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# taz.de -- Gifttod vor Kriegsverbrechertribunal: Dramatisches Ende eines Proze…
> Das UN-Tribunal bestätigt in einem Revisionsverfahren Urteile gegen sechs
> Angeklagte aus Bosnien. Einer von ihnen tötet sich – offenbar mit Gift.
Bild: Slobodan Praljak trank während der Urteilsverkündung eine Flüssigkeit,…
Man traute seinen Augen kaum. Unbehelligt von Sicherheitsbeamten oder
Gerichtsdienern zog einer der kroatischen Angeklagten am Mittwoch während
der Urteilsverkündung vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ein
Fläschchen aus der Tasche und rief: „Slobodan Praljak ist kein
Kriegsverbrecher. Ich weise Ihr Urteil zurück!“ Dann trank er das
Fläschchen aus. Darin war offenbar Gift. Die Sitzung musste unterbrochen
werden. Ein paar Stunden später war er tot.
Slobodan Praljak, militärischer Chef der Kroatischen Verteidigungskräfte
(HVO) während des Krieges in Bosnien und Herzegowina, musste mit einer
Bestätigung seiner Haftstrafe (20 Jahre) rechnen. Denn alle Spekulationen
in der kroatischen Öffentlichkeit, die Urteile würden im Revisionsverfahren
milder als in der ersten Instanz ausfallen, erwiesen sich als falsch.
Jadranko Prlić, damaliger Premier des während des Krieges (1992–1995)
gegründeten Parastaates Herceg-Bosna, musste hinnehmen, dass es auch für
ihn beim alten Urteil von 25 Jahren blieb.
Vor allem aber musste die kroatische Öffentlichkeit schlucken, dass das
Gericht die Angeklagten als „joint criminal enterprise“ (Gemeinsames
kriminelles Unternehmen) charakterisierte. Im kroatischen Fernsehen zeigten
sich nach dem Urteil alle kroatischen „Experten“ schockiert, nicht nur
wegen des Selbstmords von Praljak. Noch vor wenigen Tagen hatte die
Präsidentin des Landes Kolinda Grabar-Kitarović die Angeklagten als
„honorable Persönlichkeiten“ bezeichnet.
Mit dem Urteil folgte das Gericht weitgehend dem Ankläger des Tribunals,
dem Belgier Serge Brammertz. Der hatte nicht nur die sechs Angeklagten um
Jadranko Prlić und seine Mitangeklagten in seiner 2008 vorgelegten
Anklageschrift, sondern die gesamte Staatsführung Kroatiens zu jener Zeit,
zur Verantwortung ziehen wollen.
## Tief in die Verbrechen verstrickt
Der damalige Präsident Franjo Tuđman, sein Verteidigungsminister Gojko
Šušak und der Generalstaatschef Janko Bobetko, die alle verstorben sind,
standen ganz oben auf der Liste des Anklägers. Im Klartext: Nach Meinung
des Gerichts ist die politische und militärische Führung Kroatiens tief in
die Verbrechen vor allem an der bosniakischen (muslimischen)
Zivilbevölkerung in Bosnien und Herzegowina, verstrickt.
Dafür spricht auch, dass ein Teil der Angeklagten sowohl in militärische
Strukturen in Zagreb als auch in Mostar eingebunden waren. Das wurde von
Zagreb verneint. Die bosnischen Kroaten hätten keine Kriegsverbrechen
begangen, sondern lediglich die Kroatengebiete in Bosnien und Herzegowina
gegen die serbische Aggression verteidigt, war die Meinung der meisten
Professoren, Journalisten und Politiker in Zagreb.
Das konservativ-nationalistische Lager tut sich seit jeher mit der
Aufarbeitung der jüngsten eigenen Geschichte schwer. Doch in Kroatien gibt
es auch eine Opposition, die es besser weiß. Kein Geringerer als der
Nachfolger Franjo Tuđmans im Präsidentenamt, Stipe Mesić, war aus Protest
wegen des kroatischen Krieges in Bosnien und Herzegowina 1994 aus der
Führung des Tuđman-Regimes ausgeschieden. Mesić behauptet sogar, die
Präsidenten Serbiens und Kroatiens hätten sich schon vor dem Krieg in
Jugoslawien im März 1991 in dem Ort Karađorđevo darauf geeinigt, den
Vielvölkerstaat Bosnien und Herzegowina territorial unter sich aufzuteilen.
Beide Seiten mussten, um dieses Ziel zu erreichen, die von ihnen eroberten
oder kontrollierten Gebiete „ethnisch säubern“. Die Verbrechen liegen also
in der Logik der nationalistischen Politik, auf beiden Seiten.
Schon am 9. Mai 1992 trafen sich in Graz der Präsident Herceg-Bosnas Mate
Boban und der Serbenführer Radovan Karadžić zu ersten
Koordinierungsgesprächen. Im Herbst 1992 ging die HVO daran, die bosnischen
Regierungstruppen in Zentralbosnien anzugreifen. Zum offenen Krieg, dem
sogenannten „Krieg im Kriege“ kam es, als im Frühjahr 1993 die kroatische
Seite begann, die verzweifelte militärische Lage der bosnischen Truppen
gegenüber den Serben auszunutzen. Jadranko Prlić und seine Mitangeklagten
organisierten die Angriffe in Mostar. Kroatische Truppen zerstörten den
östlichen, muslimischen Teil, überfielen Dörfer und Städte, verhafteten,
töteten und malträtierten Tausende muslimische Männer in
Konzentrationslagern. Frauen wurden vergewaltigt, Zehntausende Menschen
vertrieben, Moscheen zerstört.
Das Gericht hat im Urteil akribisch die Vorgehensweise der kroatischen
Nationalisten nachgezeichnet, die Zahlen der Opfer benannt. Absurd ist das
Beispiel Stolac. Die Stadt mit 3.500 Einwohnern hatte eine muslimische
Mehrheit, an zweiter Stelle lagen die Serben, nur 12 Prozent Kroaten lebten
dort. Ende des Sommers 1993 meldeten kroatische Stellen an den Präsidenten
von Herceg Bosna, Mate Boban, Stolac sei jetzt kroatisch und alle Bosniaken
seien vertrieben. In bosniakischen Dörfern in Zentralbosnien kam es zu
vielen Morden, so im Dorf Ahmići, wo über 100 Menschen in ihren Häusern
verbrannten.
## Washingtoner Abkommen 1994
Erst der Druck der USA im Herbst 1993 auf Tuđman beendete den Krieg im
Kriege. Tuđman schwenkte um. Am 18. März 1994 wurde das Washingtoner
Abkommen unterzeichnet, der Krieg im Kriege beendet und die Föderation
Bosnien und Herzegowina gegründet. Der Parastaat Herceg-Bosna wurde
aufgelöst, HVO und bosnische Armee begannen wieder gemeinsam gegen die
serbischen Truppen zu kämpfen. 1995 kam das Abkommen von Dayton, das den
Krieg beendete und das Land in eine bosniakisch-kroatische und eine
serbische Entität teilte.
Seither fordern kroatische Nationalisten unter Führung der Nationalpartei
HDZ-BiH immer wieder, das Land solle in drei Teile aufgeteilt werden, wie
unlängst Parteichef Dragan Čović. Herceg-Bosna soll nach seinem Willen
wiedererstehen.
29 Nov 2017
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Kroatien
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