Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Scooterman und die Grassuppe
> Sich mit der Nadel in den Muskel stechen, ist kein Spaß. Sich nicht
> rühren können, noch weniger. Dafür gibt es dann am nächsten Tag eine
> Leckerei.
Falls Sie jemand von naturbelassenen, selbst angebauten Nahrungsmitteln
überzeugen will: Spielen Sie nicht mit Ihrer Gesundheit. Gesundes
Misstrauen kann helfen.
Scooterman war schon den ganzen Tag über nicht in Bestform gewesen.
Vergesslich, zittrig, unkonzentriert. Mehr als einmal verschätzte er sich,
als er mit seinem Handrollstuhl durch die Wohnung fuhr. Abends hatte sich
Scooterman noch, wie jeden zweiten Tag, eine Ampulle Betaferon subkutan in
den Bauch gespritzt. Eigentlich ein Routinevorgang für jemanden, der MS
hat, bei dem man allerdings eines beachten muss: Niemals mit der zwölf
Millimeter langen Nadel in einen Muskel stechen. Das ist zwar nicht
gefährlich, aber es tut mörderisch weh. Genau das passierte dem Scooterman.
Damit war der Abend gelaufen.
Sinnvoll wäre es gewesen, kurz vor Geschäftsschluss noch einzukaufen. Nach
der Injektion hatte Scooterman noch mindestens eine Stunde, bis die
Nebenwirkungen des Betaferon ihn für eine geraume Zeit blöd zwischen den
Ohren machten. Ab ins Bett. Dass sein Kühlschrank immer noch so trostlos
leer war wie einige Stunden zuvor, verdrängte er erfolgreich.
Fünf Uhr morgens. Scootermans Beine schienen sich über Nacht in Baumstämme
verwandelt zu haben. Das geschieht leider regelmäßig nach der
Betaferon-Spritze. Die Beine zu biegen, war für die erste halbe Stunde des
Tages schlicht unmöglich. Trotz vollem Risiko erfolgloser Versuch, sich in
den Handrollstuhl zu drücken, der wie immer parallel zu seinem Bett
übernachtet hatte.
Wenig später holte ihn Alexander aus dem Bett. Alexander war weit östlich
des Ural geboren worden. Von einem schlecht gefüllten Kühlschrank lässt er
sich nicht beeindrucken. „Hast doch alles da“, sagte er und zeigte lässig
in Richtung des Balkons. Auf dessen Geländer standen ein paar Blumenkästen,
die Scooterman sich mit Unterstützung einer Freundin angeschafft hatte.
Ungeachtet der Abgase von Autos, die zehn Meter unter den Kästen fuhren,
hatte der kleine Garten den Sommer über bis zu vier Erdbeeren täglich
abgeworfen. Und direkt neben dem Krokus waren etliche grüne Halme
emporgeschossen, die aussahen wie … dicke Grashalme?
„Auf deinem Kühlschrank liegen zwei Paprikaschoten“, gewährte Alexander
Einblick in sibirische Kochkunst. „Sind morgen kaputt. Oder du schneidest
klein, mischt mit Gras vom Balkon. Dann kochst du in Wasser, würzt mit Salz
und Öl – hast du Eintopf.“ Scooterman war beeindruckt.
Eine Stunde später dampfte die Suppe auf dem Herd. Schon vor dem
Mittagessen wurde Scooterman schlecht. „Sie haben also eine Suppe gekocht.
Aus Gräsern, die mit Abgasen gedüngt wurden? Sie können doch froh sein,
dass Sie nicht im Krankenhaus gelandet sind“, sagte eine Kollegin von
Alexander am nächsten Morgen. „Mit Essen spielt man nicht“, fiel Scooterman
eine Weisheit seiner Großmutter ein. Stimmt. Und aus Spielzeug macht man
kein Essen.
15 Nov 2017
## AUTOREN
Knud Kohr
## TAGS
Scooterman
Multiple Sklerose
Scooterman
Rollstuhl
Scooterman
Rollstuhlfahrer
Berlin-Charlottenburg
Multiple Sklerose
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Scooterman auf einer Party
Manchmal muss man für sein Recht zu feiern kämpfen: vor allem wenn überall
Hindernisse wie Funklöcher und Exfreundinnen lauern.
Die Wahrheit: Scooterman und die Freiheit
Tür, die klemmt: Für einige Momente gelang es dem Scooterman zu verdrängen,
dass er ohne Hilfe in den letzten zwei Monaten nicht vor besagter Tür war.
Die Wahrheit: Scooterman begrüßt den Schnee
Der erste Schnee in der großen Stadt. Zeit für eine Ausfahrt mit dem
Scooter. Und die Gelegenheit, den Elektrorollstuhl schliddern zu lassen …
Die Wahrheit: Scooterman und die Summtür
Seit mindestens sechs Wochen war die automatische Tür defekt. Zeit für
einen Ausbruchsversuch, Sachschäden inbegriffen.
Die Wahrheit: Scooterman auf nächtlicher Tour
Der Frühling raubt Scooterman den Schlaf. Ein Ausflug zum Höckerschwan soll
Linderung bringen, doch dann tauchen seltsame Fremde auf…
Die Wahrheit: Scooterman auf der Nase
Wenn die Blase rebelliert, gilt es, das 143 Zentimeter lange und knapp drei
Zentner schwere Gefährt auf Höchstgeschwindigkeit zu bringen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.