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# taz.de -- Fußball in der Ukraine: Klub auf Wanderschaft
> Sorja Lugansk verlor seine Heimat in der Ostukraine. Seit Beginn des
> Krieges tingelt der von einem Oligarchen gepäppelte Klub durch das Land.
Bild: Kann nicht mehr zu Hause spielen: das Team von Sorja Lugansk
Berlin taz | Wenn Donnerstagabend Hertha BSC gegen Sorja Lugansk
Schwierigkeiten haben wird, sein Stadion zu füllen, wird es für Lugansk
aller Wahrscheinlichkeit nach dennoch eine Kulisse mit Seltenheitswert
sein. Mehr als ein paar Tausend Leute erlebt der Club aus dem Donbass
derzeit fast nur in der Euro League. Bis vor wenigen Jahren war Sorja
Lugansk ein durchaus populärer Klub in der Ukraine. Vor Kriegsbeginn hatte
der Verein aus dem Osten des Landes einen Schnitt von 10.000 Zuschauern,
kurz hinter den Top Fünf. Jetzt ist die Zahl auf 2.900 gefallen. Seit
Kriegsbeginn in der Ukraine hat der Klub zweifelhafte Berühmtheit erlangt.
Er ist der Verein ohne Heimat, der wandernde Klub.
Seit 2014, dem Beginn des Krieges, kann Sorja seine Heimspiele nicht mehr
im ostukrainischen Lugansk austragen, mittlerweile Teil der im April 2014
proklamierten und international nicht anerkannten Volksrepublik Lugansk. Er
wandert zwischen Saporischschja, wo die Liga-Heimspiele ausgetragen werden,
und den Standorten Kiew, Lwiw und Odessa für internationale Spiele. Das
Stadion in Saporischschja genügt den Anforderungen der Uefa nicht, daher
fand das Hinspiel gegen Hertha in Lwiw statt.
Zurückkehren nach Lugansk wird der Verein vermutlich nicht mehr. Im Jahr
2014 zerstörte ein Raketenangriff Teile des Stadions, aber das ist nicht
der Grund. Sorja Lugansk steht der ukrainischen Zentralregierung nahe. Die
prorussischen Separatisten erkennen Sorja nicht an. In der Volksrepublik
Lugansk gibt es mittlerweile einen eigenen Ligabetrieb. Eine Rückkehr wäre
politisch undenkbar. Und auch Teile der Sorja-Fanszene sind politische
Gegner der Separatisten.
„Fast alle unserer Fans stehen auf der Seite der Zentralregierung“, sagt
Ihor Kovtun, Sorja-Anhänger im Exil. Er war während des Krieges ein Jahr in
der ukrainischen Armee. Weil prorussische Separatisten seinen Namen
veröffentlichten, kann er nicht in seine Heimatstadt Lugansk zurückkehren
und lebt seit drei Jahren in Poltawa in der Zentralukraine.
Wie Kovtun geht es einigen Fans. Die Anhängerschaft von Sorja ist anders
strukturiert als die eher prorussische Klientel in der alten Heimat, sie
ergriffen teils offen Partei für die Zentralregierung. Teile der Fanszene
leben nun in der ganzen Ukraine versprengt. Viele sind nach Kiew gegangen.
„Wir Fans sind ein bisschen patriotischer als andere Leute“, so erklärt es
Kovtun. „Bei Fußballfans geht es um Loyalität, um Unterstützung der
Heimat.“ Und natürlich hat die Positionierung des Klubs auch mit dem
mächtigen Mann dahinter zu tun, Jewgenij Geller.
## Oligarch, Politiker und Businessmann
Sorja Lugansk erlebte eine schwierige Phase, bevor Geller kam. Der einstige
Meister der UdSSR war zum sportlichen Nobody geworden und zwischenzeitlich
bis in die dritte Liga durchgereicht. Geller, eine undurchsichtige Mischung
aus Oligarch, Politiker und Businessmann, gehört zum in der Ukraine
wohlbekannten Typus von Klubbesitzern. Er gehört jener Elite an, die sich
seit den neunziger Jahren immer an der Macht gehalten hat.
Der windige Geller hat alles überlebt: die wilden Neunziger, als er mit der
Firma Ukrsplaw groß wird, die Regierung Janukowitsch, der er angehörte, die
Korruptionsskandale der Partei der Regionen, bei der er für die Finanzen
zuständig ist, den Umsturz. Auch nach der Flucht seines ehemaligen Kumpels
Janukowitsch sitzt Geller mit wechselnden Allianzen im ukrainischen
Parlament.
„Er ist eine Person, die mit jeder politischen Situation klarkommt“, sagt
Kovtun. „Er ist mehr Geschäftsmann als Politiker.“ Den ukrainischen
Politikern, klagt er, gehe es vor allem um Geld und Einfluss, nicht um
politische Ideen. In einem seiner seltenen politischen Interviews erzählt
Geller 2013, der damalige Präsident Janukowitsch habe ihn gefragt, ob er
wenigstens das BIP kenne. Das kannte er dann doch. Sagt er zumindest.
## Andere Sorgen
Fans wie Kovtun hoffen darauf, dass die ukrainischen Clubs langfristig
unabhängiger von solchen Oligarchen werden. „Unsere Clubs holen dann
vielleicht nichts in Europa, aber es ist besser, auf eigenen Beinen zu
stehen“, sagt er. „Es macht uns nicht stärker, aber es macht uns gesünder…
Kovtun glaubt, dass die ukrainischen Vereine sich vermehrt bemühten,
eigenständig zu wirtschaften.
Sorja Lugansk muss das auch, denn Geller, der in der Vergangenheit viel
investierte, soll sein Engagement zurückgefahren haben. Auch deshalb ist
die Europa League so wichtig. Die wirtschaftliche Situation des Klubs ist
schwierig: Das ständige Tingeln sorgt für höhere Ausgaben etwa für
Stadionmieten und Unterkünfte, dafür fehlen Einnahmen aus
Zuschauereintritten. Das liegt nicht nur daran, dass kaum mehr ein
Sorja-Anhänger zu Heimspielen kommen kann, sondern auch an der allgemeinen
Krisensituation. Der Zuschauerdurchschnitt der Liga ist von 11.000 vor
Kriegsbeginn auf 4.000 gefallen, auch die großen Clubs haben Publikum
verloren. Es gibt andere Sorgen als Fußball.
Für manche Fans hat der Fußball dennoch, oder gerade deshalb, an Bedeutung
gewonnen. Einige Anhänger, unter ihnen Kovtun, reisen so oft wie möglich
der Mannschaft hinterher – auch, um Kontakt zu den versprengten Freunden
aus Lugansk zu halten. „Früher war Fußball Spaß“, sagt Kovtun. „Jetzt …
Sorja mehr als ein Fußballteam. Es ist ein Symbol unserer Heimat.“
2 Nov 2017
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Fußball
Volksrepublik Lugansk
Lugansk
Ukraine
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