| # taz.de -- Debütroman von Manja Präkels: SS-Runen auf dem Hintern | |
| > Präkels erzählt von einer Jugend in Brandenburg, oft tieftraurig. Dem | |
| > Journalisten Moritz von Uslar wirft sie in einem Artikel Verharmlosung | |
| > des rechten Spektrums vor. | |
| Bild: Ach wie schön ist Zehdenick | |
| Dass in der Kleinstadt an der Havel etwas Unangenehmes unter der Oberfläche | |
| gärt, ahnt Mimi Schulz in etwa zu der Zeit, als sie mit großem Trara in die | |
| FDJ aufgenommen wird. Mehr und mehr Menschen „machen rüber“, weil das | |
| gelobte sozialistische Paradies nicht hält, was es verspricht. Ihr eigener | |
| Vater erkrankt zu dieser Zeit und verbittert immer mehr: „Unbemerkt hatte | |
| die Wut jahrelang unterm Pflaster gehockt, unter maroden Dielen, in der | |
| Kanalisation, auf den Dachböden und hinter verblichenen Fotografien. Bei | |
| uns im Haus konnte ich es knistern hören“, blickt die Icherzählerin zurück | |
| auf die späten Achtziger in dem Ort, der im Roman nur „Havelstadt“ genannt | |
| wird. | |
| Mit der Havelstadt ist der Ort Zehdenick nördlich von Berlin gemeint, in | |
| dem die Schriftstellerin, Journalistin und Sängerin Manja Präkels aufwuchs. | |
| In ihrem Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erzählt sie … | |
| Leben als Jugendliche in den Wendejahren in dieser Stadt; genauer gesagt | |
| vom Leben als „Zecke“, als linke Jugendliche dort. Denn in erster Linie | |
| beschreibt sie, wie rechte Skinheads und Nazis – „Gorillas“ nennt sie sie… | |
| in den frühen Neunzigern die Hoheit auf den Straßen übernehmen und Angst | |
| und Schrecken verbreiten. | |
| Präkels hat 1992 selbst miterlebt, wie ein Bekannter von ihr, Ingo Ludwig, | |
| vor einer Dorfdisco von Naziskins überfallen und zu Tode getreten wurde. 17 | |
| Jahre alt war sie da. Die Behörden bewerteten damals nicht die Tritte, | |
| sondern einen vorangegangenen Treppensturz als todesursächlich. Für die | |
| Autorin, die den Fall vor einigen Jahren journalistisch aufgearbeitet hat, | |
| war der Todesfall ein Motiv, diesen Roman zu schreiben. Das Buch ist Ingo | |
| Ludwig gewidmet, die Figur Krischi an ihn angelehnt. | |
| Die Erzählung setzt aber schon ein, als die Gorillas noch lange nicht im | |
| Anmarsch sind: mit der Kindheit von Mimi. Diese wächst in einem scheinbaren | |
| Idyll auf, sie geht mit Nachbarjunge Oliver angeln oder sitzt mit ihm im | |
| Kinderzimmer und isst Schnapskirschen, die die beiden heimlich aus der | |
| elterlichen Vorratskammer klauen. Es ist genau jener Oliver, der später | |
| unter dem Namen Hitler einer der Anführer der Rechten werden soll. Denn | |
| wenige Jahre danach teilt sich die Kleinstadtjugend in zwei Lager: auf der | |
| einen Seite Gruftis, Punks, Metaller, auf der anderen Glatzen in | |
| Bomberjacken. | |
| ## Sprachliche Wucht | |
| Wer mehr Eindruck schindet, ist dabei ziemlich klar: „Meine ehemaligen | |
| Mitschülerinnen quiekten vor Begeisterung über so viel nackte Kopfhaut und | |
| martialisches Gebaren. Sie ließen sich in Kneipenklos von besoffenen Jungs | |
| vögeln, die SS-Runen auf den Hintern tätowiert hatten. Und die Friseure | |
| mixten das Wasserstoffblond tonnenweise.“ | |
| Je näher Präkels auf diesen zentralen Konflikt zusteuert, je mehr sie die | |
| ständige Bedrohung im Alltag schildert, desto mehr sprachliche Wucht | |
| erreicht sie. Die Angst, die die Jugendlichen im Nacken spüren, wenn sie | |
| die örtliche Disco „Wolfshöhle“ aufsuchen oder wenn sie im Ort die | |
| umherfahrenden Autos mit den getönten Scheiben sehen, kann man als Leser | |
| nachempfinden. Wie sie vor dieser Angst zu fliehen versuchen, mit Alkohol, | |
| mit Gras, mit einem Zug nach Berlin, kommt sehr gut rüber. | |
| Sowieso findet Präkels für das Leben in der Provinz einfache, treffende | |
| Worte („Dann saßen sie in Zottels Neubauwohnung, hörten Heavy Metal und | |
| tranken, bis der letzte Bus abfuhr“). Als Krischi zu Tode geprügelt wird, | |
| als Freund Michael später Suizid begeht, spricht aus den wenigen Sätzen, | |
| mit denen Präkels diese Geschehnisse schildert, ein tieftrauriges, | |
| ungläubiges Staunen. | |
| Präkels’ Buch spielt in der Stadt, in der auch Moritz von Uslars | |
| Reportageroman „Deutschboden“ (2010) entstand. Von Uslar zog 2009 für drei | |
| Monate dorthin, um eine ostdeutsche Kleinstadt und ihre Bewohner 20 Jahre | |
| nach der Wende zu porträtieren. Seine Protagonisten sind dabei zum Teil | |
| ehemalige Rechtsradikale. Für die Zeit traf von Uslar sie nach der | |
| Bundestagswahl 2017 erneut. | |
| Zuletzt hat Manja Präkels dem Autor im Spiegel (50/17) vorgeworfen, die | |
| rechte Gewalt verharmlost zu haben und immer noch zu verharmlosen. Die | |
| Fremdenfeindlichkeit setze sich an Orten wie Zehdenick bis heute fort, von | |
| Uslar aber stelle seine Protagonisten nicht als potenzielle Gewalttäter, | |
| sondern „mit dem verklärenden Blick des Berliner Szenegängers“ als „edle | |
| Wilde“ dar. Inzwischen hat von Uslar in der Zeit eine Replik verfasst, in | |
| der er darauf verweist, sein Roman spiele zu einer völlig anderen Zeit – so | |
| sei es zu erklären, dass er Personen „als mitfühlende Menschen und als | |
| Demokraten“ erlebt habe, die Präkels noch als Naziskins kannte. Aber selbst | |
| wenn von Uslars Ansatz ein völlig anderer war – der einer unvoreingenommen | |
| „teilnehmenden Beobachtung“ über drei Monate –, kann es schon verwundern, | |
| dass „Deutschboden“ nicht tiefer schürfte. | |
| Manja Präkels hat eine andere Geschichte aus Zehdenick erzählt – zu großen | |
| Teilen ihre eigene. Knapp 25 Jahre hat sie dort gelebt (seit 1998 lebt sie | |
| in Berlin), der Roman fängt die postsozialistische Wirklichkeit dieses | |
| Ortes sehr gut ein. Die Vorgeschichte hätte man vielleicht etwas kürzer | |
| fassen können (erst ab Seite 50 nimmt der Roman Fahrt auf), danach aber | |
| entwickelt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ einen beeindruckenden | |
| Sog, der einen oft tiefer ins Brandenburg der Nachwendezeit versetzt, als | |
| einem das lieb ist. | |
| 30 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
| ## TAGS | |
| Nazis | |
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