Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berühmte Gänse: Nils Holgersson soll leben!
> Die Gans gehört nicht auf den Teller, sondern bewundert: Im Film, in der
> Literatur oder als Publikum für einsame Musiker. Eine Ehrerbietung.
Bild: Gänserich „Schröder“ (l.), ehemals Doretta, schnattert neben „Fra…
Aus Sicht der Gänse ist Weihnachten ein „schwarzer Schwan“ im Sinne des
Wirtschaftsjournalisten Nassim Taleb: ein unvorhersehbares Ereignis. Sie
werden das Jahr über gut gefüttert und dann sozusagen aus heiterem Himmel
geschlachtet.
Außer, ein noch unvorhersehbareres Ereignis kommt dazwischen. Etwa ein
Kind, das der Gans das Leben rettet – repräsentativ für alle anderen. So
war es bei der Stieftochter Klara des Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der
es im Jahr 2000 gelang, dass seine Weihnachtsgans Doretta „begnadigt“
wurde. Doretta kam dann zurück in eine LPG, und das Kanzleramt überwies ihr
regelmäßig Futtergeld.
Als Schröder abgewählt wurde, war damit jedoch Schluss, woraufhin Doretta
in den Streichelzoo eines Seniorenpflegeheims gegeben wurde. Inzwischen
hatte man herausgefunden, dass Doretta ein Ganter war, weswegen man sie in
„Schröder“ umtaufte und mit einer Gans verkuppelte, die „Angela“ hieß…
starb Schröder an einem Lebertumor. Er wurde nur acht Jahre alt. Dabei
können Hausgänse über 40 Jahre alt werden.
Sat.1 drehte sogar einen Film über Dorettas Fall: „Rettet die
Weihnachtsgans“. 1988 hatte bereits die Defa das Leben einer Weihnachtsgans
verfilmt, die ebenfalls von Kindern gerettet wurde: Auguste. Der Spielfilm
hat keine reale Gans als Vorbild, sondern basiert auf einem Märchen des
Schriftstellers Friedrich Wolf. Darin wird eine Gans von einem Ehepaar
gekauft, deren Kinder dann ihre Schlachtung verhindern. Weil man schon
angefangen hatte, sie zu rupfen, darf Auguste sogar bei ihnen unterm
Federbett schlafen. Außerdem bekommt sie einen Pullover, damit der Sohn mit
ihr in der Stadt spazieren gehen kann.
Eine weitere Gans, die in die Literatur Eingang fand, war die „Gans Nummer
5“ des schwedischen Tierfotografen und Schriftstellers Bengt Berg. Er lebte
an der südschwedischen Küste und hatte dort 1926 sechs Gänseeier von einer
Pute ausbrüten lassen. Als die Küken schlüpften, beringte er sie – mit
Zahlen. Die Nummer 5 war die „kleinste, zarteste und schüchternste“,
deswegen kümmerte sich Berg besonders um sie. Sie konnte bald, wie ihre
fünf Geschwister, fliegen, zog es zur Vorweihnachtszeit jedoch vor, nicht
in den Süden zu ziehen, sondern in Südschweden zu bleiben – auf dem Eis in
der Bucht vor Bergs Haus, wo sie sich „eifersüchtig von einem großen
kanadischen Gänserich bewachen ließ“, der nicht fliegen konnte.
## Ein Nebenbuhler
Irgendwann flog die Gans Nummer 5 jedoch mit einem „jungen Graugänserich“
herum. Dieser durfte dem Kanadaganter nicht zu nahe kommen, also waren die
beiden nur zusammen, wenn sie aus der Bucht herausflog. Ihr Nest baute die
Gans Nummer 5 dann aber innerhalb der Bucht auf einer Schäre. Dort bewachte
der alte Kanadaganter das Gelege. Er war wiederholt der Vater ihrer Jungen,
die, sobald sie fliegen konnten, wiederum von ihrem Liebhaber behütet
wurden.
Als die Gans Nummer 5 beschloss, mit ihren Jungen über Weihnachten in der
Bucht zu bleiben, flog auch der Grauganter nicht mehr in den Süden. So
hatte sie das ganze Jahr über einen Ganter für den Boden und die Aufzucht
ihrer Jungen und einen Ganter in der Luft für den Spaß.
Auf einem Bauernhof in Süddeutschland hingegen werden zu Weihnachten Ganter
und Gans getrennt, wie ein Tierarzt im Internet berichtet. Es handelt sich
dabei um eine „außergewöhnliche Gans“ namens Frieda: Vier Jahre zuvor war
sie von der Bäuerin großgezogen worden. Diese holt Frieda morgens aus dem
Gänsestall und nimmt sie mit in die Küche, wo die Gans etwas zu fressen
bekommt. Danach geht Frieda in den ersten Stock und weckt die Kinder, die
zur Schule müssen, anschließend legt sie sich neben den Hund und schläft
zwei Stunden. Dann frisst sie noch einmal und macht einen Rundgang auf dem
Hof.
## Frieda liebt Betten
Am Gänsehaus begrüßt sie ihren Ganter. Es ist schon der dritte, denn die
Ganter werden hier zu Weihnachten geschlachtet. Anschließend scheucht sie
die Hühner herum. Wenn der Bauer mit dem Traktor in der Nähe ist, fährt sie
bei ihm mit. Danach geht sie wieder ins Haus, wo sie versucht, sich in
eines der Schlafzimmer zu verdrücken. „Sie liebt Betten.“ Und wenn man sie
aus dem Bett schmeißt, wird sie wütend. Beleidigt verlässt sie dann das
Haus und verzieht sich für die Nacht zu ihrem aktuellen Ganter. So sieht
der Tagesablauf von Frieda aus, schreibt der Tierarzt.
Als einige Freunde und ich in den siebziger Jahren einen Resthof
anmieteten, schafften wir uns auch Gänse an: Die sechs weißen Hausgänse
führten ein autonomes Leben. Sie erkundeten tagsüber langsam und bedächtig
das Dorf und die Wiesen drum herum und badeten im Dorfteich, meist hielten
sie sich aber auf unserer Streuobstwiese auf, abends gingen sie in den
Hühnerstall, wo sie gefüttert wurden.
An den Wochenenden besuchte uns oft ein Musiker. Mit seiner Konzertgitarre
setzte er sich auf den Hofplatz. Während er leise anfing zu spielen, kamen
die Gänse. Fast atemlos gruppierten sie sich im Halbkreis um ihn herum –
die Hälse vorgestreckt. Ab und zu zogen sie sie zurück, steckten die Köpfe
zusammen und zischelten leise. Danach streckten sie die Hälse wieder vor
und hörten weiter schweigend zu.
Das war auf unserem Hof auch die einzige Funktion, die sie hatten: dass sie
den Musiker als ebenso dankbares wie aufmerksames Publikum bei Laune
hielten. Er hatte sonst keine Auftritte. Und wir gingen nicht so weit, die
Gänse zu schlachten. Wir hatten alle als Kinder „Die wunderbare Reise des
kleinen Nils Holgersson“ (mit den Wildgänsen) gelesen und empfanden unsere
sechs als eine besonders angenehme Gesellschaft.
25 Dec 2017
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Gänse
Schröder
Tiere
Biologie
Jagd
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Paaren und Mehren
Biologie und Komik: die lustige Tierwelt und ihre ernsthafte Erforschung
(12). Diesmal mit Wesen, die es animalisch treiben.
Die Wahrheit: Duzen mit Gänsen
Biologie und Komik: Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung –
heute mit zutiefst liberalem Federvieh (8).
Neue Regeln für die Jagd: Gänseballern im Weltnaturerbe
Niedersachsens neue Jagdschutzverordnung erlaubt die Jagd auf Gänse im
Naturschutzgebiet. Naturschützer und Jäger sind sich einig, dass das Unfug
ist.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.