| # taz.de -- Neuköllner Traditionsladen: Die Rixdorfer Musike schweigt | |
| > Musik Bading ist eine Neuköllner Institution – seit fast 100 Jahren. Ein | |
| > Brand in der Silvesternacht hat den Laden fast komplett zerstört. | |
| Bild: Großeinsatz in der Silvesternacht: Das Musikhaus Bading brennt aus | |
| Auch drei Wochen nach dem Brand bleiben regelmäßig Passanten vor dem | |
| ehemaligen Laden „Musik Bading“ in der Neuköllner Karl-Marx-Straße stehen. | |
| Sie lesen die bunten Zettel, die Nachbarn auf die verrammelte Tür geklebt | |
| haben. | |
| „Meine erste Gitarre und viele Saiten mehr“ habe sie hier gekauft, schreibt | |
| eine Kundin. „Wir fühlen mit euch – ganz viel Kraft“, eine andere. Viele | |
| wünschen sich, dass es weitergeht. Denn dort, wo bisher schimmernde | |
| Gitarren und Ukulelen neben weißen Notenblättern im Schaufenster lagen, | |
| klafften in den frühen Morgenstunden der Silvesternacht nur noch schwarze | |
| Löcher. Der Laden ist fast komplett ausgebrannt. Die Polizei ermittelt | |
| wegen schwerer Brandstiftung. | |
| Fast 100 Jahre lang versorgte der Laden die Neuköllner mit Noten, | |
| Instrumenten und Schallplatten. Der 1919 von Ernst Bading gegründete Laden | |
| war eine Institution im damals aufstrebenden Stadtteil. Über die Rolle, die | |
| der Laden für die Nachbarschaft gespielt hat, kann Doris Prabhu einiges | |
| erzählen. Die ehemalige Bibliothekarin hat die Biografien von | |
| Neuköllnerinnen und Neuköllnern aus ihrer Nachbarschaft recherchiert, um | |
| Stolpersteine im Stadtteil zu stiften. | |
| „Eine der Geschichten, die mich am meisten berührt hat, ist die von Helga | |
| Bujakowski und ihrer Familie“, sagt sie. „Die Eltern waren Nachbarn der | |
| Familie Bading und sind mit ihr nach New York geflohen.“ Bujakowskis Onkel, | |
| Tante und Cousine, auch aus Neukölln, wurden in Auschwitz ermordet. | |
| Durch einen Zufall bekam Prabhu Kontakt zu der über 90-jährigen Helga | |
| Bujakowski, die noch immer in New York lebt. „Das Erste, was sie mir | |
| geschrieben hat, waren ihre Erinnerungen an die Bading-Familie, mit der | |
| ihre Mutter gut befreundet war“, erzählt Prabhu, „Helga konnte sich noch | |
| gut an den grünen Samt und das rote Plüschsofa im Keller von Musikhaus | |
| Bading erinnern. Sie erzählte von den Sonntagnachmittagen, wenn Herr Bading | |
| dort Platten aufgelegt hat und sie mit ihrem Vater dort hingegangen ist, um | |
| gemeinsam Musik zu hören.“ | |
| Helga Bujakowski spielte schon als Jugendliche Klavier. „Die klassische | |
| Musik war und ist für Helga prägend gewesen. Sie hat die Musik sozusagen in | |
| die USA mitgenommen, denn sie nahm dort Unterricht und war später auch mit | |
| einem bekannten Komponisten und ihrem Klavierlehrer verheiratet“, sagt | |
| Prabhu. | |
| Die Kinder und Enkel von Helga Bujakowski wollten Berlin in diesem Jahr | |
| besuchen und sich dabei auch das Elternhaus in Neukölln ansehen, erzählt | |
| Prabhu. Bisher habe sie es noch nicht übers Herz gebracht, Helga Bujakowski | |
| und der Familie von dem Brand zu erzählen. „Es schmerzt mich, ihr schreiben | |
| zu müssen, dass Musik Bading nicht mehr ist und ihre letzte schöne | |
| Erinnerung an Berlin zerstört ist“, sagt sie. Das ganze Geschäft sei voll | |
| mit Musik- und Stadtgeschichte gewesen. | |
| ## Treffpunkt für Neuköllns Bürgertum | |
| Ernst Bading hatte Kontakt zu berühmten Opernsängern, Komponisten und | |
| Dirigenten seiner Zeit. Er machte den Laden zu einem Treffpunkt für das | |
| Neuköllner Bürgertum, sagt auch die Historikerin Anke Schnabel. Sie hat | |
| 2014 an der Ausstellung „Mythos Vinyl“ im Museum Neukölln mitgearbeitet, | |
| über Neuköllner und ihre Schallplatten. Doch neben den Kunden für | |
| klassische Musik wurde Musik Bading später auch für diejenigen wichtig, die | |
| Popmusik hören wollten. Bei den Vorbereitungen zur Ausstellung sei sie | |
| immer wieder auf die Firmengeschichte und den Laden gestoßen. „Es gab | |
| viele, die uns erzählt haben, dass sie ihre erste Platte bei Musik Bading | |
| gekauft haben“, sagt Schnabel. „Jimmy Hendrix lag dort im Schaufenster aus, | |
| als Neuerscheinung, direkt neben all den Noten und der klassischen Musik.“ | |
| Auch wenn viele berichteten, dass der Laden nach dem Tod von Ernst Bading | |
| 1952 an Glanz eingebüßt habe, war er weiterhin ein wichtiger Anlaufpunkt im | |
| Stadtteil und habe die Lebenswege der Menschen und deren Musikgeschmack | |
| geprägt. „Es ist erstaunlich, wie Musik Bading es in den 70er und 80er | |
| Jahren geschafft hat, diese Leute zu interessieren und zu erreichen. Das | |
| war die Zeit, bevor es Ketten gab, die haben dem Laden später schon zu | |
| schaffen gemacht“, sagt sie. | |
| ## Ungewiss, wie es weitergeht | |
| Die Erinnerungen bleiben, doch der Laden ist nun zerstört. Nicht durch ein | |
| Unglück, sondern durch Vandalismus. Es heißt, dass Täter die Scheibe der | |
| Tür eingeschlagen und Feuerwerkskörper in den Laden geworfen haben sollen. | |
| Auf den Zetteln am Laden schreibt jemand, dass es dafür auch noch | |
| zustimmende Kommentare gab. Anteilnahme und Trauer im Stadtteil sind groß. | |
| Nachbarn haben eine Solidaritätsgruppe in den sozialen Medien organisiert. | |
| Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey kam vorbei und kündigte ihre | |
| Unterstützung an. Nicht irgendein Geschäft, sondern ein „Stück Neuköllner | |
| Tradition“ sei zerstört worden, schrieb Giffey auf Facebook. „Sollte sich | |
| die Familie für den Wiederaufbau des Ladens entscheiden, habe ich meine | |
| Unterstützung angeboten. Ich glaube, es gibt viele Menschen, die sich sehr | |
| darüber freuen und auch dabei mithelfen würden.“ | |
| Wie es mit dem Laden weitergeht, ist noch ungewiss. Die über 90-jährige | |
| Tochter des Firmengründers, die den Laden bis zuletzt geführt hatte, möchte | |
| grundsätzlich weitermachen. Unter welchen Bedingungen, das entscheidet sich | |
| zum Wochenende, sagt die Enkelin. Sie seien heilfroh, dass niemandem bei | |
| dem Brandanschlag etwas passiert sei. „Vieles ist weg, aber wir sind | |
| dankbar für die überwältigende Anteilnahme, das ist ein großer Trost für | |
| uns“, sagt sie. „Wir überlegen nun, was wir wieder herstellen können. | |
| Loslassen möchten wir noch nicht.“ | |
| 18 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
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