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# taz.de -- Prozess gegen HDP-Chef Demirtas: Staatsanwalt fordert 142 Jahre Kna…
> Nun beginnt der Prozess gegen den Chef der Kurdenpartein HDP, Selahattin
> Demirtas. Persönlich im Gericht erscheinen darf er nicht.
Bild: Demonstration von Unterstützern des HDP-Chefs Selahattin Demirtas in Ist…
Berlin taz | „Unser Hof im Gefängnis ähnelt einem Betonbrunnen. Er ist vier
Meter breit, acht Meter lang und hat hohe Betonmauern. Man wird dort nicht
fertig mit dem Laufen“.
Die Beschreibung des Gefängnishofes, in dem man läuft ohne je irgendwo
anzukommen, ist Teil mehrerer Kurzgeschichten, die im September in der
Türkei in einem schmalen Band erschienen. Autor ist der seit nunmehr über
einem Jahr in Untersuchungshaft sitzende 44 Jahre alte Vorsitzende der
kurdisch-linken Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas. Seine
Kurzgeschichten wurden zu einem Bestseller und seine Twitter-Mitteilungen,
die er mit Hilfe seines Anwalts absetzt, haben 1,5 Millionen Follower.
Wenn Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit der Verhaftung von Demirtas
geglaubt hatte, diesen mundtot zu machen, hat er sich getäuscht. An diesem
Donnerstag, wenn sein Prozess beginnt, sitzt er seit 400 Tagen im
Gefängnis.
Doch bei seinen Anhängern ist er nach wie vor so präsent und populär, dass
die Justiz auf Anweisung der Regierung ihm selbst einen persönlichen
Auftritt im Gerichtssaal verweigert und den derzeit prominentesten
politischen Gefangenen des Landes nur per Videoeinspielung im Prozess
zulassen will.
## Reden und Interviews
Selahattin Demirtas sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis in Edirne, an
der Grenze zu Bulgarien, so weit entfernt wie nur möglich von seiner
Heimatstadt Diyarbakir im Südosten des Landes. Der Prozess findet auf
halbem Weg zwischen Edirne und Diyarbakir, in der türkischen Hauptstadt
Ankara statt.
Das weist vielleicht unfreiwillig daraufhin hin, dass mit Demirtas ein
Politiker abgeurteilt werden soll, dem man zwar die Mitgliedschaft in der
kurdischen Guerilla PKK und sogar die Gründung und Leitung einer eigenen
Terrororganisation vorwirft, von dem tatsächlich aber nur Reden und
Interviews eines Parlamentariers die Anklageakte füllen. Auf 501 Seiten
findet sich nach Aussage seines Anwalts Mahsuni Karaman nicht der kleinste
Beweis für „terroristische Propaganda oder gar terroristische Taten“ seines
Mandanten.
Obwohl die Anklage aus 31 Dossiers, die von unterschiedlichen
Staatsanwälten erstellt wurden, zusammengefasst ist, konzentriert sich die
Staatsanwaltschaft auf einen Punkt: Im Herbst 2014 hinderten türkische
Panzer an der Grenze zu Syrien Kurden aus der Türkei daran, ihren syrischen
Verwandten, die in Kobane gegen den IS um ihr Leben kämpften zu Hilfe zu
kommen. Demirtas hatte zu Demonstrationen aufgerufen, in deren Verlauf es
zu Ausschreitungen mit mehreren Toten kam. Präsident Erdogan machte schon
damals Demirtas persönlich dafür verantwortlich.
Die tatsächliche Gefahr, die für Erdogan von Demirtas ausging, war und ist
dagegen rein politischer Natur. Demirtas hat die kurdische Bewegung
politisch so erfolgreich gemacht, dass es ihr im Juni 2015 erstmals in der
Geschichte der Türkischen Republik gelang, mit 12 Prozent Wählerstimmen ins
Parlament einzuziehen.
## Keine klare Linie
Erdogans AKP verlor damals ihre absolute Mehrheit und Erdogan wusste, dass,
solange ihm Demirtas im Weg stehen würde, er keine Chance hätte, seine
Präsidialverfassung durchs Parlament zu bekommen. Das ist der Grund, warum
Demirtas und zwölf weitere Abgeordnete der HDP jetzt angeklagt sind und
nach dem Willen der Ankläger für viele Jahre im Gefängnis verschwinden
sollen.
Aus den 31 Einzelverfahren summieren sich bei Demirtas 142 Jahre Gefängnis,
die die Staatsanwaltschaft nun einfordert. Bei den anderen Angeklagten ist
es etwas weniger, aber bei allen lang genug, damit sie nie mehr aktiv ins
politische Geschehen eingreifen können, sollte das Gericht den Anklagen
folgen und sie tatsächlich ihre Strafen absitzen müssten.
Für die kurdische Bewegung ist das ein Desaster. Schon jetzt macht sich das
Fehlen der wichtigsten Köpfe der Partei schmerzhaft bemerkbar. Es fehlt
eine klare Linie, ob man sich im Parlament und an Wahlen noch beteiligen
soll oder sich der „Demokratiefassade“ nicht lieber ganz verweigert.
Zudem zerschlägt die Regierung auch die lokalen Strukturen der Partei. Von
102 Bürgermeistern, die die HDP in den kurdischen Gebieten gestellt hat,
sind nur noch acht im Amt. Alle anderen wurden zwangsweise abgesetzt und
durch Staatskommissare ersetzt, viele von ihnen sind ebenfalls in Haft. Für
die Kurden in der Türkei, so scheint es, hat sich der kurze Frühling der
Demokratie bereits wieder erledigt.
7 Dec 2017
## AUTOREN
Wolf Wittenfeld
## TAGS
Opposition in der Türkei
HDP
Selahattin Demirtas
Recep Tayyip Erdoğan
Selahattin Demirtas
Recep Tayyip Erdoğan
Schwerpunkt Deniz Yücel
Melih Gökçek
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