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# taz.de -- Umstrittene Banner in Fußballstadien: Die Fankurve und der Anstand
> „Bullenschwein“, „Zigeuner“, „Fotze“: Hertha-Fans diskutieren üb…
> Grenzen des guten Geschmacks bei Spruchbändern.
Bild: Das ist schon ok: Banner beim Spiel Hertha gegen Leipzig im Frühjahr 2017
Eine kleine Frage zur Einstimmung: Fänden Sie, liebe Leser, es in Ordnung,
Rainer Wendt, den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, auf einem
Plakat im Stadion als „Lügner Betrüger Bullenschwein“ zu bezeichnen?
Als LeserIn der taz können Sie damit möglicherweise besser leben als mit
dem Spruch „Zecken Zigeuner Juden“, den Energie-Cottbus-Anhänger gegen die
traditionell linken Fans des SV Babelsberg richteten. Oder ist beides freie
Kunst und damit legitim? Und wie sieht es mit Humor aus? „Hertha-Treff am
Knabenstrich, alte Liebe rostet nicht“, schrieben Union-Fans gegen die
Anhänger von Hertha BSC. Lustig? Homophob?
Der Fußball hat seine Political-Correctness-Diskussion bekommen. Verspätet
und nicht ganz so verbissen wie in der Kunstszene oder an amerikanischen
Colleges, aber dafür weitaus interessanter. Denn bei einem Verein wie
Hertha BSC redet die breite Masse mit, keine Intellektuellen in einer
Blase. Das macht es repräsentativer, offener.
Zuletzt gab es im Verein viel kontroverse Diskussion um zwei Plakate, auf
denen eine Hertha-Fangruppe die Opfer der Kölner Silvesternacht verhöhnte:
„Domplatte for One“ und „Selbst an Silvester tanzt eure Schwester alleine…
beim Spiel gegen Köln.
„Wo liegt die Grenze des guten Geschmacks?“, fragte aus diesem Anlass die
noch recht neue und sehr engagierte Initiative „Hertha für Alle“. Und ließ
Fans darüber Ende November im Haus der Fußballkulturen in der Pankower
Cantianstraße bei einem Themenabend diskutieren und abstimmen. Etwa 30
Interessierte fanden sich ein, davon 20 Prozent Frauen.
Dafür gab es rote, gelbe und grüne Karte zur Bewertung von Sprüchen, von
„Völlig okay“ bis „Geht gar nicht“. Es ging um moralische und rechtlic…
Grenzen von Plakaten, um Parallelen zwischen Spruchband-Duellen und Battle
Rap, und die Frage, ab wann es problematisch wird, Dritte mit reinzuziehen.
Schwule, Juden und die Ehre von Schwestern und Ehefrauen, um mal ein paar
der beliebtesten Beispiele zu nennen. Der Fußball versucht damit aktuell,
eine Balance zu finden, wie sie gesellschaftlich fast schon verpasst ist:
zwischen Rücksichtnahme und Freiheit.
Viel hat sich an der Diskussion in Fankurven geändert, und vieles zum
Besseren. Rechtsextreme Plakate wie „Endsieg“ oder „Zyklon B“ , die in …
Neunzigern laut Anhängern völlig unbehelligt in der Hertha-Kurve hingen,
wären heute kaum vorstellbar.
Mittlerweile sind DFB und Vereine erheblich sensibler geworden, und auch
Fanszenen und Medien regen sich schnell über ein Plakat auf. Fankultur aber
lebt von ihrer Freiheit, ihrer unbequemen Unangepasstheit. Provokation ist
Teil der Subkultur. Es wäre gefährlich, jede Erwähnung von „Fotze“ oder
„Knabenstrich“ zur Diskriminierung einer Minderheit zu stilisieren; jede
Schärfe, jeden Humor zu nehmen.
Zu differenzieren wäre, ob tatsächlich Minderheiten direkt angegriffen
werden – oder Fans sich gegenseitig beleidigen. Ein bisschen geschmackliche
Grauzone kann man schon aushalten.
Wie viel die Geschmacksfrage mit der eigenen Sozialisation zu tun hat,
wurde auch bei der Diskussion unter Herthanern deutlich. Einige Hertha-Fans
hatten sich schon nach dem Spiel gegen Köln im Herbst kritisch zu den
Silvester-Plakaten geäußert. Die Herthaner beim „Hertha für Alle“-Treff
zeigten dem Silvester-Spruchband fast durchweg Gelb und Rot.
Das sagt aber wohl mehr über die Klientel, die an den Diskussionen über
solche Spruchbänder teilnimmt, als über die Mehrheit in der Kurve. Die für
die Plakate verantwortliche Fangruppe „Harlekins Berlin“ hatte eine
Teilnahme an der Diskussion ausgeschlagen. Die, die auf ihren Plakaten eine
„Alles geht“-Mentalität vertreten und die Empfindlichkeit anderer
kritisieren, wurden plötzlich selbst sehr empfindlich. Schade. Es wäre eine
spannende Diskussion geworden.
Interessante Erkenntnisse gibt es trotzdem: „Hertha für Alle“ hat sich die
Mühe gemacht, eine Online-Umfrage zu Spruchbändern zu erstellen und
detailliert auszuwerten. Über 1.000 Menschen, wohl mehrheitlich
Hertha-Fans, nahmen daran teil. Das Ergebnis: Alle Plakate, die
rechtsextrem oder antisemitisch waren, wurden von der Mehrheit klar
abgelehnt. Persönliche Beleidigungen galten vielen als Grenzfälle. Am
meisten akzeptiert und für viele völlig okay waren Plakate mit
frauenfeindlichem oder sexistischem Kontext – auch das eine vielsagende
Erkenntnis. Aber manches davon nun auch wirklich nicht so wild.
Wo also ist die viel diskutierte Grenze? Sie könnte vielleicht so aussehen:
Überall, wo eine Gruppe direkt diskriminiert wird, ist ein Spruchband nicht
mehr okay. Zum Beispiel ein Plakat, dass sich direkt gegen Schwule oder
Frauen richtet. Wenn Hertha-Fangruppen und ihre Gegenüber sich dagegen
wechselseitig unterstellen, auf den Knabenstrich zu gehen, schwule Väter zu
haben oder gleich Väter, die auf den Knabenstrich gehen (alles reale
Beispiele), ist das ihr Privatvergnügen.
Dabei stehen auch die Medien in der Verantwortung: Oft war zu lesen, „die
Hertha-Fans“ hätten dieses oder jenes unmögliche Plakat verantwortet –
obwohl es sich erkennbar um einzelne Fangruppen, meist die einflussreichen
„Harlekins Berlin“, handelte. Die durchaus heterogene Hertha-Fanszene dafür
in Sippenhaft zu nehmen hilft nicht weiter.
Bei der Umfrage vor Ort mit den gelben, roten und grünen Karten waren sich
die Herthaner übrigens meist einig. Das Spruchband „Zecken Zigeuner Juden“
sah fast durchgängig Rot. Der „Knabenstrich“ changierte irgendwo zwischen
Gelb und Rot. Und „Lügner Betrüger Bullenschwein“ bei Rainer Wendt bekam
ziemlich glatt Grün. Ein etwas weniger homogenes Publikum hätte auch hier
gut getan. Dabei muss ein Plakat ja gar nicht immer beleidigend sein. Nach
der Niederlage in der Europa League gegen Östersund, bei der einige
Herthaner auf der Rückfahrt angeblich einen Elch überfuhren, prangte in der
Ostkurve das Plakat: „Selbst der Elch hat mehr gekämpft als ihr“. Charmant
subversive Kurvenkritik im besten Sinne.
10 Dec 2017
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
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