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# taz.de -- Die Wahrheit: Der wahre Messias
> Die Wahrheit-Weihnachtsgeschichte: Wie einst Kurt Christus in die Welt
> kam und seinem Bruder Jesus das Leben als Guru schwer machte.
Als es sich begab, dass bald nach Jesu Christi Geburt ein andächtiges
Raunen durch die drei Weisen aus dem Morgenland ging, als nicht nur alle
Engel und Hirten fromme Gesänge anstimmten, sondern auch alle Schafe,
Kamele, Hirtenhunde und Stallkatzen mitsummten, als der große
Weihnachtsstern, der doch all diese guten Menschen und Tiere erst zu dem
freudigen Ereignis geführt hatte, so hell leuchtete, wie er nur konnte, und
schützend und glänzend über dem alten Stall hing, als endlich der kräftige
und heilsversprechende Schrei des niedlichen gelockten Neugeborenen aus der
Krippe drang und Maria Christus und Josef Christus in Tränen des Glücks
ausbrachen, als dann die gütige und fürsorgliche Mutter zuletzt den
Säugling Jesus aus dem Stroh hob, um das Kind all den Huldigenden zu zeigen
– da warfen sich der Ochse und der Esel einen Blick zu. Einen Blick der
nicht mehr und nicht weniger besagte als: „Au weiha!“
Denn die beiden liebenswerten Gesellen hatten eine ungeheuerliche
Beobachtung gemacht, und ihnen schwante nichts Gutes: Kurt Christus war
genau zweieinhalb Minuten vor Jesus Christus auf die Welt gekommen und
hatte schon bei seinem ersten Atemzug ein so ungezogenes Gebaren an den Tag
gelegt, dass die Eltern Christi ihn schnell, bevor noch irgendwer etwas
davon mitbekommen konnte, hinter einem Heuhaufen versteckten.
Hastig nahmen die frischgebackenen Eltern die Geschenke entgegen und sanken
erleichtert ins Stroh, nachdem die Gäste endlich wieder abgerauscht waren.
Ihr Zweitgeborener Jesus war also der Messias, wie sie soeben erfahren
hatten. Und für den Erstgeborenen Kurt würde man schon auch irgendetwas
Tolles finden, sobald sich dieses Brimborium um Jesus mal gelegt hätte.
## Ordentliche Tischlerlehre
Die Knaben, die einander wie aus dem Gesicht geschnitten waren, wuchsen
heran. Jesus machte eine ordentliche Tischlerlehre, und Kurt trieb sich zum
Leidwesen seiner Eltern lieber in zwielichtigen Gassen herum. Ihn zog es zu
Hütchenspielern, leichten Mädchen und Zauberkünstlern.
Als die Knaben zu Männern reiften und Jesus die seriöse Laufbahn eines
erfolgreichen Gurus einschlug, indem er das Gottesreich verkündigte und mit
vielen hübschen Gleichnissen ein verzücktes Publikum anlockte, das bald
ganze Tempel und Berge füllte, eröffnete Kurt eine düstere Spelunke namens
„Himmelreich“. Das „Himmelreich“ lag in einem anrüchigen und verrufenen
Viertel, und es trieben sich nur Spitzbuben, Bösewichte, Schurken,
Weihrauch-Dealer und Halunken dort herum.
Während Jesus stets schon früh am Morgen frisch gewaschen den lieben Eltern
ein paar Stunden zur Hand ging, um spätestens ab Punkt elf Uhr mit seinen
zwölf Aposteln durch das Land ziehen und seine Lehre verkündigen zu können,
schlief Kurt immer bis mindestens um ein Uhr mittags – denn er war im
„Himmelreich“ selbst sein bester Gast. Auch war er etwas wasserscheu und
roch meistens ein bisschen ranzig.
Es kam, wie es kommen musste: Das „Himmelreich“ verkam mehr und mehr, und
bald konnte Kurt dem grobschlächtigen Vermieter die Pacht nicht mehr
bezahlen und er tauchte unter. Was nun? Kein Geld, extrem arbeitsscheu und
nix Vernünftiges gelernt! Doch Kurt Christus wäre nicht Kurt Christus
gewesen, wenn ihm nicht schon bald eine clevere Idee gekommen wäre: Der
Messias hatte schon eine recht ordentliche Anhängerschaft angesammelt, die
alles tat, was er wollte. Und Kurt könnte nach einem ausgiebigen Bad und
mit einem frischen Hemd gut selbst als Jesus durchgehen …
## Schmieriger Saufkumpan
Kurt besprach sich mit Lazarus, einem schmierigen alten Saufkumpanen aus
dem „Himmelreich“, und bald hatten die beiden Lumpenhunde einen
raffinierten Plan ausgeheckt. Fortan zogen auch sie durch die Lande.
Lazarus, der immer etwas früher als Kurt in eines der Dörfer kam, gab stets
einen stinkreichen Reisenden, der angeblich auf Brautschau war und
behauptete, für das schönste Mädchen des Dorfes fünfzig Ochsen schlachten
zu lassen. Kaum waren genug Familien beisammen, griff er sich theatralisch
zuerst an die Gurgel und dann ans Herz, er krächzte „Uuuurrrghs!“ und
„Krochnorx schrksz“, um dann wie ein Stein zu Boden zu stürzen und sich tot
zu stellen …
Wie durch Zufall tauchte kurz danach Kurt auf, stellte sich als Jesus
Christus, der Messias, vor und rief: „Lazarus, steh auf, steh auf und
gehe!“ Und Lazarus stand tatsächlich auf und ging erst mühevoll, alsbald
freudig tänzelnd ein paar Schritte. Na, das war jedes Mal ein Hallo! Danach
verkaufte Kurt den Eingeborenen grünlich-gelbe Fläschchen mit angeblich
geweihtem Wasser, das Tote wieder lebendig machen könne – und schließlich
suchten beide schleunigst das Weite.
## Unheiliges Treibe
Das ging ein Weilchen gut, aber es blieb nicht aus, dass der echte Jesus
bald von diesem unheiligen Treiben seines Bruders Wind bekam. Zunächst
zürnte er, doch dann kam ihm eine Idee: Da er durch seine nassforschen
Predigten gerade selbst ein bisschen mit dem Gesetz auf Kriegsfuß stand,
wollte er sich nun seinerseits die Ähnlichkeit mit seinem Zwillingsbruder
zu Nutzen machen. Seine zwölf Apostel fanden schnell heraus, wo sich Kurt
und Lazarus gerade herumtrieben. Jesus schickte sofort seinen Liebling
Judas zu den Römern. Judas sollte den Römern erzählen, er wolle sie zu
Jesus führen. Doch stattdessen führte er die Häscher zum Zwilling Kurt. Und
der Plan ging auf. So kam es, dass nicht Jesus Christus, sondern Kurt
Christus ans Kreuz genagelt wurde. Lazarus indessen wurde später von einem
aufgebrachten Mob für seine Betrügereien am höchsten Baum von Judäa
aufgeknüpft.
Jesus Christus aber ließ sich drei Tage nach dem grausamen Tod seines
Bruders hier und da noch gezielt ein paar Mal blicken, um die Legende der
Auferstehung anzuschieben. Bis heute lebt er ein beschauliches Leben mit
vielen Kindlein und seiner netten Frau Maria Magdalena im Untergrund.
Wenn aber so mancher glaubt, dass der Messias eines Tages zurückkehren
wird, um wieder auf Erden zu wandeln, dann wird er eine große Enttäuschung
erfahren. Für dieses stressige Dasein ist der saubere Jesus nämlich im
Gegensatz zu seinem rauborstigen Bruder Kurt einfach nicht geschaffen.
23 Dec 2017
## AUTOREN
Corinna Stegemann
## TAGS
Weihnachten
Groteske
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Bonn
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