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# taz.de -- Orientierungslosigkeit nach Brexit: Ukip weiter im Sinkflug
> Wenige Jahre nach ihrem Brexit-Triumph versinken die britischen
> Populisten in der Bedeutungslosigkeit. An Geld fehlt es auch.
Bild: Wegen rassistischer Äußerungen von Boltons neuer Freundin sind viele Uk…
London taz | John Whitby, Chef des Ukip-Ortsvereins in Peterborough, 120
Kilometer von London entfernt, geht mitten im Vereinstreffen ans Handy.
„Sagt mal alle Hallo, das ist ein Journalist einer Zeitung aus
Deutschland!“, ruft er hörbar in den Raum. Ein munterer Chor aus etwa 40
Ukip-Mitgliedern ruft „Hello!“.
Die United Kingdom Independence Party (Ukip) steckt eigentlich in einer
existenziellen Krise: Parteichef [1][Henry Bolton] steht aufgrund
rassistischer Bemerkungen seiner 30 Jahre jüngeren Ex-Freundin – für die er
erst zu Weihnachten seine Familie verlassen hatte – über die US-Verlobte
von Prinz Harry massiv in der Kritik. Die Partei hat kaum noch Geld, in den
Umfragen dümpelt sie dahin.
Aber Whitby hat den Glauben nicht verloren. „Wir sind die Einzigen, die zu
manchen Themen noch die Wahrheit sagen“, verkündet er selbstsicher. Es gebe
in Peterborough Wohnungsnot wegen der unkontrollierten Einwanderung. Keine
andere Partei würde das ansprechen. „Ein Problem wie bei euch in
Deutschland, habe ich gehört.“
Peterborough liegt in einem der produktivsten Agrargebiete Englands, was
tatsächlich eine überproportional hohe Anzahl von Arbeitssuchenden aus
Osteuropa angezogen hat. Seit 2002 ist die Bevölkerung Peterboroughs um 23
Prozent gestiegen, auf fast 200.000 Menschen, zeitweise wuchs die Stadt
schneller als jede andere im Land.
## Viele Rücktritte nach der Affäre um Boltons Partnerin
Die Investitionen in Infrastruktur und Wohnungen haben damit nicht Schritt
gehalten – nicht unter der Labour-Regierung bis 2010, die nicht mit so
vielen Zuwanderern gerechnet hatte, und erst recht nicht unter der
konservativen Austeritätspolitik seitdem. Ukip, glaubt Whitby, hat dafür
das richtige Programm: ein Moratorium auf Zuwanderung. Zumal mit dem
aktuellen Gerangel in der Regierung ein echter Brexit noch lange nicht
erreicht sei. Und für Whitby ist Henry Bolton der richtige Mann, „mit
seiner einstigen Karriere in der Armee“.
Nicht überall sind Ukip-Mitglieder so zufrieden. Landesweit sind zahlreiche
Parteifunktionäre aus Empörung über Boltons Affäre zurückgetreten, sogar
seine Stellvertreterin Margot Parker. Der komplette Parteivorstand hat
Bolton das Misstrauen ausgesprochen. Im Februar sollen die Ukip-Mitglieder
bei einem Sonderparteitag über sein Schicksal entscheiden. Er selbst will
nicht aufgeben.
Da am 3. Mai in Teilen Englands Kommunalwahlen anstehen, fragen einige
offen, auch aus den Rängen der eigenen Partei, ob dies das Ende Ukips
bedeuten könnte. Zahlreiche einstige Ukip-Persönlichkeiten haben ihre
Parteikarriere völlig an den Nagel gehängt, angefangen mit Ex-Parteichef
Nigel Farage, der nach dem Brexit-Referendum zurücktrat.
Victoria Ayling, die einst voller Enthusiasmus in Lincolnshire
Ukip-Unterhausabgeordnete werden wollte, will sich nicht mehr zur Partei
äußern, schreibt sie der taz. Douglas Carswell, der ehemals einzige
Ukip-Abgeordnete im Unterhaus, der sich 2017 mit der Partei überwarf,
beschränkt seine Antwort auf die taz-Anfrage auf vier Worte, „Job done, we
won“ – Job erledigt, wir haben gewonnen – gemeint ist das
Brexit-Referendum, und damit sei Ukips Arbeit getan.
## Was fehlt? Ein gutes neues „scharfes“ Parteiprogramm!
Es sind lokale Aktivisten wie John Whitby in Peterborough, die Ukip noch am
Leben halten. Auch in Basildon 50 Kilometer nordöstlich von London ist
Ukip-Ortsvereinschefin Linda Allport-Hodge zuversichtlich: „Wir haben hier
zehn kommunale Ukip-Abgeordnete und gelten als ernst zu nehmende
Opposition, die sich mit Themen wie dem Gesundheitssystem befasst und die
Besorgnisse von Anwohnern ernst nimmt“, schildert sie. Von Henry Bolton ist
sie irritiert. „Wir brauchen jetzt Parteistärke und ein gutes scharfes
Parteiprogramm“, fordert sie.
Ukip hat seit dem Abgang von Farage im Juni 2016 schon drei Parteichefs
verschlissen. Bolton ist der vierte. Die Partei hat kaum noch Geld. Was an
der Parteispitze abgeht, frustriert auch Chris Cooke in Tamworth. Hier im
zentralenglischen Staffordshire, eine seit dem Ende des Kohlebergbaus
wirtschaftlich geschwächte Region, ist Cooke einer von zwei „Ukippers“
unter 30 Landräten. „Ich bemerkte bereits in Nigel Farages Tagen, wie
korrupt die da oben sind, und daran hat sich nicht viel geändert. Seit dem
Referendum sieht es so aus, als ob die Partei auf ihr Ende zusteuert.“
Die Parteiführung sei „aus anderem Holz geschnitzt“ als die Basis. „Es s…
wir, die am Ende alles wieder richten müssen und für all das büßen, was die
da anstellen“, schimpft er verärgert. Immerhin ist er noch in Ukip, anders
als viele Stadt- und Landräte im ganzen Land, die in den letzten zwölf
Monaten ausgetreten sind. In Hyndburn erklärt Malcolm Pritchard den
Parteiaustritt gegenüber der Lokalpresse so: „Die Partei bewegt sich in die
falsche Richtung. Es gibt zu viele Schwachköpfe, die alles kaputtmachen.“
John Barned und Eddie Powell sitzen im südostenglischen Maidstone für Ukip
im Stadtrat. Sie glauben, eine positive Politik aufgestellt zu haben. Es
gehe um persönlichen Einsatz und Bürgernähe, nicht um Parteikonzepte. Da
keine Fraktion im Stadtrat von Maidstone eine absolute Mehrheit hält,
würden sich die anderen Parteien oft an Ukip wenden. Während die anderen,
in Maidstone sind es vor allem Liberaldemokraten und Konservative, stets
nach Parteilinie abstimmen müssten, würden die vier Ukip-Abgeordneten sich
danach richten, „was die Bürger fordern“.
## Nigel Farage hat eine Lücke hinterlassen
Das Wort „Unabhängigkeit“ im Parteinamen hat man neu interpretiert. Für
Cooke in Tamworth wie für viele andere war es gerade das Fehlen einer
Parteipeitsche, was Ukip attraktiv machte. „Ich sehe mich als unbezahlten
Sozialarbeiter, und ich werde weitermachen, egal, was die Spitze macht. Das
ist alles, was zählt. Wenn es sein muss, auch ohne Parteimitgliedschaft,
als vollkommen Unabhängiger. Schon mein Vater war vor langer Zeit einmal
ein unabhängiger Landrat, im genau gleichen Bezirk.“ Er sei immer noch sehr
für einen „richtigen Brexit“, aber für ihn zähle nun der Einsatz vor Ort.
Liegt die Ukip-Zukunft außerhalb der Partei, im lokalen Engagement? Sogar
in Grimsby, dem alten Fischereihafen in Nordost-Lincolnshire an der
Humbermündung, wo 70 Prozent der Wähler sich beim Referendum für den Brexit
entschieden, geben sich die beiden Ukip-Kreisräte geschlagen, was ihre
Partei angeht. Henry Hudson glaubte nach den „phänomenalen Erfolgen“
zwischen 2010 und 2015 und dem gewonnenen Brexit-Referendum, dass Ukip nun
eine etablierte Partei sei, mit der Großbritannien noch jahrelang rechnen
müsste. Jetzt erkennt er: „Es war wohl die charismatische Figur von Nigel
Farage, die all das zusammenhielt.“
Viele Mitglieder, so Hudson, seien nun zu den Konservativen gegangen. Jane
Bramley, Hudsons Parteikollegin im Stadtrat, steuert einen ganz anderen
Kurs an. „Henry Bolton vertraue ich überhaupt nicht. Was mich aufregt, ist,
dass die Konservativen dieses Land in den Ruin jagten, mit ihrer gegen die
Älteren, Behinderten und die Ärmsten gerichteten Politik!“ Um das zu
bekämpfen, sollten die Wähler in Grimsby ihr im Mai wieder die Stimme
geben. Hudson hingegen ist sich nicht sicher, ob er sich überhaupt zur
Wiederwahl stellen möchte.
30 Jan 2018
## LINKS
[1] /Bolton-ist-neuer-Ukip-Chef/!5451322
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
## TAGS
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