# taz.de -- EU-Gesetz gegen gefährliche Ackergifte: Giftkrimi in Brüssel | |
> Die Industrie hat ein Gesetz gegen Chemikalien jahrelang verschleppt – | |
> nun soll es kommen. Die Umweltverbände bleiben unzufrieden. | |
Bild: Ein Bauer verspritzt Ackergift, womöglich enthält es „endokrine Disru… | |
Berlin taz | Sucht gerade jemand Stoff für eine Politserie à la „House of | |
Cards“? Hier ist welcher: Seit neun Jahren arbeiten in Europa Politiker, | |
Manager, Lobbyisten und Beamte an einem Gesetz für gefährliche Chemikalien, | |
die in Ackergiften gegen Insekten, Pilze oder Mäuse enthalten sind. | |
Die Einflussnahme der Industrie auf den Gesetzgebungsprozess ist legendär: | |
Auch auf Druck des deutschen Chemiekonzerns Bayer CropScience wurde der | |
Gesetzgebungsprozess jahrelang verschleppt. Beteiligte EU-Behörden waren | |
industrienah besetzt, die kritische Generaldirektion Umwelt verlor die | |
Führungsrolle in dem Prozess. | |
Jetzt kommen die Verhandlungen zum Ende, am Dienstag könnte der zuständige | |
EU-Ausschuss den Anhang der Verordnung 1107/2009 verabschieden. Der spröde | |
Text definiert, welche Chemikalie als „endokriner Disruptor“ (EDC) | |
eingeordnet – und damit perspektivisch verboten wird. | |
Diese Definition ist nicht so einfach, denn endokrine Disruptoren sind | |
keine Gruppe bestimmter Substanzen, sondern bezeichnen ganz | |
unterschiedliche Chemikalien. Sie haben nur eines gemeinsam: Sie greifen in | |
das Hormonsystem von Menschen und Tieren ein, können diverse Krebsarten | |
auslösen sowie Verhaltensauffälligkeiten und Fortpflanzungsstörungen. | |
## Auch Glyphosat steht im Verdacht | |
Unter den Disruptoren sind alte Bekannte: etwa die in Europa weitgehend | |
verbotenen Stoffe Nonylphenol und Bisphenol A, die in Waschmitteln oder als | |
Weichmacher eingesetzt oder in importierten Textilien gefunden werden. Auch | |
der Unkrautvernichter Glyphosat steht im Verdacht, als eine dieser | |
gefährlichen Substanzen in den Hormonhaushalt einzugreifen. | |
Die Kriterien, nach denen die EU die Stoffe künftig identifizieren will, | |
sind Verbraucher- und Umweltverbänden nicht gut genug. „Die Beweislast, | |
dass ein Pestizid ein EDC ist, ist zu groß“, sagt Angeliki Lysimachou, die | |
für das „Pestizid Aktions Netzwerk“ PAN Europe seit Jahren den Prozess | |
verfolgt. Menschen und die Umwelt würden weiterhin gefährlichen Chemikalien | |
ausgesetzt, weil ihre Wirkungsweise nicht bekannt sei. | |
So werde das Vorsorgeprinzip ausgehebelt, moniert Alexandra Caterbow von | |
der Umweltorganisation HEJSupport. „Es ist nahezu unmöglich, anhand dieser | |
Kriterien endokrine Disruptoren zu identifizieren“, sagt Caterbow, | |
„außerdem ist das Verfahren langwierig.“ | |
Doch auch die Industrie ist keineswegs begeistert. „Die Kriterien für | |
endokrine Disruptoren werden dazu führen, dass Landwirten deutlich weniger | |
Pflanzenschutzwirkstoffe zur Verfügung stehen werden“, sagt Martin May, | |
Geschäftsführer des Industrieverbandes Agrar. Die meisten Verluste werde es | |
bei den Fungiziden, also Giften gegen Pilze, geben. Im jüngsten | |
Kommissionsvorschlag seien sinnvolle Ausnahmen für | |
Insekten-Wachstumsregulatoren wieder gestrichen worden, kritisiert May. | |
## Welche Studien sind nötig, wer zahlt? | |
Das sieht der grüne Europa-Parlamentarier Martin Häusling anders: „Am | |
Anfang gab es den glasklaren Willen, diese gefährlichen Chemikalien | |
wirklich einzudämmen“ sagt Häusling, „jetzt werden die Kriterien der | |
Verordnung wohl nur fünf der vielen, vielen vorliegenden Stoffe betreffen.“ | |
Das Parlament hatte im Herbst noch einmal Zähne gezeigt und das Gesetz der | |
Kommission abgelehnt. „Jetzt ist unser Spielraum ausgeschöpft, | |
Nachbesserungen von der EU-Kommission einzufordern“, sagt Häusling. | |
Nun kommt es auf die Regierungen der Mitgliedstaaten an. Denn ist das | |
Gesetz verabschiedet, handeln sie mit der Kommission aus, wie das Gesetz | |
konkret umgesetzt wird. „Darauf muss jetzt auch unser Fokus liegen“, sagt | |
Lysimachou von der Umweltorganisation PAN Europe. Welche Studien sind | |
nötig, um die Gefährlichkeit eines endokrinen Disruptors nachzuweisen? Wer | |
muss sie bezahlen? Darum geht es. | |
Das Parlament darf hier nicht mehr mitreden. Genug Stoff also für die | |
nächste Staffel im Krimi über die Regulierung der endokrinen Disruptoren. | |
12 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
## TAGS | |
Chemikalien | |
Schwerpunkt Glyphosat | |
Schwerpunkt Glyphosat | |
Schwerpunkt Pestizide | |
Jean-Claude Juncker | |
Chemikalien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Frankreich gegen wichtigstes Pestizid: EU soll Glyphosat-Ausstieg planen | |
Die französische Regierung und andere fordern von der EU-Kommission ein | |
Konzept für das Ende von Glyphosat. Nicht dabei ist Deutschland. | |
Firmen bezahlen „Verbraucherschützer“: Für Glyphosat und Nikotin | |
Das „Consumer Choice Center“ gibt vor, Konsumenten zu vertreten. In | |
Wirklichkeit wird der Verband von Unternehmen finanziert. | |
Neue EU-Regelung zu Bio-Lebensmitteln: Verkaufsstopp bei Pestizidverdacht | |
Wenn ein Biobauer Ackergifte in der Ernte vermutet, muss er künftig die | |
Behörden einschalten. Die Dosis spielt keine Rolle. Das hat die EU | |
vereinbart. | |
Kommentar Ackergifte und Bienensterben: Sind doch nur Insekten? | |
Jean-Claude Juncker findet Pestizid-Verbote unwichtig – die EU habe | |
„Größeres“ zu tun. Dabei sind Artenschutz und der Erhalt von Biodervisit�… | |
ein Megathema. | |
Endokrine Disruptoren: Unaussprechlich und gefährlich | |
Die EU-Kommission nennt Kriterien für Chemikalien, die das Hormonsystem | |
angreifen können. Sie schraubt die Hürden für eine Regulierung hoch. |