| # taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Mach es wie die Armbanduhr … | |
| > In der Evolution der Dinge sind mechanische Uhren wie Dinosaurier. Doch | |
| > anstatt auszusterben, zählen sie als Luxusgüter. Was lernen wir daraus? | |
| Bild: Uhrmacher, ein Beruf mit Zukunft! | |
| Wer hat’s erfunden? Die Schweizer. Dort wurde im Herbst eine neue | |
| mechanische Armbanduhr vorgestellt. Sie gilt als revolutionär, denn sie | |
| zeigt 25 Stunden … nee, Scherz. Aber das mit der neuen Uhr, das stimmt | |
| wirklich. [1][Die „Defy Lab“ von Zenith] soll das genaueste Uhrwerk aller | |
| Zeiten haben und rühmt sich mit der ersten grundlegenden Überarbeitung des | |
| Inneren einer mechanischen Uhr seit 375 Jahren. | |
| Die Defy Lab hat nämlich keine Unruh mehr. Dafür [Technik-Babbel: on] einen | |
| Gangregler aus monokristallinem Silizium, der unempfindlich gegenüber | |
| Temperaturschwankungen und Magnetfeldern ist, ihr Gehäuse besteht aus dem | |
| superleichten Aluminium-Composite Aeronith [/Technik-Babbel: off]. Nur zehn | |
| Exemplare wurden bisher gefertigt, für jeweils knapp 30.000 Franken. Sie | |
| wurden alle verkauft. | |
| Nun fragt man sich: Was soll der Quatsch? Dass es mechanische Uhren | |
| überhaupt noch gibt, scheint wie ein Ding-evolutorisches Missverständnis. | |
| Uhren haben nur eine Aufgabe: Sie sollen zuverlässig die Zeit anzeigen. | |
| Daran kann man rumoptimieren, klar. Aber seit dem Durchbruch der Quarzuhren | |
| machen sie ihren Job gut genug, um 99,9 Prozent aller Konsumenten zu | |
| befriedigen. Und das nicht für 30.000 Franken, sondern für eine Handvoll. | |
| Was damals passierte, heißt je nach Perspektive [2][„Quarzrevolution“ oder | |
| „Quarzkrise“]. Ende der 1960er-Jahre konnten, dank verbesserter | |
| Halbleitertechnologie, erstmals Quarzoszillatoren in handelsüblichen Uhren | |
| verbaut werden. Deren Preise sanken innerhalb eines Jahrzehnts von „der | |
| Preis eines Kleinwagens-über „so teuer wie 25 Liter Milch“- auf | |
| „Werbegeschenk bei der Sparkasse“-Niveau. | |
| Die Dummen waren die Hersteller, die nicht auf diesen Wandel vorbereitet | |
| waren. Und das waren fast alle europäischen. In Asien erblühte die | |
| Uhrenproduktion, im Schwarzwald brach sie zusammen. Von 32.000 | |
| Arbeitsplätzen im Jahr 1970 sind heute noch rund 1.000 übrig. In der | |
| Schweiz sanken die Beschäftigtenzahlen von 90.000 (1970) auf 28.000 (1988). | |
| ## Ein Modell für die taz? | |
| Seitdem bräuchte die Welt keine mechanischen Uhren mehr, aber, von wegen: | |
| Es gibt nicht nur welche, sie sind auch noch richtig teuer. Warum? Weil sie | |
| überflüssig und selten geworden sind. Und Überflüssiges ist zwar meistens | |
| Müll, kann aber auch Luxus sein. Man muss es nur richtig vermarkten. | |
| Davon können sich auch für die Betroffenen anderer digitaler Revolutionen | |
| eine Scheibe abschneiden. Verstanden hat die Sache mit der Verknappung der | |
| Wu-Tang Clan, [3][der 2014 sein Album „Once Upon a Time in Shaolin“ genau | |
| einmal herstellte] und dann an den Meistbietenden verkaufte. Erlös: zwei | |
| Millionen Dollar. | |
| Vielleicht ist das ja auch ein Modell für die taz. Statt dauernd neue | |
| Abonnenten zu werben, sollten wir lieber welche rausschmeißen. Statt 50.000 | |
| Zeitungen für 1,60 Euro sollten wir lieber 50 Zeitungen für 3.000 Euro | |
| verkaufen, mit handgeschriebenen Artikeln, vom Boten direkt überbracht. | |
| Von der Uhrenindustrie lernen heißt verlieren lernen. Doch von ihren Resten | |
| lernen heißt siegen lernen! | |
| 20 Dec 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://bellevue.nzz.ch/uhren-schmuck/neues-uhrwerk-zenith-defy-lab-zehnmal… | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Quarzkrise | |
| [3] /Das-neue-Album-von-Wu-Tang-Clan/!5045562 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Brake | |
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