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# taz.de -- Prozess gegen Brasiliens Ex-Präsidenten: Politik im Gerichtssaal
> Lula da Silva ist die Ikone von Brasiliens Arbeiterpartei. Am Mittwoch
> geht er entweder ins Gefängnis – oder er wird Präsidentschaftskandidat.
Bild: Seit Wochen wird für die Unterstützungskundgebungen zugunsten des Ex-Pr…
Rio de Janeiro taz | Gewählt wird in Brasilien erst im Oktober. Doch schon
diesen Mittwoch steht eine Vorentscheidung an: Der frühere Präsident Luiz
Inácio Lula da Silva steht in zweiter Instanz wegen Korruption vor Gericht.
Sollte das erstinstanzliche Urteil von neuneinhalb Jahren Haft bestätigt
werden, käme die einst so beliebte Ikone der Linken sofort hinter Gitter.
Mehr noch: Lula würde sein passives Wahlrecht einbüßen und dürfte beim
diesjährigen Rennen um das höchste Staatsamt nicht antreten. Für seine
Anhänger wäre dies der Sieg der Justiz über die Demokratie. Denn der
ehemalige Gewerkschafter führt in Umfragen mit weitem Abstand vor all
seinen Mitstreitern. „Es handelt sich um einen politischen Prozess“,
erklärt Lulas Anwältin Valeska Zani und warnt vor einem internationalen
Justizskandal.
Die südbrasilianische Stadt Porto Alegre, Sitz des zuständigen
Berufungsgerichts, befindet sich bereits im Belagerungszustand. Am Montag
kamen Tausende Aktivisten der Landlosenbewegung MST in die Stadt und bauten
ein Zeltlager auf.
Die Stimmung ist kämpferisch. „Ein halbes Dutzend Bourgeois will
verhindern, dass die Arbeiter ihren Kandidaten wählen können. Wir werden
keinen Rückschritt zulassen“, sagt Ildo Pereira, Mitglied der MST-Führung.
Zehntausende werden zu Kundgebungen vor und während des Prozesses erwartet.
Die größte Gruppe stellen Gewerkschafter, die auch von internationalen
Dachverbänden unterstützt werden.
## Der Prozess ist Teil eines riesigen Korruptionsskandals
In anderen Städten wird seit Wochenbeginn ebenfalls mobilisiert. In Rio de
Janeiro besetzten Demonstranten den Zugang zum Medienhaus der Globo-Gruppe.
Sie machen den privaten Medienkonzern für Manipulation und Meinungsmache
gegen Lula verantwortlich. Auch in São Paulo und anderen Großstädten gab es
Demonstrationen, auf denen ein Freispruch für Lula gefordert wurde. Für den
Tag nach der Berufungsentscheidung plant die Arbeiterpartei PT, Lula
offiziell zum Präsidentschaftskandidaten zu küren.
In dem Verfahren geht es um ein Strandapartment, dass der Baukonzern OAS
als Gegenleistung für politische Gefälligkeiten renoviert und Lula da Silva
zur Nutzung überlassen haben soll. Wie in mehreren weiteren Prozessen gegen
den Expräsidenten (2003–2010) gibt es nach Ansicht der Verteidigung
keinerlei Beweise. Die Anklage stützt sich in erster Linie auf
Kronzeugenaussagen und wenige Indizien.
Der Prozess ist Teil des riesigen Korruptionsskandals um Staatsunternehmen
und Baukonzerne, der das politische System Brasiliens seit Jahren
erschüttert. Parteien jeglicher Couleur stehen unter Verdacht, überteuerte
Aufträge beispielsweise vom halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras vermittelt
zu haben, um im Gegenzug Millionen Schmiergeld als Parteispenden oder
Gehaltsaufbesserung zu ergattern.
Zahlreiche Minister, Senatoren und Abgeordnete sind angeklagt, einige einst
mächtige Politiker und Topmanager sind bereits im Gefängnis. Präsident
Michel Temer konnte sich nur aufgrund seiner Immunität vor einem Prozess
retten. Seine Parlamentsmehrheit, die auf über 200 verdächtigten
Abgeordnete beruht, bewahrte ihn vergangenes Jahr mehrfach vor der
Einleitung von [1][Strafprozessen wegen Korruption].
## Machtkampf mit der traditionellen Rechten
Hintergrund des Spektakels in Porto Alegre ist der Machtkampf zwischen der
PT und der traditionellen Rechten in Brasilien. Erst nach 14 Jahren
Mitte-links-Regierung gelang es einer breiten Koalition konservativer und
liberaler Parteien Mitte vergangenen Jahres, Lulas Nachfolgerin Dilma
Rousseff in einem höchst umstrittenen Amtsenthebungsverfahren von der Macht
zu verdrängen.
Obwohl es offiziell nur darum ging, angebliche illegale Haushaltstricks der
Präsidentin zu ahnden, riss ihr Nachfolger und vorheriger Vizepräsident
Temer das Steuer um 180 Grad herum. Seitdem verfolgt Brasilien eine
[2][neoliberale Wirtschaftspolitik], setzt auf die Privatisierung von
Staatsbetrieben, kürzt die einst so hoch gelobten Sozialprogramme der PT
und verfolgt zudem einen wertkonservativen Kurs.
Nur dem charismatischen Lula da Silva wird zugetraut, die durch die
Skandale ebenfalls geschwächte PT wieder an die Regierung zu bringen. Da er
an den Urnen kaum zu besiegen sei – so sagen seine Anhänger –, müsse er a…
anderem Wege unschädlich gemacht werden.
Lulas Widersacher sind gelassen. Für sie handelt es sich um einen ganz
normalen Prozess, und ein Schuldspruch gilt als wahrscheinlich. Doch dies
wäre wohl noch nicht Lulas Ende, sondern der Anfang einer Justizschlacht:
Aus PT-Kreisen verlautet, dass das brasilianische Rechtssystem ausreichend
Berufungsoptionen bietet, um Lulas Kandidatur doch noch durchzusetzen.
24 Jan 2018
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## AUTOREN
Andreas Behn
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