# taz.de -- Heiligabend in der Kneipe: Weihnachtsessen mit Junggesellen | |
> Jedes Jahr führt der Wirt der Neuköllner Kindl-Klause einige seiner | |
> Stammgäste an Weihnachten zum Essen aus. | |
Bild: Gäste vor Weihnachtsbaum in der Kindl-Klause in Berlin-Neukölln. | |
Dunkel ist es draußen, kalt fegt der Regen durch den Herrnhuter Weg, eine | |
kleine Straße, die von der Karl-Marx-Straße als trubeliger Einkaufsmeile in | |
die dörflich anmutendende Richardstraße führt. Drinnen, in der | |
Kindl-Klause, blinken die Dartautomaten mit der Weihnachtsbeleuchtung um | |
die Wette, die warme Luft ist voller Zigarettenrauch. Eine Ecke des Raums | |
hat, wie jeden Mittwoch, der Dartverein in Beschlag genommen, an den | |
übrigen Tischen sammeln sich die Gäste vor frisch gezapften Bieren. Unter | |
der Woche ist jetzt, am frühen Abend, Hauptbetriebszeit. Wer reinkommt, | |
sagt erst mal Micha Hallo: Seit 1984 betreibt er die Kindl-Klause, und | |
seine Gäste, sagt er, seien „zu 98 Prozent Stamm“. | |
Michael Hasucha ist 64 Jahre alt, die älteste seiner drei Angestellten 74, | |
aber „fit wie nüscht“, sagt er. 1969 kam er nach Neukölln und fing als | |
Lehrling im Eisenwarengeschäft Kiessling auf der Karl-Marx-Straße an, ein | |
Traditionsbetrieb, der 1998 nach 108 Jahren Bestehen schließen musste, weil | |
immer weniger Kunden kamen. | |
Die Kindl-Klause ist sein Hobby, sagt er, ein umfangreiches: Zehn Stunden | |
am Tag ist er hier, 70 Stunden die Woche. Auf Einnahmen angewiesen ist er | |
nicht, denn das Haus, indem er gleich um die Ecke wohnt, gehört ihm selbst, | |
er vermietet dort Wohnungen. Aber die Kneipe trage sich selbst: „Wir | |
überleben gut.“ | |
## „Eine große Familie“ | |
So viel zum Geschäft, wichtiger ist Hasucha, der vor jedem seiner Sätze | |
kurz abwägt und sie dann mit Nachdruck ausspricht, etwas anderes: „Hier | |
gibt es keinen Stunk.“ Wer Ärger macht, fliegt, da kennt er keine | |
Diskussionen. Meistens kommt es aber gar nicht erst soweit, denn Hasucha | |
kennt seine Pappenheimer, sagt er, „’ne große Familie is dit hier.“ | |
Da kommt Zustimmung von den anderen Tischen: „Man kennt sich doch seit | |
Jahrzehnten“, sagt eine Frau, „jeder hilft sich hier gegenseitig.“ Umzüge | |
würden gemeinsam gestemmt, wenn jemand ein paar Tage nicht auftauche, | |
schaue einer von den anderen vorbei, ob auch alles in Ordnung sei – kam | |
auch schon vor, dass dem nicht so war. Im Sommer werde manchmal gemeinsam | |
gegrillt, wenn jemand seinen Kleingarten zur Verfügung stelle, meistens | |
aber trifft man sich hier: Jeden zweiten Tag sei er hier, sagt der Mann am | |
Nebentisch, viele noch öfter. | |
Bei vielen ersetzt die Kneipengemeinschaft, was sonst an Familie fehlt. Das | |
gilt auch an Heiligabend, und deswegen hat Hasucha sich für diesen Tag | |
etwas besonderes ausgedacht: Jedes Jahr schließt er am Nachmittag für exakt | |
drei Stunden die Kneipe zu und geht mit zehn Stammgästen Essen, ein paar | |
hundert Meter weiter in der Villa Rixdorf, auf seine Rechnung. Die Runde | |
stellt er vorher zusammen: „Männer wie Frauen, aber nur Junggesellen, wer | |
sich verlobt oder sonst was, den lad ich nicht mehr ein.“ Seit zwanzig | |
Jahren macht er das so, viele sind schon lange dabei, andere kommen in | |
diesem Jahr zum ersten Mal dazu. | |
Um Punkt 18 Uhr geht es dann zurück in die Kindl-Klause, darauf würden | |
viele der übrigen Gäste schon warten. „Heiligabend ist hier immer gut | |
Betrieb, das denkste gar nicht, wie viele da kommen.“ Auch diejenigen, die | |
erst noch mit Familie oder Freunden feiern, kämen später am Abend oft zu | |
ihm. | |
„Es gibt eben viel Einsamkeit in so einer Stadt“, sagt die Frau vom | |
Nebentisch und klopft ihre Zigarette ab. „Da brauchste solche Orte, wo du | |
’ne andere Familie finden kannst.“ Zustimmendes Nicken und das nächste | |
Bier, Berliner Kindl natürlich, dem hier nur von einem anderen Getränk der | |
Rang abgelaufen wird: Goldkrone gehe weg wie nüscht, sagt Hasucha, gerne | |
mit Cola als Futschi, für 20 Euro gibt es die ganze Flasche und Cola oder | |
Fanta dazu „bis zum Abwinken.“ | |
## „Punks sind gemütlich“ | |
Über Politik würde in der Klause nicht viel gesprochen, sagt Hasucha. Er | |
selbst wählt seit 30 Jahren CDU, aus Gewohnheit, mit der AfD brauche man | |
ihm nicht zu kommen, und wenn hier ein Nazi auftauchen würde, würde er ihn | |
rausschmeißen. „Punks können bleiben, die sind gemütlich.“ | |
Viel verdienen würden seine Angestellten nicht, aber einmal im Jahr fahren | |
sie zusammen in den Urlaub, auf seine Kosten, zwei Wochen lang. Fast immer | |
in die Türkei, er würde ja gerne auch mal nach Norwegen, „in den Bergen | |
kraxeln“, aber das mache der Rest nicht mit. „Die Türken“ seien schon in | |
Ordnung, auch wenn ihm nicht gefällt, was aus der Karl-Marx-Straße geworden | |
ist: „Früher war das mal die viertbeste Einkaufsmeile Berlins!“ | |
Die Kindl-Klause will Hasucha noch so lange betreiben, wie er und seine | |
Belegschaft es mitmachen. Was danach kommt, ist ihm egal, sagt er: „Ich | |
verschenk den Laden auch, wenn sich wer geeignetes findet.“ Bis dahin aber | |
hat die Kindl-Klause geöffnet, jeden Tag von 11 Uhr vormittags bis zum | |
letzten Gast – außer an Heiligabend zwischen drei und sechs. | |
25 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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