# taz.de -- Frachter vor Langeoog: Letzter Aufreger der Saison | |
> Der im Sturm „Herwart“ vor Langeoog havarierte Frachter „Glory Amsterda… | |
> ist frei und auf dem Weg nach Wilhelmshaven. | |
Bild: Mit bloßem Auge kaum zu erkennen: Mit dem Frachter kamen auch die Medien… | |
LANGEOOG taz | Die Nordseewellen peitschen an den Strand. Die Flut kommt, | |
es ist dunkel, diesig und regnerisch. Alles rauscht. Schemenhaft zeichnet | |
sich der Frachter am Horizont ab, um ihn herum die Lichter der Schlepper | |
und Begleitschiffe. Sie haben die ganze Nacht Ballastwasser abgepumpt, | |
insgesamt 16.000 Liter. Zwei dänische Spezialschlepper halten die „Glory | |
Amsterdam“ an 1.000 Meter langen Trossen in Position. Das Schiff muss | |
leichter werden, damit es bei Hochwasser aus der Brandung gezogen werden | |
kann. | |
Es ist kurz nach sieben Uhr morgens, als sich am Horizont etwas tut. Mit | |
bloßem Auge in der Dämmerung noch kaum zu erkennen, bringt der | |
Schiffstracker Gewissheit: Die „Glory Amsterdam“bewegt sich. Ganz langsam, | |
mit 2,6 Knoten, Kurs 318 Grad. Das ist in Richtung offene See. | |
Sturm „Herwart“ hat den 225 Meter langen Schüttgutfrachter auf die Insel | |
Langeoog zugetrieben. In der Nacht auf Sonntag ist dann er zwei Kilometer | |
vor der Insel aufgelaufen und seitdem ist hier ordentlich was los. In | |
Nordrhein-Westfalen sind noch Herbstferien, die Insel ist ohnehin voll. Nun | |
schleppen auch noch die Medienleute ihre Mikros und das Technik-Equipment | |
über die Insel und fragen die Insulaner, wie sie das so finden mit dem | |
Frachter. | |
## Nur linke Turnschuhe | |
Die Langeooger tragen es mit Fassung: „Sind wir mal wieder in aller Munde.“ | |
Das Gespräch in der Inselbahn dreht sich um das aktuelle Strandgut und das | |
vergangener Tage: „Weißt du noch, als die Thermoskannen kamen?“ Nicken. | |
Grinsen. „Und die Turnschuhe! Aber alles nur linke.“ Die hätte man trotz | |
Salzwasser vielleicht wieder hingekriegt, gute Marken waren dabei, Nike und | |
so, aber was will man mit lauter linken Turnschuhen? Eben. Schulterzucken. | |
„E-Bikes wären mal gut!“, sagt eine blonde Frau und lacht. Die könnten sie | |
hier gebrauchen. | |
Abends im Dorfkrug redet zunächst keiner über den Koloss, der draußen immer | |
noch vor der Insel liegt. Es ist Tag drei nach der Strandung. Zunächst hieß | |
es, der Frachter könne in der Brandung auseinanderbrechen und mit seinen | |
1.800 Tonnen Schweröl eine Ölkatastrophe im Nationalpark Wattenmeer | |
verursachen. Aber diese Befürchtungen sind immer kleiner geworden. Das | |
Schiff wird engmaschig kontrolliert, außer der 22-köpfigen Mannschaft sind | |
sieben Leute vom Bergungsteam an Bord, ein Ölüberwachungsflugzeug | |
kontrolliert regelmäßig, ob Treibstoff austritt – tut er nicht. Der | |
Frachter wird wohl halten. | |
Nachdem die Neuigkeiten des Tages ausgetauscht sind und der Sparverein | |
seinen Kassensturz gemacht hat, schaltet Atze hinterm Tresen aber doch mal | |
das iPad ein: Auf „Marinetraffic“ kann man in Echtzeit verfolgen, wie die | |
Bergung vorangeht. Lauter kleine Dreiecke sind zu sehen, die ein weiteres | |
Dreieck umzingeln. Das Dreieck in der Mitte ist der Frachter, die Dreiecke | |
drumherum die Schlepper und Sicherungsschiffe. Noch wird abgepumpt, die | |
Dreiecke bewegen sich kaum. Jetzt holen alle ihre Smartphones raus und | |
checken mal kurz auf „Langeoognews“ die Nachrichtenlage. | |
Die lokale Nachrichtenseite bietet einen gut informierten Live-Ticker zum | |
Geschehen draußen auf der Sandbank an. „In den letzten Tagen ist | |
‚Langeoognews‘ öfter mal zusammengebrochen“, erzählen die Gäste im | |
Dorfkrug. Normalerweise passiere das ja nicht, „aber jetzt gucken eben | |
öfter mal welche auf die Seite“. Auch hier werden jetzt die alten | |
Geschichten rausgeholt, die Turnschuhe, das Holz, und die | |
Überraschungseier. | |
## Alle voller Legosteine | |
Das war im Januar, da ging im Sturm ein Maersk-Container voller | |
Überraschungseier und Legosteine über Bord – und alles kam hier auf | |
Langeoog an. „Wir durften ja nichts nehmen, die haben das richtig bewacht“, | |
erzählt eine Frau. Auf das Koks, das vor ein paar Monaten in Borkum | |
angespült wurde, seien sie nicht neidisch gewesen, versichern alle und | |
gucken dabei treuherzig. Aber das Holz, ebenfalls eine im Sturm über Bord | |
gegangene Decksladung, das hätte man schon gebrauchen können. Nur zum | |
Aufräumen, da durften sie dann alle anrücken, freiwillig natürlich. | |
Bei dem Thema platzt dem Inselbürgermeister Uwe Garrels regelmäßig der | |
Kragen. „Bei uns kommt immer alles an, und dann kümmert sich keine Sau | |
drum!“, sagt er. Mit dem Aufräumen säßen sie dann allein da, nicht mal | |
Maersks Versicherung habe bis jetzt alles bezahlt. Und jeder neue Sturm | |
wirbele wieder neue Überraschungsei-Teile auf, die bis dahin irgendwo | |
verschüttet waren. Auch Teile der polnischen Segelyacht, die erst vor | |
Kurzem im Seegatt havarierte, sind in Langeoog angespült worden. „Der | |
Schlepper hat ja höchstens die Hälfte der Yacht mitgenommen, der Rest liegt | |
jetzt hier“, sagt Garrels. Sperrholz sei darunter, auch eine Matratze. | |
Er und die anderen Bürgermeister der ostfriesischen Inseln fordern höhere | |
Sicherheitsvorkehrungen in der Seeschifffahrt, ein wirksameres | |
Krisenmanagement und mehr Unterstützung im Schadensfall. Dazu treffen sie | |
sich nach der erfolgreichen Bergung der „Glory Amsterdam“ auf Borkum, um | |
eine entsprechende Resolution zu verabschieden. | |
Auch an der Arbeit des Havariekommandos Cuxhaven, das die Bergungsarbeiten | |
koordiniert, übt Garrels Kritik: „Hier hat der Notfallplan nicht | |
funktioniert.“ Es könne nicht sein, sagt der Bürgermeister, dass ein großes | |
Seeschiff über Stunden auf die Insel zutreiben könne und es niemandem | |
gelinge, eine Schleppverbindung herzustellen – auch nicht bei schwerem | |
Wetter. „Der Vorfall muss Konsequenzen für die Seeschifffahrt haben“, | |
fordert Garrels. Die Mannschaften an Bord müssten besser ausgebildet sein, | |
es dürfe nicht nur die Kostenersparnis im Vordergrund stehen. | |
Im Dorfkrug vertrauen sie auf die Arbeit der Bergungsmannschaften. „Das ist | |
dieselbe Firma, die auch die ‚Costa Concordia‘ gehoben hat“, erzählt Uwe, | |
der Inselkutscher. „Das wird ja wohl klappen.“ Ein bisschen belustigt sind | |
sie von den ganzen Medienleuten, die jetzt über die Insel laufen und alle | |
ausfragen. „Von mir wollte einer wissen, ob wir jetzt mehr Fahrräder | |
vermieten als vorher“, erzählt Ole, der beim Langeooger Radhus arbeitet und | |
auch dem Mann vom NDR seinen Nachnamen nicht verraten hat. Ohnehin bereiten | |
sich langsam alle auf das nahende Saisonende vor. Der Frachter wird wohl | |
der letzte Aufreger der Saison gewesen sein, in ein paar Tagen ist für die | |
meisten hier Schluss. Uwe bringt seine Pferde aufs Festland, Atze hat bald | |
Urlaub. | |
## Noch eine letzte Runde | |
Eine letzte Runde „Schock“ wird gewürfelt, jeder hat eine kleine | |
Teppichfliese und einen Würfelbecher vor sich. Wer verliert, muss eine | |
Runde ausgeben. Dass der Frachter schon am nächsten Tag geborgen wird, | |
halten hier viele für wahrscheinlich. „Wenn sie die Leine schon dran haben, | |
ist das doch die halbe Miete.“ Ein letztes Bier, ein letzter Blick auf den | |
Schiffstracker. Dann wird es Nacht auf Langeoog. Und am nächsten Morgen ist | |
der Frachter weg. | |
3 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Karolina Meyer-Schilf | |
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