition kontrolliert
wird und derzeit einer Offensive der Regierungstruppen und massivem
russischem Bombardement ausgeliefert ist, sei die Lage dramatisch. „Der
Schutz von Zivilisten, Infrastruktur und humanitären Arbeitern ist
lebenswichtig. Allein in Idlib haben wir 40 Vorfälle und 117 Angriffe auf
Krankenhäuser erlebt“, sagt Moumtzis. Was dort passiert, könnte auch bald
Folgen für Europa haben. Denn die nächste Flüchtlingswelle droht, warnt er.
„Wir erleben dort eine dramatische Verschlimmerung der humanitären Lage.
## Zwei Millionen Menschen an der türkischen Grenze
In Idlib leben zwei Millionen Menschen, darunter eine Million, die aus
anderen Teilen Syriens geflohen sind“, beschreibt er die Lage. „Mit der
letzten Offensive könnten also demnächst bis zu zwei Millionen Menschen an
der türkischen Grenze auftauchen. Und wenn sie in die Türkei kommen, dann
werden einige auch früher oder später nach Europa weiterwollen“, prophezeit
er.
Es gebe einen Widerspruch, sagt Moumtzis. „Einerseits haben wir uns
international an den Krieg in Syrien gewöhnt, andererseits war die dortige
humanitäre Lage noch nie so dramatisch wie heute.“ Er fasst das in Zahlen:
„Im Moment sind in Syrien 13 Millionen Menschen in einer unmittelbaren
humanitären Notsituation, das ist die Hälfte des Landes. Es gibt 5,3
Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern. 6 Millionen Menschen sind im
Land auf der Flucht, allein in Idlib sind das seit Januar über 300.000
Menschen.“
Der UN-Koordinator ist frustriert: „Wir sprechen zu tauben Ohren der
humanitären Diplomatie, UN-Mitgliedstaaten, Regierungen, Hauptstädte. Sie
alle sollten ihre Möglichkeiten nutzen, Druck auszuüben, um hier etwas zu
verändern“, sagt er. Und dann kommt Moumtzis zu seinem Kernanliegen: Alle
Kriegsparteien seien zu einem humanitären Waffenstillstand aufgerufen,
„damit wir Schwerverletzte oder Kranke evakuieren können und ein wenig
Frieden in eine Situation bringen, die extrem chaotisch ist“. Doch ist die
Wahrscheinlichkeit groß, dass auch dieser UN-Vorstoß für eine Feuerpause
auf taube Ohren stoßen wird.
11 Feb 2018
## LINKS
[1] /UNO-Berichte-zur-Lage-in-Syrien/!5463881
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Baschar al-Assad
Humanitäre Hilfe
Flüchtlinge
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Schwerpunkt Syrien
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